Rund eine halbe Million Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an Krebs. Viele von ihnen müssen sich einer Chemotherapie unterziehen – doch allein das Wort löst Schrecken aus. Eine Expertin erklärt, wie eine Chemotherapie abläuft und räumt mit Mythen rund um die Behandlung auf.

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Was ist eine Chemotherapie?

Eine Chemotherapie ist eine medikamentöse Behandlung gegen Krebs, die sich gegen eine charakteristische Eigenschaft der Krebszellen richtet: Krebszellen sind entartete, körpereigene Zellen, die sich unkontrolliert vermehren, in benachbartes Gewebe wuchern und Tochtergeschwülste bilden können, sogenannte Metastasen. Diese ungehemmte Teilung der Krebszellen soll durch eine Chemotherapie verhindert werden.

Die eingesetzten Medikamente werden als Zytostatika bezeichnet, was sich mit "Zell-Hemmer" übersetzen lässt: Zytostatika sollen Krebszellen daran hindern, zu wachsen, sich zu teilen und sich zu vermehren.

Ist eine Chemotherapie heute noch zeitgemäß?

Das erste Chemotherapeutikum wurde im Jahr 1949 in den USA zugelassen. Inzwischen machen jedoch viele neue Behandlungsansätze gegen Krebs von sich reden, darunter Immuntherapien und zielgerichtete Medikamente. Bei vielen Betroffenen wecken sie die Hoffnung auf eine effektive, aber schonendere Behandlung – und darauf, dass ihnen eine Chemotherapie erspart bleibt.

Doch so einfach ist es nicht. "Die Chemotherapie ist bei sehr vielen Krebsarten immer noch unverzichtbar", sagt Fachapothekerin Dr. Anke Ernst vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Manche Krebsarten wie Leukämie oder Lymphome könnten bis heute nicht ohne Chemotherapie geheilt werden. Und nicht alle Krebsarten erfüllen die molekularen Voraussetzungen, die für die neuen Therapieansätze nötig sind.

Auch reichen die meisten zielgerichteten Therapien und Immuntherapien heute allein noch nicht aus, um Betroffene zu heilen – und auch diese neueren Therapieansätze sind nicht ohne Nebenwirkungen. "Chemotherapie bleibt weiterhin eine der wichtigsten Säulen der Krebsbehandlung", sagt Ernst.

Auch heute noch werden Zytostatika eingesetzt, die bereits vor 20 oder 30 Jahren entwickelt wurden. Das bedeutet jedoch das nicht, dass sich die Chemotherapie nicht weiterentwickelt hätte. "Es ist unglaublich viel an der Therapieoptimierung geforscht worden", sagt Ernst. "Es wurde an der Dosierung, an den Intervallen und an Wirkstoffkombinationen gefeilt, sodass man auch bei einer Chemotherapie heute häufig von einem personalisierten Ansatz sprechen kann."

Für wen kommt eine Chemotherapie infrage?

Eine Krebsdiagnose bedeutet aber nicht automatisch Chemotherapie. "Das ist einer der großen Mythen", sagt Anke Ernst. Nicht alle Krebspatientinnen und -patienten brauchen eine Chemotherapie – und nicht für jede und jeden kommt sie infrage.

Ob eine Chemotherapie angezeigt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter:

  • Krebsart
  • Krankheitsstadium
  • Behandlungsziel
  • allgemeiner Gesundheitszustand.

Wie bei den allermeisten Therapien müssen mögliche Risiken und Nutzen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. "Wenn ich gute Chancen habe, durch die Chemotherapie geheilt zu werden, dann nehme ich die Nebenwirkungen vielleicht eher in Kauf, als wenn die Therapie das Leben lediglich um ein paar Monate verlängern kann", sagt Ernst.

Wie läuft eine Chemotherapie ab?

Es gibt viele verschiedene Zytostatika, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden. Oft wird die Chemotherapie auch mit anderen Behandlungsmethoden kombiniert, etwa einer operativen Tumorentfernung, Bestrahlung oder Immuntherapien. Der genaue Behandlungsplan wird für jede Patientin und jeden Patienten individuell erstellt.

