Matsch, endlose Vollgas-Passagen und richtig spitze Steine: Das Unbound Gravel stellte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder vor besondere Herausforderungen. Sebastian Breuer feierte einen besonderen Erfolg – und blickt zurück auf die wilden Tage in den USA.

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Aus dem Nähkästchen: In seiner GRAVELBIKE-Kolumne nimmt uns Sebastian Breuer mit hinter die Kulissen. Und zwar sowohl was sein Leben als Radsportler als auch seinen Beruf als Liaison Manager bei Schwalbe betrifft. Hier liefert euch Sebastian regelmäßig Anekdoten, Tipps und Infos aus der Welt des Gravelbikes. In Folge 4 berichtet Seb von seinen Vorbereitungen auf das Rennen des Jahres.

Folge 5: Die große Unbound-Rückschau

Ein paar Tage sind ins Land gezogen, seit dem letzten Eintrag in meiner GRAVELBIKE-Kolumne. Und was für Tage das waren. Wow! Nach meinem Sieg beim Unbound XL habe ich die Tage einfach mal richtig genossen. Doch bevor ich euch mehr zu meinem Rennen erzähle, möchte ich erstmal auf die gesamte USA-Reise zurückblicken. Seid ihr bereit? Hier kommt meine Nachlese zum Unbound 2024.

Starten wir mit einem kurzen Disclaimer: Falls ihr schwache Nerven habt, solltet ihr nicht mit einer amerikanischen Airline reisen. Es ist einfach Chaos pur. Wir haben es zwar alle zum Start nach Emporia und anschließend wieder nach Hause geschafft. Aber die Reise war sehr mühsam und stressig. Und günstig ist der Spaß ja auch nicht gerade.

Schlammkur mit Paul Voß

Doch wie gesagt, wir sind alle angekommen. Vor Ort lag mein Fokus während der ersten Tage voll auf der Besichtigung der Strecke. Dabei war ich in bester Gesellschaft, denn ein gewisser Paul Voß war mit mir unterwegs. Er war es auch, der unseren Jeep während der Streckenbesichtigung wieder aus dem tiefen Matsch manövriert bekommen hat. Womit wir schon bei den krassen Herausforderungen des Unbounds sind. Denn kurz vor unserem Strecken-Check hatte es geregnet. Und das bedeutet in Kansas vor allem eins: Es gibt Peanut Butter Mud. Zu Deutsch Erdnussbuttermatsch. Das Zeug wirkt wie Kleber. Der Matsch setzt sich überall fest und du wirst ihn nicht mehr los. Und ohne Pauls Fahrkünste hätte ich der Mietwagenfirma eine gute Ausrede präsentieren müssen, warum der Jeep irgendwo im Nirgendwo tief eingesunken und für ewige Zeit verloren ist.

Aber nicht nur der Matsch war heftig. Alle zwei Jahre wechselt die Route beim Unbound von Süd auf Nord. So gab es für mich im dritten Jahr also erstmals die Nordroute. Das bedeutet: deutlich mehr Höhenmeter, technischere Abschnitte und vor allem sehr scharfe Steine, die sogenannten flint stones. Diese kleinen Steine reißen dir ohne Vorwarnung die Seitenwand vom Reifen auf. Und zwar nicht nur am Fahrrad. In der Woche vor dem Unbound-Start gab es alleine in meinem näheren Umfeld fünf von den Steinen aufgeschlitzte Autoreifen. "Serious shit", wie der Amerikaner sagen würde. Ihr könnt euch vorstellen, dass dieses Thema mir ordentlich Kopfzerbrechen bereitet hat. Plötzlich wollten viele Athleten auf Mountainbike-Reifen wechseln. Jasper Oeckeloen von der Dutch Mafia hat sich gar spontan sein Mountainbike per Express schicken lassen.

Winterreifen für den Sommer in Kansas

Insgesamt hatte ich 16 Athleten, um die ich mich gekümmert habe. Dazu kamen weitere Sportler, die nach meiner Einschätzung zu Reifenwahl und Luftdruck gefragt haben. Und jetzt kommt die Kontroverse: Final habe ich mich bei manchen Athleten und auch bei meinem eigenen Setup für die Winterversion des Schwalbe Overland in 45 oder 50 mm Breite entschieden, also den Overland 365. Gefüllt mit rund 140 ml Milch pro Reifen, dazu mit Luftdruck im eher oberen Bereich der Range, um Durchschläge zu vermeiden. Von meinen Athleten ist niemand auf MTB-Reifen gefahren. Insgesamt hat man im Rennen aber sehr viele dieser Reifen gesehen. Gegen den Matsch haben Paul und ich unsere Räder übrigens mit einem speziellen Teflon-Spray aus der Küchenabteilung eingesprüht. Bremsen und Bremsscheiben haben wir aber natürlich ausgelassen.

