Angehörige von Alzheimer-Patienten leiden häufig unter einer Angst: Diese Krankheit, die so schrecklich mitzuerleben ist, selbst zu bekommen. Experten erklären, dass die Sorge oft auf falschen Annahmen beruht.

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Diesen Schmerz kennt nur zu gut, wer einen Alzheimer-Betroffenen in seiner Familie hat: Man vermisst die Person, wie sie einmal war. Bei Angehörigen schwingt aber oft noch die Sorge mit, ob einem selbst das auch passieren kann. Und dann kommt es zu solchen Situationen: Man geht in den Keller und fragt sich, was man eigentlich dort wollte. Sind das die ersten Anzeichen?

"Wir kennen diese Befürchtungen aus Gesprächen am Alzheimer-Telefon", schildert Laura Mey von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz, die Angehörige telefonisch berät. "Pflegende Ehepartner beschäftigt besonders häufig die Frage: Was, wenn mir jetzt auch noch etwas passiert? Für Kinder von Erkrankten ist die Furcht immer wieder Thema, durch eine genetische Vorbelastung ein höheres Alzheimer-Risiko zu haben."

Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft e.V.

  • 030/259379514 (Montag bis Donnerstag von 9:00 bis 18:00 Uhr, Freitag bis 15:00 Uhr)

Demenzforscher gibt Entwarnung

Ein ungutes Gefühl, das sich für manche wie ein größer werdender Schatten über dem eigenen Leben anfühlt. Dabei beobachtet Alzheimer-Forscher und Neurologe Johannes Levin häufig auch dort Sorgen, wo kein erhöhtes Risiko besteht: "Uns erreichen auch Anfragen von Personen, deren Urgroßvater dement war", berichtet der Professor für Klinische Neurodegeneration. Aber: "Einer von drei Senioren bekommt eine Demenz. Für Angehörige heißt das: Jemanden in der Familie zu haben, der dement ist, ist nichts Auffälliges, sondern normal, ein Regelfall."

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Jünger sind Patienten, die an erblichen Formen von Alzheimer erkranken - diese sind aber auch die deutlich selteneren. Daran erkranken beispielsweise Menschen, die Mutationen in den Genen APP, PSEN1 und PSEN2 haben. Termine zu vergessen oder Dinge zu verlegen, sind dafür noch keine Anzeichen. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft nennt typische Warnsignale:

  • Störungen des Kurzzeitgedächtnisses über einen längeren Zeitraum.
  • Deutlich schlechtere Orientierung in einer neuen Umgebung als früher.
  • Termin wird nicht nur versäumt, sondern man erinnert sich nicht, ihn überhaupt vereinbart zu haben.
  • Die Stimmung und geistigen Fähigkeiten schwanken stark.
  • Sozialer Rückzug, Gesprächen kann nicht mehr wie gewohnt gefolgt werden.

Typisch für Alzheimer: Angehörigen fällt etwas auf

Levin erzählt, dass sich viele Menschen mit der Sorge vor Demenz bei ihm in der Ambulanz vorstellen: "Wenn jemand selbständig berichtet, dass die kognitive Leistungsfähigkeit nachgelassen hat, spricht das in der Regel nicht für Alzheimer. Die Symptome haben dann vermutlich andere Gründe. Aussagekräftiger als die Selbstbeobachtung ist bei Alzheimer die Fremdbeobachtung: Menschen, die sich tatsächlich als von Alzheimer betroffen erweisen, kommen meist in Begleitung von Angehörigen. Die schildern dann Auffälligkeiten. Die Patienten selber haben meist wenig Krankheitseinsicht."

Das bestätigt auch Mey: "Die Betroffenen empfinden sich häufig gar nicht als krank oder nehmen zumindest das Ausmaß ihrer Vergesslichkeit selbst nicht so stark wahr wie ihr Umfeld. Einen Arztbesuch lehnen sie deshalb häufig sogar ab, was es für die Angehörigen schwierig macht."

Alzheimer mit 27

Hellhörig macht Levin in der Ambulanz immer ein Umstand - ein sehr klares Kriterium: "Wenn bei Verwandten über mindestens zwei Generationen Alzheimer diagnostiziert wurde und die ersten Symptome deutlich vor dem 60. Lebensjahr auftraten. Dann wird eine genetische Variante wahrscheinlich." Eine seiner Patientinnen betreut er, seit sie 27 Jahre alt ist. Im Durchschnitt erkranken Betroffene mit Mitte 40 an der sogenannten autosomal-dominanten Variante. Aufgrund des Alters sei sie kaum verwechselbar mit nicht-erblichem Alzheimer - und zugleich extrem selten mit unter einem Prozent der Gesamtfälle.

