Christian Drosten spricht in der aktuellen Folge des NDR-Podcasts "Coronavirus-Update" über Virus-Verschleppungen unter der Decke der Maßnahmen und das mal als Vorbild, dann wieder als schlechtes Beispiel geltende Schweden. Zudem bestätigt der Experte, dass Symptome bei Kindern seltener vorkommen als bei Erwachsenen.
Christian Drosten malte zwar keine Horrorszenarien, machte sich aber in der Montagsausgabe des Podcasts "Coronavirus-Update" durchaus ein wenig Sorgen. Sorgen darüber, dass nach den leichten Lockerungen der Umgang mit dem Coronavirus unbekümmerter bis fahrlässig wird. Der R-Wert - also die Zahl derjenigen, die jeder Infizierte im Schnitt ansteckt - würde dann wohl umgehend in die Höhe schießen.
Coronavirus: Ist in der Politik ein falscher Eindruck entstanden?
Der Virologe: "Es ist so, dass die Politik nicht davon ausgeht, dass der R-Wert wieder über 1 ansteigt. Ich glaube, der Eindruck, der in der Politik insgesamt besteht, ist, dass das Bisherige alles schon sehr erfolgreich gewesen sei."
Den Zahlen zufolge würde das auch durchaus stimmen, gibt der Experte zu. In der Verbreitung der Krankheit "unter der Decke der Maßnahmen" sieht
Sicher für den Virologen ist, dass die Infektionsfälle in Deutschland - vor allem zu Beginn - regional sehr diffus waren. Durch die Kontaktsperren sei diese örtlich verteilte und heterogene Konzentration von Fällen aber eingefroren.
Drosten warnt vor einer wuchtigen Infektionswelle
Die im Moment laufenden Verschleppungen des Virus - etwa durch Besuche oder Treffen unter Ausnahmeregelungen - würde man aber derzeit nicht erkennen. Drosten warnt daher vor der Wucht einer neuerlichen Infektionswelle: "Eine solche wäre auch mit Todesfällen verbunden und könnte die Intensivstationen enorm belasten."
Diese würden in der Berliner Charitè übrigens jetzt schon laufend voller, wenn auch nur langsam. "Und das ist ein Effekt, der mich schon etwas sorgenvoll stimmt", so ein nachdenklicher Experte, der übrigens seine Informationen nur begrenzt aus deutschen Medien bezieht.
Drosten liest vor allem wissenschaftliche Artikel und Meinungen von amerikanischen und englischen, aber etwa auch von Hongkonger Experten. "Und daraus formiert sich diese Auffassung, die mich immer wieder beschleicht", so der 48-Jährige.
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Schweden: Vorbild oder schlechtes Beispiel?
Den häufig bemühten Vergleich zwischen Deutschland und Schweden, das hierzulande in Pressemeldungen und Sozialen Medien mal als Vorbild, dann wieder als schlechtes Beispiel angeführt wird, hält Christian Drosten für eine "künstliche Kontrastierung".
Während Schweden zunächst weniger auf Maßnahmen wie Kontakteinschränkungen und mehr auf Aufklärung und Kooperation der Bevölkerung gesetzt hat, ging Deutschland eher den umgekehrten Weg.
"Vielleicht treffen Schweden und Deutschland einander in Wirklichkeit schon längst am selben Punkt", so Drosten, der ergänzt, dass die Maßnahmen in Schweden nicht gerade gering seien. "Man muss aber schon sagen, dass das Land alles langsam hochgefahren hat - und man jetzt sieht, dass die Todeszahlen wirklich zunehmen", so Drosten.
Dorf in Italien: 43 Prozent der Infizierten hatten keine Symptome
Beeindruckt, vor allem von der Präzision der Datenerhebung, zeigte sich der Virologe im Podcast von einer Studie, die kürzlich in der kleinen nordostitalienischen Gemeinde Vò durchgeführt wurde. Dort wurden nahezu alle Bewohner innerhalb von zwei Wochen zwei Mal auf das COVID-19-Virus getestet.
Das Ergebnis offenbarte, dass 43 Prozent der im Zuge der Studie positiv Getesteten keinerlei Symptome hatten. Für Drosten ist die Zahl nachvollziehbar und auch aussagekräftig. "Dort wurde sehr engmaschig getestet. Ich denke auch, dass die 43 Prozent ein Wert sind, von dem man schon mal ausgehen kann", so der Experte.
Infizierte Kinder haben seltener Symptome als Erwachsene
Am Ende der Montagsausgabe des Podcasts "Coronavirus-Update" kam Virologe Christian Drosten noch auf das Thema "Kinder" zu sprechen. "Ich glaube, es ist inzwischen ob der vorhandenen Daten unbestritten, dass das Vorkommen von Symptomen bei Kindern noch viel seltener ist als bei Erwachsenen", so der 48-Jährige.
Als statistisch gesichert gilt übrigens auch, dass Kinder und Erwachsene ungefähr die gleiche Attack-Rate haben. Diese beschreibt, wie ansteckend eine Krankheit ist und wie viele Menschen von denen, die sich infiziert haben könnten, sich tatsächlich infiziert haben.
"Und da gibt es keinen Unterschied zwischen 20- bis 30-Jährigen, 10- bis 19-Jährigen und 0- bis 9-Jährigen. Die Attack-Rate ist in allen Altersgruppen die gleiche. Nur im Alter von 60 bis 69 Jahren ist sie höher", so Christian Drosten abschließend.
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