Zusammengefasst kann ich sagen, dass ich noch nie so viel Arbeit mit einer Rennvorbereitung hatte, wie dieses Jahr in Emporia. Wirklich jeder Athlet hat versucht, den letzten kleinen Vorteil zu finden. Psycho-Spielchen bei Instagram inklusive.

Im Rennen selbst hat sich die Reifenwahl dann im Großen und Ganzen als richtig herausgestellt. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle pannenfrei durchgekommen sind. Es gab Cuts, es gab Durchschläge, es gab zerstörte Felgen. Ein Radrennen unter diesen besonderen Umständen ist und bleibt eine Gratwanderung. Aber wir haben das Beste draus gemacht und mit Carolin Schiff auf Platz sechs und Sebastian Schönberger auf Platz neun im Unbound 200 passable Ergebnisse erzielt.

Klar, als Liaison Manager war ich mit den Siegen von Carolin Schiff und Ivar Slik in den vergangenen beiden Jahren ziemlich verwöhnt. Aber die Erinnerung daran bringt mir nur noch mehr Motivation für das kommende Jahr. Denn wir kommen wieder. Und wir greifen wieder an. Welche Athleten ich dabei besonders im Blick habe, können sich ein paar von euch vielleicht schon denken. Kleiner Tipp: Einer von ihnen ist ein ziemlich guter Jeep-Pilot.

Der perfekte Tag mit 1030 Watt

Jetzt aber zu meinem Rennen: Ich habe die 560 Kilometer lange XL-Version des Unbound gewonnen. Endlich! Ich könnte mein Rennen rund um Emporia nun ausführlich zusammenfassen. Doch das Wichtigste ist schon gesagt. Es war einfach der perfekte Tag, an dem alles zusammengelaufen ist. Und es war alles dabei. Ich habe mein Fahrrad eine Stunde lang durch den Matsch getragen. Es gab heikle Situationen in technischen Abfahrten. Es gab schier endlos lange Vollgas-Passagen. Und es gab immer wieder kurze, steile Anstiege. Vor allem aber gab es einen Sprint um den Sieg. Meine Spitzenleistung nach 20:05 Stunden: 1030 Watt. Und dann war da einfach nur noch dieses tolle Gefühl. Eine Mischung aus Genugtuung und Glück. Übrigens: Ich selbst hatte bei meinem Rose Backroad FF den Overland 365 in 45 mm montiert.

Zum Abschluss dieser Folge möchte ich mich bei allen Beteiligten für eine tolle Zeit in Emporia bedanken. Wenn du dir das Haus mit sieben Menschen, acht Kaffeemühlen und neun verschiedenen Sorten Kaffee teilst, muss die Stimmung einfach gut sein. Das ist sicherlich auch ein entscheidender Anteil am Erfolg: ein guter Flow. In diesem Sinne: Bis nächstes Jahr, Emporia!

Ach ja, falls ihr euch jetzt fragt, ob ich meinen Sieg beim Unbound XL im kommenden Jahr verteidigen werde: Nein, werde ich nicht.

Und last but not least noch ein wenig Eigenwerbung: Mein neuer Adventure Coffee war in Kansas natürlich auch dabei. Mehr dazu erfahrt ihr auf meiner neuen Website: sebastianbreuer.de

Bis bald, euer Seb

Folge 4: Unbound Gravel – Match fun in Kansas

Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich nicht nur mitten in den USA. Ich bin auch mitten in einer der wichtigsten Wochen des Gravelbike-Kalenders. Denn am Wochenende steigt hier in Kansas das Unbound Gravel. Zum dritten Mal in Folge unterstütze ich hier unsere Schwalbe Pro Athleten bei dem Unbound 200. Wobei die 200 für die 200 Meilen des Rennens stehen, umgerechnet also etwa 320 Kilometer. Und wenn ich meine Arbeit getan habe, darf ich selbst aufs Rad springen. Am Freitagnachmittag starte ich in die 560 Kilometer lange XL-Variante des Unbound. Statt Urlaub mit Bier und BBQ im US-Style geht es hier also um Arbeit und Race-Action. Den Urlaub brauche ich dann wahrscheinlich im Anschluss.

Mit dem legendären Gravelrennen verbinde ich ganz besondere Erfolgsgeschichten. Im ersten Jahr meiner Teilnahme als Liaison Manager von Schwalbe hat Ivar Slick das Rennen über die 320 Kilometer gewonnen. Vergangenes Jahr krönte sich Caro Schiff mit ihrem Sieg zur Königin des Gravel-Sports. Und was dürfen wir für 2024 erwarten? Überhaupt: Sollte man nicht aufhören, wenn es am schönsten ist? Das stimmt wahrscheinlich, aber das Unbound hat jedes Jahr neue, extreme und gefühlsgeladene Geschichten zu erzählen. Dieses Jahr steht die Nord-Route an, ein für mich bis jetzt unbekanntes Gebiet. Also alles auf null, alles von vorne. Jeder "Stein" wird sprichwörtlich nochmal neu umgedreht. Und davon gibt es rund um Emporia bekanntlich sehr viele.