Autosomal bedeutet in der Genetik, dass ein Merkmal unabhängig vom Geschlecht weitergegeben wird. Beispiel: Wer einen Vater hat, bei dem die seltene autosomal-dominante Alzheimer-Variante nachgewiesen wurde, hat somit ein 50-prozentiges Risiko, ebenfalls zu erkranken: "Wir haben jedes Chromosom doppelt - einmal von der Mutter, einmal vom Vater. Erhalten Sie das kranke von Ihrem Vater, erkranken Sie. Wenn nicht, dann nicht", fasst Levin zusammen.

Bei Menschen mit Symptomen erfolge die Diagnose in mehreren Schritten: neurologische Untersuchung, kognitiver Test, Bildgebung vom Kopf, neuropsychologische Testungen.

Es sei eine Typfrage und höchst individuell, aber: Manchen Angehörigen mit solch einem deutlich erhöhten Risiko helfe es, sich nach ausführlicher vorheriger Information in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Levin leitet am Standort München das dortige Zentrum der internationalen Studie DIAN ("Dominantly Inherited Alzheimer's Network", also "Netzwerk zur Erforschung der dominant vererbten Alzheimer Krankheit") mit dem klaren Ziel: neue Medikamente und Behandlungsformen zu finden. Dies kann der Forschung nur gelingen, wenn durch regelmäßige Untersuchungen an Risikopersonen messbare Daten zur Krankheit gesammelt werden.

500 Menschen nehmen weltweit an der Studie teil, mehr als 60 davon in Deutschland. Das erhöhte Risiko ist für viele eine enorme Belastung. "Trotzdem finden viele die Kraft zur Studienteilnahme und schöpfen aus ihrem Beitrag zur Forschung ihrerseits neue Kraft", beobachtet Levin. Teilnehmen können einwilligungsfähige Personen ab 18 Jahren, deren Vater oder Mutter oder Geschwister durch einen genetischen Test nachgewiesene krankheitsverursachende Mutationen in einem der bekannten "Alzheimer-Gene" (APP, PSEN-1 oder PSEN-2) aufweisen.

Die Teilnehmenden können Krankheitssymptome zeigen oder auch nicht. Sie müssen nicht wissen, ob bei ihnen eine Mutation vorliegt oder nicht. "Technisch lässt sich dies durch Gentests ohne Weiteres feststellen, praktisch macht man das aber bei klinisch Gesunden nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen und nach einer ausführlichen Aufklärung", erklärt Levin.

Das Testergebnis hätte nämlich durch noch fehlende Medikamente auf dem europäischen Markt keine therapeutische Konsequenz. Außerdem ist eine solche Testung bei Gesunden nur dann möglich, wenn die krankheitsverursachende genetische Veränderung in der Familie bekannt ist. Und dann wird in dem Fall auch nur nach dieser einen Veränderung gesucht.

"Es könnte sonst passieren, dass seltene Genvarianten bei Betroffenen gefunden werden, die zwar da sind, aber gar nicht krankheitsverursachend. Es besteht also das Risiko, dass diese fehlerhaft eingeordnet werden und Menschen dann 40 Jahre auf eine Krankheit warten, die niemals eintritt. Deshalb erhebt man solche Daten nur in Kenntnis der krankmachenden Veränderung in einer Familie", führt Levin aus.

Viertes Alzheimer-Gen? Eine Mutation ging kürzlich durch die Medien

Schlagzeilen machte aufgrund einer neuen, groß angelegten Analyse international verfügbarer Daten kürzlich das Gen APOE4: Wer sowohl von Mutter als auch vom Vater eine Kopie davon vererbt bekommt, erkrankt nahezu sicher, hielten die Forscher aus Spanien dabei fest.

Im Gegensatz zur autosomal-dominanten Alzheimer-Variante (bei der eine Kopie der drei "Alzheimer-Gene" reicht, um zu erkranken) stehen hier also zwei identische Kopien der Genvariante im Fokus, jeweils von der Mutter und vom Vater. Das galt bisher als erheblicher Risikofaktor. Die Studienautoren vom Sant-Pau-Institut in Barcelona sehen ihn aber durch ihre Forschung als "kausalen Faktor", stufen ihn also nun als Auslöser von Alzheimer ein.

