"Gefährliche Medikamente – gepanscht, gefälscht, gestreckt". Der Titel der ARD-Doku lässt nichts Gutes ahnen. Und in der Tat ist das Bild, das die Doku zeichnet, ein ebenso düsteres wie skrupelloses. Ja, es gibt tatsächlich Fälschungen von Medikamenten und ja, auch hier in Deutschland.
Das Wichtigste bei der Überwindung einer Krankheit, da dürften die wenigsten widersprechen, ist Vertrauen. In den Arzt, in die Behandlung und natürlich nicht zuletzt in die Medikamente, die man verschrieben bekommt.
"Vertrauen ist das höchste Gut in der Arzneimittelversorgung", erklärt auch Apotheker Detlef Glaß in der gestrigen Dokumentation im Ersten.
Doch was, wenn dieses Vertrauen in die Medikamente, die man einnehmen soll, ein falsches ist? "Ich habe einmal zu einem Staatsanwalt gesagt: 'Wenn eines meiner Kinder an Krebs erkranken sollte, dann vertraue ich den Vertriebswegen in Deutschland nicht mehr'", sagt ebenjener Apotheker weiter.
Ist die Situation wirklich so schlimm? Gibt es tatsächlich gefälschte Medikamente in Deutschland? Wo kommen sie her und was wird dagegen unternommen? Was sind die Folgen und wie kann man sich davor schützen?
Mit genau diesen Fragen beschäftigte sich gestern Abend die Dokumentation "Gefährliche Medikamente – gepanscht, gefälscht, gestreckt" im Ersten.
Es war mit ihren 30 Minuten eine sehr knackige Dokumentation, bei der Betroffene, Ärzte, Whistleblower und andere Beteiligte zu Wort kommen. Dazu wurde der Zuschauer mit zahlreichen Zahlen und Fakten konfrontiert – allerdings wenig zuschauerfreundlich ohne optisch ansprechende Darstellung.
Hier die wichtigsten Fakten der Dokumentation von Daniel Harrich noch einmal im Überblick:
Wer steckt hinter den Fälschungen von Medikamenten?
Große Pharmakonzerne lassen inzwischen in Niedriglohnländern produzieren, um Kosten zu sparen. Dreh- und Angelpunkt bei der Herstellung von Medikamenten ist Indien und hier im Speziellen Mumbai. In ganz Indien gibt es laut Doku 15.000 Firmen im produzierenden Pharmabereich.
Zwar sollten auch in Indien internationale Qualitätsvereinbarungen eingehalten werden, doch das Problem ist, dass die Auftragnehmer wiederum Subunternehmen engagieren, bei denen weniger kontrolliert wird.
Die Bilder, die die Doku von den Produktionsbedingungen einer dieser "Firmen" zeigt, sind erschreckend. In einem Schuppen werden mit der Hand Pillen abgepackt, auf dem Boden krabbeln Ameisen herum.
Die Gewinne, die sich mit den gefälschten, gepanschten oder gestreckten Medikamenten machen lassen, sind offenbar enorm. "Mit 1.000 Euro Investment kann man bis zu 500.000 Euro verdienen", erzählt Hans Joachim Mill, ein ehemaliger Sicherheitschef eines großen Pharmakonzerns.
Wie gefährlich sind Fälschungen von Medikamenten?
Wie gefährlich gefälschte oder falsch dosierte Medikamente sein können, kann man sich vorstellen, wenn es zum Beispiel um Anti-Baby-Pillen oder um chronische und schwere Krankheiten geht.
Wie zum Beispiel beim Fall Petra H., den die Dokumentation schildert. Petra H. erhielt vor sechs Jahren die Diagnose Nierenkrebs. Ihr Arzt, Dr. Michael Staehler, vom Klinikum Universität München erklärt, dass es bei der Behandlung zunächst eine gute Tumorwirksamkeit gegeben habe, bei einer neuen Packung sei es dann aber zu Bildung neuer Metastasen gekommen und die Nebenwirkungen seien ausgeblieben.
Staehler kommt zu dem Schluss, dass Petra H. offensichtlich eine nicht wirkende Fälschung eingenommen haben muss.
Nicht nur, dass das Medikament nicht gewirkt habe, laut Staehler sei der Patientin durch die "Pause" auch Lebenszeit genommen worden. "Das ist ein billigendes Töten von Patienten zur Maximierung eigener Profite", so Staehler.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass weltweit etwa zehn Prozent der Medikamente minderwertig oder gefälscht sind. Besonders schwer betroffen seien vor allem die ärmeren Länder. Aber auch Deutschland ist nicht sicher vor den kriminellen Machenschaften. Hier seien laut Dokumentation etwa ein Prozent der Medikamente minderwertig oder gefälscht. In Ländern wie Indien hingegen seien es geschätzte 30 Prozent.
"Deutsche Apotheken sind relativ sicher", meint der ehemalige Sicherheitschef Hans-Joachim Mill. "Aber man ist nicht davor gefeit, eine Fälschung in die Hand gedrückt zu bekommen", erzählt Mill weiter.
Immer wieder würden laut Doku gefälschte oder gepanschte Medikamente gefunden, wie der Fall der Zollfahndung Essen zeigt, bei dem 3,5 Millionen Tabletten von Psychopharmaka bis hin zu Antibiotika sichergestellt wurden.Geschätzter Wert der illegalen Medikamente: 14 Millionen Euro.
Auch Petra H., die Krebspatientin, hatte laut Doku ihr Krebsmedikament aus einer deutschen Apotheke bezogen. Professor Martin Schulz von der Arzneimittelkommission deutscher Apotheker spricht von 8.900 Verdachtsfällen in Bezug auf gefälschte Medikamente im vergangenen Jahr und beklagt vor allem die zum Teil völlig intransparenten Vertriebswege der Medikamente: "Die lückenlose Kontrolle ist nicht so, wie sie eigentlich sein sollte."
Was wird gegen gefälschte Medikamente getan?
Die Europäische Union verlangt laut Doku von den Herkunftsländern Zertifikate, nur würden diese mitunter ohne Prüfung ausgestellt. In Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für die Medikamentensicherheit zuständig, verschiedene Arzneimittelbehörden weltweit ermitteln gegen Fälscher-Firmen und Banden.
Doch die Strafverfolgung sei schwierig: "Es gibt keine angemessenen Strafen. Die Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden sind begrenzt und reichen nicht aus. Und die Kriminellen wissen das ganz genau", erzählt Aline Plançon, die 12 Jahre lang bei Interpol gearbeitet und ein Programm zur Pharma-Kriminalität entwickelt hat.
Was können Verbraucher tun?
Hier gibt die Dokumentation wenig handfeste Ratschläge – im Gegenteil. Das Bild, das der Film von den Möglichkeiten der Patienten zeichnet, stimmt wenig hoffnungsfroh, wie das Beispiel der krebserkrankten Petra H. zeigt.
"Da überkommt sie einfach Hilflosigkeit", erklärt H. über den Moment, als sich wegen der Nicht-Wirksamkeit des Medikaments wieder Metastasen bei ihr gebildet haben.
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