• Seit Anfang Dezember gelten wieder verschärfte Corona-Regeln: Kontakte sollen so weit es geht reduziert werden, nur einen anderen Haushalt darf man treffen.
  • Ab dem 23. Dezember lockern Bund und Länder die Vorschriften wieder – damit Weihnachtsfeiern im Familien- und Freundeskreis möglich sind.
  • Aber ist das Weihnachtsfest dieses Risiko wert? Schließlich sind die Infektionszahlen noch immer auf einem hohen Niveau.

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Weihnachtsmärkte, Glühweingelage, große Adventsfeiern: Von Veranstaltungen wie diesen mussten sich die Deutschen gedanklich schon verabschieden. Die geltenden Corona-Regeln und die anhaltend hohen Infektionszahlen verhindern die Klassiker der Vorweihnachtszeit.

Das Fest selbst wollen Bund und Länder aber gerettet wissen und haben Ende November die Einschränkungen zunächst weiter verschärft – um sie dann für das Weihnachtsfest lockern zu können. Aber ist Weihnachten das überhaupt wert?

Infektionszahlen auf hohem Niveau

Schließlich ist das Risiko hoch: Die Infektionszahlen in Deutschland sind weiterhin auf einem besorgniserregenden Niveau. Zuletzt meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 13.604 Neuinfektionen (Stand 1.12) binnen 24 Stunden in Deutschland – ein etwas höherer Wert als in der Vorwoche und deutlich mehr als während des ersten Ausbruchs im April.

Insgesamt haben sich 1.067.473 Menschen in Deutschland mit COVID-19 infiziert, knapp 16.700 von ihnen sind verstorben. In mehreren Regionen Deutschlands werden außerdem die Intensivbetten knapp: In Köln, Aachen und Gießen sind nur noch 8 Prozent, in Oldenburg, Biberach und Oberspreewald-Lausitz sind bereits keine gemeldeten Betten mehr frei. Das zeigt eine Visualisierung von "Zeit Online".

Lockerungen über Weihnachten und Neujahr

Davon, die Krise im Griff zu haben, kann bei weitem nicht die Rede sein. Das Wachstum scheint zwar für den Moment gestoppt, ein Rückgang der Fallzahlen ist jedoch noch nicht zu beobachten. Trotzdem steht bereits fest: Ende Dezember sollen die bestehenden Regeln über Weihnachten und Silvester gelockert werden.

Aktuell sind private Treffen auf den eigenen und einen weiteren Haushalt mit insgesamt maximal fünf Personen beschränkt, vom 23.12 bis zum 1.1 sind Treffen im engsten Familien- und Freundeskreis mit bis zu 10 Personen erlaubt. Kinder bis 14 Jahren sind jeweils ausgenommen. Geschenkeauspacken, Christbaumschmücken und Drei-Gänge-Menü mit Oma und Tante, Cousin und Cousine? Es wäre zumindest erlaubt.

Kritik an Weihnachten als "Zuckerchen"

Dabei hatte die Gesundheitsökonomin Prof. Dr. Clarissa Kurscheid schon nach der Entscheidung, die Weihnachtsferien vorzuziehen, im Gespräch mit unserer Redaktion kritisiert, dass seitens der Politik "das Weihnachtsfest quasi wie ein Zuckerchen hingehalten wird".

Sie hatte gewarnt: "Denn der Drang, sich dann in dieser Zeit zu treffen, wird exponentiell hoch sein." Die Politik müsse deshalb vorsichtig sein, stets mit Weihnachten zu argumentieren. "Für viele Menschen hat diese christlich sozialisierte Tradition gar keine Relevanz", hatte Kurscheid gesagt.

Steigende Zahlen nach Weihnachten

Sollte Weihnachten 2020 also besser ausfallen – ist das Risiko zu hoch? Virologe Prof. Dr. Christian Jassoy, akademischer Leiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie des Universitätsklinikums Leipzig rechnet zwar damit, dass die Ansteckungszahlen nach Weihnachten wieder steigen, sagt aber: "Ich hoffe und erwarte, dass sie jetzt vor Weihnachten so weit nach unten sinken, dass der folgende Anstieg durch das Gesundheitssystem verkraftbar wird."

Aus epidemiologischer Sicht sei die kurzfristige Anpassung sinnvoll. "Alle Länder, aus denen ich etwas über die Pandemie höre, machen das ähnlich, von China bis Belgien", so Jassoy. Er ergänzt: "Wenn man sich im Verhalten mehr an den Appellen als an den Verboten orientiert, ändern strengere Regeln das eigene Verhalten kaum."

Rettung von Weihnachten: Richtiges Narrativ?

Politikwissenschaftler Dr. Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin aber findet: "Weihnachten ist nicht so wichtig, um eine dritte Welle zu riskieren, zumal das Leben nach Weihnachten wieder den alten Regeln gemäß ablaufen wird."

Im Verhältnis zur religiösen Komponente habe die politische Komponente bei der Entscheidung eine größere Rolle gespielt. "Schon deshalb, weil mehr "Un- oder Andersgläubige" als Christen betroffen sind", kommentiert Neugebauer.