Was ist APOE4?

  • APOE ist die Abkürzung für Apolipoprotein E. Die Aufgabe dieses Eiweißes ist es, wichtige Nährstoffe zu den Nervenzellen im Gehirn zu bringen. Beim Menschen kommen drei verschiedene Varianten des Proteins vor: APOE2, APOE3 und APOE4. Jeder Mensch hat - aufgrund des doppelten Chromosomensatzes - grundsätzlich zwei Gene für APOE. Diese können, müssen aber nicht von der gleichen Variante sein. Studien legen nahe, dass durch APOE4 die Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen aus dem Takt gerät und deshalb die Nervenzellen beschädigt werden. Zudem beschleunigten APOE4-Proteine massiv die Bildung der Amyloid-Plaques, die bei der Entstehung von Alzheimer eine zentrale Rolle spielen. (Quelle: dpa)

Die Initiative Alzheimer Forschung e.V. mahnt zur Vorsicht mit den Daten und merkt an, dass eben nicht jeder, der zwei Kopien des APOE4-Gens in sich trägt, zwangsläufig auch klinische Symptome einer Alzheimer-Krankheit entwickelt.

Die spanischen Forscher um Juan Fortea schildern, dass 95 Prozent der Personen mit zwei APOE4-Kopien im Alter von 65 Jahren stark erhöhte Werte von Amyloid-Proteinen im Nervenwasser aufwiesen. Das gilt als klarer Indikator für eine beginnende Alzheimer-Krankheit, heißt aber nicht zwangsläufig, dass in diesem Stadium Symptome auftreten.

Weiter halten die Forscher fest, dass die Gruppe der Mutationsträger im Laufe ihres Lebens "fast sicher" eine Alzheimer-Demenz entwickle, oft bereits sieben bis zehn Jahre früher als Personen mit anderen Genvarianten oder mit nur einer Kopie von APOE4. "Allerdings unterliegt dies und damit auch der klinische Ausbruch der Erkrankung einer großen Variabilität", sagt Levin. "Auf den Punkt gebracht: Nicht jeder wird erkennbar krank und zeigt Symptome."

Die Ergebnisse der Studie sorgten auch deshalb für so große Aufmerksamkeit, weil APOE4 vergleichsweise häufig in doppelter Ausführung vorkommt: bei rund zwei Prozent der Bevölkerung. Allein in Deutschland wären dies fast 1,7 Millionen Menschen. Das sind Zahlen, die erst einmal erschrecken, zumal laut Levin Alzheimer eine tödliche Erkrankung ist und nur rund fünf bis zehn der Patienten nach einer Alzheimer-Diagnose nach zehn Jahren noch leben. Zum Vergleich: "Zehn Jahre nach einer Krebsdiagnose leben noch 60 Prozent der Betroffenen", sagt er.

Großer Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten

Die Zahlen sind für Levin aber auch der entscheidende Grund, die Forschung und Zulassung von Medikamenten zu beschleunigen. In anderen Ländern wie den USA, China und Japan ist bereits ein Medikament im Einsatz, das die Ursache von Alzheimer bekämpft: "Lecanemab" (Markenname: Leqembi) wird alle zwei Wochen intravenös gespritzt und verlangsamt unter anderem die Ablagerungen der Plaques im Gehirn und somit das Fortschreiten der Krankheit.

"Das ist ein unerwarteter Rückschlag."

Neurologe Johannes Levin über die Ablehnung des Medikaments Lecanemab durch die EMA

Jedoch: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) lehnte die Zulassung des Alzheimer Medikaments in Europa kürzlich ab. Die zu erwartende Wirkung würde das Risiko von Nebenwirkungen nicht aufwiegen, so die Begründung. Für Fachleute wie Levin kam das überraschend: "Das ist ein unerwarteter Rückschlag, denn diese Therapieform ist die erste, die direkt an den Ursachen der Krankheit ansetzt und trotz begrenztem Nutzen einen echten Durchbruch darstellt. All das überwiegt die möglichen Nebenwirkungen."

