• Es stecken sich wieder mehr Menschen in Deutschland mit dem Coronavirus an.
  • Der wirksamste Schutz ist eine Impfung.
  • Obwohl Deutschland noch weit von einer Herdenimmunität entfernt ist, werden die Rufe nach Lockerungen lauter – das muss allerdings nicht zwangsläufig ein Widerspruch sein.

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Die Corona-Zahlen steigen wieder an. Nachdem der maßgebliche Wert, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner, zuvor über zwei Monate beständig gesunken ist, kletterte er am Montag am sechsten Tage in Folge. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt die bundesweite Inzidenz nun bei 6,4, die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 324 Corona-Neuinfektionen.

Zum Vergleich: Vor einer Woche hatte der Wert noch bei 212 Ansteckungen gelegen. Experten hatten den Anstieg unter anderem wegen der ansteckenderen Delta-Variante erwartet, die das Infektionsgeschehen in Deutschland mittlerweile dominiert.

Gleichzeitig werden nur noch sehr wenige Corona-Tote gemeldet und die Zahl der Corona-Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, ist sehr stark zurückgegangen. Mehr 42,6 Prozent der Bevölkerung sind bereits vollständig geimpft. Was gut klingt, ist aber wohl zu wenig, um eine mögliche vierte Welle zu brechen.

Wann eine Herdenimmunität erreicht ist

Denn dazu müsste es Herdenimmunität geben. "Klassischerweise geht man von einer Herdenimmunität aus, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Erreger geschützt sind. Das setzt aber voraus, dass sich der Erreger in diesen Personen nicht vermehren kann", sagte der Vizepräsident der Deutsche Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster, vergangene Woche den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Aus Sicht des RKI sollten im Kampf gegen die Delta-Variante sogar mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Menschen ab 60 Jahren vollständig geimpft sein. "Bei rechtzeitigem Erreichen dieser Impfquote scheint eine ausgeprägte vierte Welle im kommenden Herbst/Winter unwahrscheinlich", heißt es in einem Papier des RKI, das am vergangenen Montag veröffentlicht wurde.

Mit diesen Annahmen sind allerdings gleich zwei Probleme verbunden:

  • Erstens ist die Quote der Immunisierten noch niedrig, selbst wenn man zu den derzeit Geimpften noch alle Genesenen hinzurechnen würde. Laut RKI gibt es derzeit in Deutschland 3,6 Millionen Menschen, die eine Corona-Erkrankung durchgemacht haben. Dazu kommt eine Dunkelziffer von Nicht-Erkannten. Studien hätten dem Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge einen Faktor von zwei bis drei bestimmt. "Also wahrscheinlich zehn Millionen Genesene", rechnete Andreas Gassen bei "Bild Live" vor. Damit wären Stand jetzt maximal 45 Millionen Menschen in Deutschland immun gegen das Virus – nur 55 Prozent.
  • Und zweitens SARS-CoV-2 selbst: Menschen könnten das Virus übertragen, obwohl sie selbst nicht erkrankt seien, obwohl sie geimpft und vollkommen symptomfrei seien. Mit der Delta-Variante habe sich die Situation verschärft, sagte Immunologe Förster.

Forderungen nach weiteren Lockerungen...

Obwohl Deutschland noch weit von einer Herdenimmunität entfernt ist, die Zahlen wieder steigen und auch trotz erfolgreicher Impfkampagne im Herbst nicht fallen könnten, werden die Rufe nach Lockerungen lauter – was allerdings nicht zwangsläufig ein Widerspruch sein muss.

"Es wird auch weiterhin Lockerungen geben müssen, wenn die Zahlen niedrig bleiben", sagte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans im ZDF-"Morgenmagazin" am Montag. Etwaige Einschränkungen müssten sich an den Infektionszahlen orientieren, aktuell sei es "geboten, Freiheiten wiederherzustellen".

Zwar würden die Infektionszahlen aufgrund der Verbreitung der Deltavariante im Herbst voraussichtlich erneut steigen. Hans plädierte jedoch dafür, bei der Entscheidung über mögliche erneute Einschränkungen neben den Neuinfektionen auch andere Faktoren, wie etwa die Belastung des Gesundheitssystems und den Gesundheitszustand eingelieferter Coronapatienten, in den Blick zu nehmen. "Wir sollten durchaus mutig und auch optimistisch jetzt in diesen Sommer und Herbst gehen", sagte der CDU-Politiker weiter.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Hans forderte außerdem mehr Anstrengungen mit Blick auf den Impffortschritt. "Wir haben ganz vielen Menschen noch kein Angebot gemacht, weil wir sie schlichtweg noch nicht erreicht haben", sagte der Ministerpräsident. Die Bundesregierung hatte zuletzt betont, dass mit dem Impfangebot für alle im Laufe des Augusts zu rechnen sei.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing sieht das ähnlich. "Die Inzidenzen sind natürlich ein Hinweis darauf, wie sich die Pandemie entwickelt, aber allein auf die Inzidenz zu schauen, das ist sicher nicht richtig", sagte Wissing am Montag im "Frühstart" von RTL/ntv. Es reiche auch nicht, zusätzlich die Intensivbetten-Belegung zu berücksichtigen. "Wir müssen auch darauf achten, wie viele Menschen überhaupt hospitalisiert werden müssen", so der FDP-Politiker.

... und Appelle, besser abzuwarten

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek kritisierte hingegen die Forderungen nach einer Aufhebung aller Corona-Einschränkungen. "Es bleibt wichtig und richtig, das Virus ernst zu nehmen und konsequent strenge Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die lauten Rufe, die Schutzmaßnahmen aufzuheben, halte ich daher für absolut verfrüht", sagte der CSU-Politiker der "Rheinischen Post".

Notwendig seien weiterhin allerhöchste Wachsamkeit, Vorsicht und Umsicht, vor allem mit Blick auf die Delta-Variante. "Maske tragen, Abstand halten und Impfen sind nach wie vor die wirksamsten Mittel, die jeder Einzelne dem Virus selbst entgegensetzen kann", sagte Holetschek.

Zur Vorsicht rieten auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) oder Familienministerin Christine Lambrecht (SPD). So rief Bouffier dazu auf, noch "zumindest drei Monate" abzuwarten, um die Lage besser einschätzen zu können. (dpa/afp/mf)

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