Als religiös definiertes Fest hält der Experte die Rettung von Weihnachten in einer Gesellschaft mit vielen Nicht-Christen nur bedingt für das richtige Narrativ in der Pandemie-Bekämpfung, sagt aber: "Als Impuls für die Integration durchaus, denn die Übernahme des Tages als gemeinsames Kulturgut, das nicht zwingend ein religiöses Bekenntnis verlangt, fördert Akzeptanz und Toleranz."

Gefahr im politischen Vorgehen

Für gefährlich hält der Experte indes, dass die Politik nach dem Motto "Lockdown hoch, Lockdown runter" fährt. "Dieses Vorgehen trägt dazu bei, dass bestimmte Fakten, etwa die Zahl der Inzidenzien, die zur Begründung politischer Entscheidungen herangezogen werden, nicht mehr als verbindlich sondern eher als beliebig betrachtet werden beziehungsweise werden könnten", warnt Neugebauer.

Er fragt: "Warum sollte nicht in NRW am 11.11. oder im Bund an Sylvester die Promille-Grenze für die Feststellung von Fahruntüchtigkeit verschoben werden? Es handelt sich ja auch um einmalige und die Geselligkeit sowie das Zusammenleben fördernde Ereignisse, bei denen sich Menschen aus verschiedenen Regionen treffen."

Gottesdienst zu Hause feiern

Bliebe noch die Sichtweise der Kirche. "Weihnachten wird stattfinden, in Kirchen und Familien, jedoch mit den notwendigen Beschränkungen", teilt Theologe Matthias Kopp für die Deutsche Bischofskonferenz mit. Man gehe als Kirche verantwortungsvoll und mit äußerster Vorsicht mit den vorhandenen Möglichkeiten um.

"In den kirchlichen Hygienekonzepten sind klare Abstandsregelungen in den Kirchen vorgeschrieben, weshalb die Weihnachtsgottesdienste mit weit weniger Besuchern stattfinden werden als in der Vergangenheit", weist Kopp hin. Für Menschen, die keine Kirche besuchen können, haben evangelische und katholische Kirche die ökumenische Aktion "gottbeieuch.de" ins Leben gerufen: Sie ermöglicht es, einen kleinen Gottesdienst zu Hause zu feiern.

Ausdruck von Nächstenliebe

"Dieses Weihnachten ist anders als sonst, es ist auch eine besondere Herausforderung und wir werden das Fest in dieser – coronabedingten – Form so schnell nicht vergessen", meint Kopp. Bei aller Beschwernis sei aber eines klar: "Der Stern von Bethlehem wird auch in diesem Jahr leuchten – über alle Viren hinweg."

Ähnlich sieht es Domkapitular Antonius Hamers vom Katholischen Büro NRW. Die Notwendigkeit, in den aktuellen Zeiten besonders verantwortungs- und rücksichtsvoll miteinander umzugehen, sei für Christen ein Ausdruck von Nächstenliebe. Die Kirche zeigt sich erfreut über die gelockerten Regeln: "Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott Mensch wird. Damit verbunden ist die Botschaft: Du bist nicht allein. Wir sind froh, dass wir gemeinsam Gottesdienste feiern können und dass Menschen gemeinsam Weihnachten feiern können, weil dadurch die Botschaft "Du bist nicht allein!" erfahrbar wird", erklärt Hamers.

Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens

Zu Weihnachten gehöre, dass Menschen – wenn auch im kleineren Rahmen – mit Menschen, die ihnen nahestehen, zusammenkommen können. Ob im Freien, in Form kurzer Formate in Kirchen oder an ungewöhnlichen Orten wie etwa auf Bauernhöfen: "Wesentlich ist, dass die Botschaft von Weihnachten "Fürchtet euch nicht!" verkündet und gefeiert wird", meint Hamers.

An Weihnachten feierten Christen, dass Gott im Kind in der Krippe Mensch wird, um sich mit jedem Menschen zu verbinden und dass Gott sich in Jesus Christus in besonderer Weise mit denen solidarisiert, die am Rande stehen. "Zugleich zeigt das Kind in der Krippe, wie zerbrechlich und gefährdet menschliches Leben nicht nur in Corona-Zeiten ist", sagt Hamers. Menschliches Leben erfordert immer Achtsamkeit und Rücksichtnahme, damit es sich entfalten könne. "Daran erinnert uns das diesjährige Weihnachtsfest in besonderer Weise", so der Domkapitular.

Über die Experten:
Prof. Dr. Christian Jassoy ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Er lehrt an der Universität Leipzig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Infektionsimmunologie und Infektionsepidemiologie.
Dr. Gero Neugebauer ist Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Er studierte Sozial- und Politikwissenschaften in Hamburg und Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt die Parteienforschung in Deutschland.
Matthias Kopp ist seit 2009 Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Er studierte Theologie und Christliche Archäologie in Bonn, Freiburg und Rom.
Dr. Antonius Hamers ist Theologe, Pfarrer und Domkapitular am Katholischen Büro NRW (Vertretung der Bischöfe). Er studierte Katholische Theologie in Münster und war zuvor als Referent Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) sowie als Polizeidekan für das Bistum Münster tätig.

Verwendete Quellen:

  • Robert Koch-Institut: COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit. (Stand 1.12.2020)
  • "Zeit Online": Coronavirus: Welche Regionen besonders betroffen sind. (Stand 1.12.2020)
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