So ging etwa Großbritannien auch einen anderen Weg: Ende August erteilte die Britische Aufsichtsbehörde MHRA eine Zulassung für das Medikament. Allerdings wird es nicht über das staatliche Gesundheitssystem NHS ausgegeben. Die dafür zustän­dige Finanzaufsicht hält das Medikament für zu teuer. Die Vorteile von Lecanemab seien "einfach zu gering, um die erheblichen Kosten für das NHS zu rechtfertigen", erklärte das Nationale Institut für Exzellenz von Gesundheit und Pflege (NICE).

Levins Einschätzung dazu: "Wissenschaftlich gesehen kann ich das nachvollziehen. Während hier die Daten zu einer Zulassung führen, muss die Frage der Finanzierung auf einer anderen Ebene geführt werden. Das findet in Großbritannien schlüssig statt."

Alzheimer-Beraterin rät: Blick auf Positives lenken

Hierzulande bekommen Patienten derzeit lediglich Medikamente, die die Symptome leicht beeinflussen können. Was die Forschung anbelangt, sei man inzwischen aber zumindest "schon an einem Punkt, der sehr vielversprechend ist", gibt Levin Hoffnung.

Bis wirksame Medikamente verfügbar seien, ließe sich die Sorge zu erkranken wohl nicht gänzlich abschalten, meint Mey. Dies gelte gerade für Familienmitglieder von Alzheimer-Patienten, die den Verlauf hautnah mitbekommen. Was vielen pflegenden Angehörigen hilft, sei der Austausch in Selbsthilfegruppen, die von regionalen Alzheimer-Gesellschaften angeboten werden: "Wichtig ist vor allem, nicht in einen Teufelskreis zu geraten und sich vor allem bewusst zu machen: Vergesslichkeit kann erst einmal etwas ganz Normales sein."

Daten zeigen, dass Demenzen zwar mehr werden in Zukunft, allerdings liegt dies an der demografischen Entwicklung. Das Erkrankungsrisiko in den Altersgruppen über 65 Jahren nimmt nämlich im Vergleich zu früheren Generationen ab, was Forscher auf die heute gesündere Lebensweise zurückführen. Dies senkt das Demenzrisiko und kann eine Erkrankung hinauszögern. Körperliche, geistige und soziale Aktivität gelten zum Beispiel als vorbeugende Maßnahmen.

Wer Fragen rund um die DIAN-Studie oder weitere klinische Studien des DZNE hat, kann sich im ersten Schritt an die Info-Hotline des DZNE wenden.

Info-Hotline des DZNE

  • Jeden Donnerstag zwischen 13:30 und 16:30 Uhr unter der Telefonnummer 0800/7799001 kostenlos erreichbar sowie per E-Mail: info-line@dzne.de.

Und dann rät Mey, deren Mutter ebenfalls Alzheimer-Patientin war: "Den Blick auf das Positive lenken. Das kann bedeuten: Bewusster leben, sich rechtzeitig kümmern um wichtige Dinge wie eine Vorsorgevollmacht, also das regeln und erledigen, was wir sonst gerne auf die lange Bank schieben."

Ihre Mutter durch ihre Krankheit zu begleiten, sei zwar oft traurig gewesen, aber nicht nur: "Meine Mutter hatte noch eine gute Lebensqualität und Lebensfreude in ihrer Krankheit." Mey erinnert sich bei aller Belastung auch an viele schöne Augenblicke in dieser Zeit. "Krankheit und Tod sind immer auch ein Verweis aufs Leben", schließt sie. "Sie erinnern daran, uns an schönen Dingen zu erfreuen und dankbar zu sein."

Über die Gesprächspartner

  • Der Neurologe und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Johannes Levin ist Stellvertretender Leiter der Klinischen Forschung und Forschungsgruppenleiter am Standort München des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) sowie Professor für Klinische Neurodegeneration und Leiter der Ambulanzen für kognitive Neurologie, für Bewegungsstörungen und der Ambulanz für kognitive Störungen bei Menschen mit Down-Syndrom an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der LMU München. Am DZNE München ist Johannes Levin Leiter der standortübergreifenden DIAN-Studie.
  • Laura Mey ist Soziologin und seit zehn Jahren Beraterin beim Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz.

Weitere verwendete Quellen

Scans von einem Gehirn

Neuer Sprachtest soll Demenz erkennen

Ein neues Computerprogramm soll Veränderungen in der Sprachmelodie analysieren und so Anzeichen von Alzheimer und Demenz erkennen.
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