Telegram ist ein Messengerdienst mit dem man individuell oder in Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern kommunizieren kann. Weil dort Gewaltaufrufe verbreitet werden, ist Telegram zu einem Problem für den öffentlichen Frieden geworden. Unterfällt der Dienst dem NetzDG und was hilft das? Kann man Telegram in Deutschland zur Not blockieren?

Rolf Schwartmann
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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In Deutschland soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) helfen, Hass im Netz zu bekämpfen. Anbieter von Kommunikationsdiensten, die "beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen", haben nach dem Gesetz Pflichten. Sie müssen rechtswidrige Inhalte löschen, künftig ein Meldeverfahren einrichten und Beschwerdemanagement-Systeme vorhalten.

Kommt es zu einer Straftat, wie etwa einem Gewaltaufruf durch einen Nutzer, dann muss der Anbieter das verfolgen, prüfen und verbotene Inhalte sperren. Damit er erreichbar ist, muss er einen Ansprechpartner in Deutschland benennen.

Telegram unterfällt dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Man solle das NetzDG nachschärfen und durchsetzen, so lautet eine generelle Forderung vieler. Jede Nachschärfung sollte aber evidenzbasiert und nicht hoffnungsbasiert sein und vor allem nicht aktionistisch. Zumindest mit Blick auf den Anwendungsbereich des NetzDG scheint ein Nachschärfen nicht nötig.

Da Telegram offene Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern zulässt, dürfte der Dienst auch zum Austausch zwischen einer unbestimmten Anzahl von Personen bestimmt sein. Die Anwendbarkeit des NetzDG ist also insoweit kaum zu bestreiten. Daran dürfte sich bei der Reichweite und Gefährlichkeit großer Gruppen auch nichts ändern, weil man zur Anmeldung anders als bei Facebook eine Telefonnummer benötigt. Spätestens seit der Ankündigung im Oktober dieses Jahres, man werde künftig auf Telegram auch Werbung einbinden, dürfte auch die vom Gesetz genannte Gewinnerzielungsabsicht außer Frage stehen.

Rechtsdurchsetzung in Kooperation - was tun, wenn ein Anbieter sie verweigert?

Wie steht es um die Durchsetzung eines Rechts, das auf der Kooperation mit den Rechtsunterworfenen basiert? Schlecht, denn wie soll in Abhängigkeit von der Mitwirkungspflicht des zentralen Beteiligten außerhalb des Zugriffsbereichs des Staates ein theoretisch noch so scharfes Mittel durchgesetzt werden? Gar nicht, denn alle Pflichten des Gesetzes gehen ins Leere, wenn ein Anbieter außerhalb des staatlichen Machtbereichs sie ignoriert. Das scheint Telegram, mit Sitz vermutlich in Dubai, zu tun. Das Unternehmen soll weder im Inland noch im Ausland ansprechbar sein und Bußgeldbescheide des Bundesamtes für Justiz bislang schlicht ignoriert haben.

Geoblocking: Warum sperrt man Telegram nicht einfach aus?

Wenn über einen Dienst verbotene Inhalte verbreitet werden und dieser sich weigert, rechtliche Pflichten zu erfüllen, kann man ihn dann nicht einfach per Geoblocking aus dem "deutschen Internet" aussperren?

Geoblocking kennt man vor allem im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen. Wenn Anbieter von Diensten wie Netflix verhindern wollen, dass Nutzer aus einer bestimmten Region Datenkontakt zu ihrem Angebot aufnehmen, damit ein Film in einer anderen Region, für die kein Senderecht besteht, abrufbar ist, dann identifizieren und blockieren sie den Zugriff. Entscheidend ist, dass diese Maßnahme durch den Anbieter des Dienstes, im Beispiel Netflix, erfolgt, weil das Unternehmen diese Sperre etwa aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung zur Wahrung geistigen Eigentums will.

"Staatliches Geoblocking" ist ein schwerer Eingriff

Will aber der Anbieter nicht sperren, sondern seine Inhalte sollen umgekehrt und gegen seinen Willen vom und aus dem Netz ausgesperrt werden, kann der Staat aktiv werden. Dazu müssen Provider wie 1und1 oder die Telekom durch den Staat dazu verpflichtet werden, Nutzer, die über das "deutsche Internet" den Dienst erreichen wollen, zu blocken. Es sind also sogenannte partielle Netzsperren für die Kommunikation über den Dienst erforderlich, die man bislang etwa aus China oder Russland kennt.

Der Koalitionsvertrag ist hier zurückhaltend. Die Regierung will das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet gewährleisten. Man will nur anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gesichert im Einzelfall vorgehen. Mit "Login-Fallen" will man grundrechtsschonend Täter identifizieren. Auf dieser Basis wird man die erforderlichen flächendeckenden Sperren nicht vornehmen können.

"Staatliches Geoblocking" ist untauglich

Selbst wenn der Staat sich zum "staatlichen Geoblocking per Netzsperre" entschiede, dann wäre sie in vielen Fällen nutzlos, weil es technisch leicht umgangen werden kann. Wer als Nutzer nicht möchte, dass seine Kommunikation per Telegram als solche erkannt wird, der kann seinen Netzverkehr leicht verschleiern. Dazu muss man nur einen sogenannten VPN-Tunnel benutzen, oder den Tor Browser, der anonymeres Surfen sogar im Darknet ermöglicht. Wer also die Sperre seiner Kommunikation umgehen möchte, der kann das tun.

Die Netzsperre per Geoblocking hilft also nur gegen völlig unbedarfte Nutzer. Unter Telegram-Nutzern dürfte sich herumgesprochen haben, wie man sich dem Zugriff des Staates entzieht. Spätestens nach einer Sperre würde sich vermutlich schnell eine Telegram-Community finden, die den Nutzern Tipps und Tricks zur Umgehung staatlichen Geoblockings vermittelt.

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