Meist werden Zytostatika als Infusion verabreicht, manche Wirkstoffe gibt es auch in Tablettenform. In beiden Fällen wirken die Medikamente jedoch systemisch. Das bedeutet, dass sie über den Blutkreislauf im gesamten Körper wirken. So können sowohl Tumore als auch einzelne Krebszellen bekämpft werden, die bereits durch die Blut- und Lymphbahnen wandern. Nur in seltenen Fällen werden sie lokal eingesetzt, etwa in Form von Salben bei oberflächlichen Hauttumoren.

Wie lange eine Chemotherapie dauert, hängt vom individuellen Therapieschema ab und kann sich über viele Wochen und Monate erstrecken. Meist besteht die Therapie aus mehreren Zyklen, in denen die Patientinnen und Patienten die Medikamente, abhängig vom individuellen Therapieschema, in einer bestimmten Reihenfolge an einem oder mehreren Tagen erhalten. Danach gibt es eine mehrtägige oder längere Pause, in der sich die gesunden Zellen erholen können.

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Für die Infusionen suchen die Betroffenen spezielle Chemoambulanzen, Tageskliniken oder niedergelassene Facharztpraxen auf. Eine Sitzung kann eine halbe Stunde bis zu mehreren Stunden dauern. Die Behandlung ist in der Regel ambulant, danach können die Betroffenen nach Hause gehen. "Geht es Krebspatientinnen und -patienten sehr schlecht oder sind sie besonders infektionsanfällig, erhalten sie ihre Chemotherapie auch stationär", sagt Ernst.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Zytostatika wirken nicht spezifisch gegen Krebszellen – sie hemmen das Wachstum aller Zellen. Betroffen sind davon insbesondere jene Zellen, die sich häufig teilen. Dazu gehören Tumorzellen, aber auch gesunde Körperzellen des Blut- und Immunsystems, der Haut, Schleimhäute und Haare.

Die Annahme, dass bei einer Chemotherapie immer die Haare ausfallen, sei in dieser Pauschalität jedoch ein Mythos, sagt Ernst. Entscheidend sei, welche Wirkstoffe zum Einsatz kommen. "Bei den meisten Zytostatika, wie sie beispielsweise gegen Brustkrebs eingesetzt werden, fallen die Haare aus. Bei anderen, zum Beispiel bestimmte Zytostatika gegen Darmkrebs, hingegen eher nicht", sagt Ernst.

Zu den mit Abstand häufigsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie zählen Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Auch die Neubildung von roten und weißen Blutkörperchen sowie der Blutplättchen kann beeinträchtigt werden, was zu Blutarmut (Anämie), einem erhöhten Infektionsrisiko oder einer erhöhten Blutungsneigung führen kann. Auch der Geschmacksinn kann vorübergehend verloren gehen.

"Die allermeisten Nebenwirkungen verschwinden nach Ende der Chemotherapie", sagt Ernst. Allerdings gebe es auch Nebenwirkungen, die bleiben – etwa, wenn Organe wie die Niere oder das Gehör durch die Behandlung nachhaltig geschädigt werden. Auch die Fatigue, eine schwere und langanhaltende Erschöpfung, kann im Rahmen einer Chemotherapie auftreten und auch nach der Behandlung andauern.

Inzwischen gebe es aber sehr gute Medikamente, mit denen viele Nebenwirkungen vorgebeugt oder behandelt werden könnten, sagt Ernst. Vor allem in Hinblick auf Übelkeit und Erbrechen gehe es vielen Patientinnen und Patienten heute sehr viel besser als noch vor 20 Jahren. "Natürlich ist eine Chemotherapie insgesamt sehr belastend", sagt Ernst. "Aber das Bild von todkranken Menschen, die durch die Chemotherapie keinen Fuß mehr auf den Boden setzen können, stimmt so heute in den allermeisten Fällen nicht mehr."

Was sollte ich vor einer Chemotherapie beachten?

Ist die Familienplanung noch nicht abgeschlossen, sollten sich Betroffene vor Beginn der Therapie Gedanken machen, ob sie Spermien oder Eizellen einfrieren lassen möchten. Denn eine Chemotherapie kann die Keimzellen schädigen und zu Unfruchtbarkeit führen. "Wer später Kinder haben möchte, sollte sich mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten beraten, welche Möglichkeiten es gibt", rät Ernst.

