In den sozialen Netzwerken wird behauptet, dass die Corona-Maßnahmen rechtswidrig seien. Die Begründung: Tests auf SARS-CoV-2 würden keine Infektionen nachweisen – dadurch seien die Fallzahlen "manipuliert". Nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck ist das größtenteils falsch.
In mehreren Blogs (hier oder hier) sowie auf Facebook wird behauptet, das Robert-Koch-Institut (RKI) manipuliere Statistiken und verstoße damit gegen das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Das IfSG bestimmt, welche Erkrankungen und Krankheitserreger meldepflichtig sind. Die laborbestätigten Fälle von SARS-CoV-2 seien aber meist gar nicht meldepflichtig, wird in den Beiträgen behauptet.
Die Behauptung wurde tausendfach in den sozialen Netzwerken verbreitet – doch sie ist nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck größtenteils falsch.
PCR-Test-Ergebnis kann durchaus zum Nachweis einer Infektion führen
Die Behauptung wird damit begründet, dass es sich bei der Mehrzahl der laborbestätigten SARS-CoV-2-Fälle gar nicht um Infektionen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes handele. Konkret geht es um die Fälle, die mithilfe von PCR-Tests nachgewiesen wurden. Dieser Test weise angeblich gar keine Infektion nach.
Ein PCR-Testergebnis ist aber sehr wohl der Nachweis einer Infektion. Auf Anfrage antwortete der Virologe Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen, dass ein solcher Test das Erbgut des Erregers zum Zeitpunkt der Probenentnahme nachweist: "Dies wiederum kann sehr wohl als Nachweis der erfolgten Infektion gelten."
PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Im Labor werden mit diesem Verfahren bestimmte Sequenzen des Erbguts von SARS-CoV-2 vervielfältigt, damit sie nachweisbar werden. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich - meist durch die Nase im Rachen eines Menschen - entnommen und untersucht.
In den Blog-Texten wird behauptet, dass Labornachweise nur dann als COVID-19-Infektionsfälle im Sinne des Infektionsschutzgesetzes gezählt werden dürften, wenn "vermehrungsfähiges" Virusmaterial vorhanden sei. Begründet wird dies mit der Definition einer Infektion laut IfSG. Doch ein Blick ins Infektionsschutzgesetz zeigt, dass diese Aussage irreführend ist.
Im IfSG steht: Eine Infektion sei "die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus". Ein Krankheitserreger ist wiederum definiert als "ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann".
Virologe Weber erklärte CORRECTIV per E-Mail: "Wenn die PCR anschlägt, dann hat sich der Erreger vermehrt. Ob er das im Moment der Probenentnahme noch tut, ist irrelevant."
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Experten sehen keine Belege für Aussage, Corona-Maßnahmen seien "rechtswidrig"
In den Blog-Beiträgen wird noch eine zweite Behauptung aufgestellt: Die Schutzmaßnahmen in Zeiten der Coronavirus-Pandemie seien "rechtswidrig", weil sie auf der Zählweise des RKI und damit auch auf den PCR-Testergebnissen aufbauen würden. CORRECTIV hat dazu einen Anwalt und eine Juniorprofessorin für Öffentliches Recht befragt. Beide sahen keine Belege für die Argumentation, dass die Corona-Maßnahmen insgesamt unzulässig sein sollen.
Anika Klafki, Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, beschäftigt sich mit dem rechtlichen Umgang mit Pandemien. Sie erklärte, wie das IfSG in Paragraf 6 und 7 die Meldepflichten bestimmt: Es reiche "hier der direkte oder indirekte Nachweis von Krankheitserregern. Es bedarf keines Nachweises einer akuten Erkrankung". Laut Paragraf 6 gelte das Infektionsschutzgesetz auch für neuartige, bedrohliche übertragbare Krankheiten, für die es noch gar keine Testverfahren gibt. Die Zählweise des RKI sei folglich nicht falsch, so Klafki.
Der PCR-Test ist auch nicht die einzige Grundlage für die Pandemie beziehungsweise die Corona-Maßnahmen, wie in den Beiträgen suggeriert wird. Am 25. März wurde ein Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD angenommen. Der Beschluss des Bundestags lautete: "Der Deutsche Bundestag stellt mit Inkrafttreten des § 5 Absatz 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz aufgrund der derzeitigen Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest" (Seite 4).
Martin Stellpflug, Fachanwalt für Medizinrecht und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein erklärte CORRECTIV: Im IfSG sei festgelegt, dass ein Beschluss der Bundesregierung die Voraussetzung für weitreichende Befugnisse des Gesundheitsministeriums ist. So könne das Ministerium dadurch Einreisende verpflichten, sich ärztlich untersuchen zu lassen oder Auskunft über ihre Kontaktdaten zu geben (Gesetzentwurf vom 25. März, Seite 6). "Ein PCR-Test oder seine Aussagekraft bilden keinerlei Grundlage für diesen Beschluss", schrieb uns Stellpflug.
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