Überprüfen sollte man auch den Impfstatus. Falls nötig, sollten Impfungen möglichst noch vor der Behandlung aufgefrischt werden. "Das gilt auch für Angehörige", sagt Ernst. Denn durch eine Chemotherapie kann das Immunsystem der Betroffenen stark geschwächt werden, was sie anfälliger für Infektionen macht.

Deshalb sollten auch Zahnbehandlungen möglichst vor dem Beginn der Chemotherapie durchgeführt werden, um das Risiko von Infektionen und Komplikationen zu reduzieren. Denn bestehende Zahn- und Zahnfleischerkrankungen können sich während einer Chemotherapie verschlimmern. Auch die Wundheilung ist während der Therapie schlechter. "Gehen Sie vorher zum Zahnarzt und lassen Sie sich noch mal durchchecken", rät Ernst.

Was sollte man während einer Chemotherapie beachten?

Eine Chemotherapie ist nicht nur für die Betroffenen belastend, sondern auch für das Umfeld. Gefährlich ist die Chemotherapie für Angehörige jedoch nicht. "Sie können die Person umarmen oder auch küssen. Das ist überhaupt kein Problem", sagt Ernst. Bei Kontakt zu Körperausscheidungen sollten Angehörige jedoch auf Hygiene zu achten, vor allem auf sorgfältiges Händewaschen.

Von speziellen Diätvorschriften für Krebspatientinnen und -patienten wird inzwischen abgeraten. In Kombination mit Appetitlosigkeit, Übelkeit oder Erbrechen, die mit einer Chemotherapie einhergehen, besteht sonst das Risiko einer Mangelernährung. Es gibt bislang auch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass bestimmte Diäten oder Fastenkuren die Nebenwirkungen einer Chemotherapie lindern können. "Allgemein gilt: Was schmeckt und vertragen wird, darf man auch essen."

Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige

  • Weiterführende Informationen zum Thema Krebs finden Sie auf der Homepage des Krebsinformationsdienstes. Betroffene und Angehörige können Ihre Anfragen auch per Mail an krebsinformationsdienst@dkfz.de oder telefonisch unter der Rufnummer +49 800 420 30 40 (täglich von 8 bis 20 Uhr) stellen.

Körperliche Bewegung wird hingegen durchaus empfohlen. "Heute sagt man nicht mehr: Jemand, der eine Chemotherapie bekommt, muss sich schonen. Im Gegenteil", sagt Ernst. Bewegung und körperliche Aktivität können Patientinnen und Patienten während der Therapie sehr guttun, und Nebenwirkungen wie zum Beispiel die Fatigue lassen sich dadurch vorbeugen. Über den genauen Umfang der Aktivität sollten sich Betroffene von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt beraten lassen.

Wie hoch sind die Erfolgschancen?

Die Chemotherapie ist eine gut erforschte Form der Krebsbehandlung. Wie hoch die Erfolgschancen sind, lässt sich aber nicht pauschal beantworten. Jede Krebsart und jeder Körper reagiert anders auf die Chemotherapie, und auch das Stadium der Krebserkrankung hat Einfluss auf die Prognose.

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Heilungschancen bei Krebs aber deutlich gestiegen. Das liegt nicht nur an einer besseren Früherkennung, sondern auch an immer ausgefeilteren Behandlungskonzepten. Gerade bei vielen Leukämien und Lymphomen gilt die Chemotherapie nach wie vor als Therapie mit den besten Heilungschancen.

"Eine Chemotherapie bedeutet für sehr viele Menschen Hoffnung auf Heilung", sagt Ernst. "Sie können sich darauf verlassen, dass Ärztinnen und Ärzte die Behandlung so auswählen, dass der Nutzen für Sie stets größer ist als die Risiken."

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Anke Ernst ist Fachapothekerin für Arzneimittelinformationen und leitet die Internet- und Social-Media-Redaktion des Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Der Krebsinformationsdienst ist eine Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten, Angehörigen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich rund um das Thema Krebs informieren wollen.

Verwendete Quellen

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