Blick auf den doppelten Unbound-Sieg

Um alles gut zu planen und mir Gedanken zu den passenden Reifen zu machen, bin ich in diesem Jahr besonders früh angereist. Mein Ziel: Der doppelte Unbound-Sieg. Dabei habe ich meine persönlichen Favoriten für dieses Rennen im Kopf. Und natürlich fahren einige von ihnen unter der Schwalbe-Flagge. So wie Paul Voß, Caro Schiff, Petr Vakoc und Jasper Oeckeloen. Aber auch Formel-1-Pilot und Gravelbike-Fan Valtteri Bottas braucht Reifen. Nur das seine Boxen-Crew diesmal eben nur aus einem Mann besteht.

Das ich selbst das Unbound XL gewinnen will, ist inzwischen sicher auch kein Geheimnis mehr. Wie bekomme ich also beides unter einen Hut? Im Grunde ist das simpel. Ich habe die Tage vor dem Rennen genug Zeit, um mich mit dem Kurs und der Wahl des entsprechenden Reifen-Setups zu beschäftigen. Das bedeutet, dass ich mir jeden Meter der Strecke anschaue, mit den Athleten spreche und zum Beispiel viel Zeit mit Paul verbringe. Denn das, was für mein Rennen in Frage kommt, ist ohne Zweifel auch der richtige Reifen für das kürzere Rennen über die 320 Kilometer. Zwei Fliegen mit einer Klappe also.

Ein Tornado zur Begrüßung

Dabei wage ich jetzt schon zu prophezeien: Das Unbound 2024 wird wieder irre. Speziell mit Blick auf die neue Strecke machen sich viele Menschen hier viele Gedanken. Zum Beispiel, weil sie für die vermeintlich krassen Abfahrten breitere Reifen wollen. In meinen Augen wird aber viel eher der Matsch ein Problem. Schon bei meiner Ankunft wurde ich abends von einem Tornado begrüßt. Am Tag danach bin ich mal auf die Strecke. Du fährst fünf Meter im Matsch, dann geht nichts mehr. Der Matsch klebt so extrem an den Reifen, du kannst das Rad nicht mal mehr schieben.

Jetzt ist es Hoffen und Bangen, dass es entweder richtig regnet, damit der Matsch flüssig wird und nicht so klebt. Oder dass es trocken wird. Allerdings ist für die kommenden Tage Regen angesagt. Paul und ich sind einen großen Teil der Strecke in einem Jeep abgefahren. Selbst damit wären wir fast im Matsch stecken geblieben. Das ist völlig irre.

Harte Anforderungen an Mensch und Material

Die Strecke selbst scheint in diesem Jahr etwas technischer zu sein. Der Schotter wirkt gröber und es gibt deutlich mehr Höhenmeter. Das allein sind bereits einige Anforderungen an die Reifen, vom Wetter mal ganz abgesehen. Die persönlichen Präferenzen der jeweiligen Athleten sind aber auch ein entscheidender Faktor. Paul beispielsweise ist nicht Petr, Petr ist nicht Ivar und Ivar ist sowieso ganz anders. Sprich: Jeder Athlet fährt sein Rad anders. Darauf sollte das Setup aus Reifen, Dichtmilch, Luftdruck, und Felge abgestimmt sein. Mit Paul habe ich speziell hierfür schon früh im Jahr getestet. Dieses Projekt hat bei uns beiden einen sehr hohen Stellenwert und nun kommt diese Arbeit zu seinem vorläufigen Höhepunkt. An der Stelle bin ich dann auch parteilich. Meine Daumen sind für ihn gedrückt.

Und mein Rennen? Wie schon gesagt, ist das Unbound XL rund 240 Kilometer länger als das Unbound 200. Es ist ein völlig anderes Rennen. Aber es ist ganz bestimmt nicht weniger anspruchsvoll. Auch hier ist das Niveau in den vergangenen zwei Jahres extrem nach oben gegangen. Der Startschuss fällt wieder auf Freitag um 15:00 Uhr. So richtig startet das Rennen aber erst tief in der Nacht. So gegen 3:00 Uhr, wenn alle leiden und kämpfen. Dann zeigt sich, wer leidensfähiger ist, wer stärker ist, wer die besseren Entscheidungen trifft. Denn nur dann hast du die Chance, das Rennen nach rund 22 bis 23 Stunden zu gewinnen.

Unbound 2024: Ich bin bereit. Bereit für Jahr Nummer drei in Folge!

Bis bald, euer Seb

Folge 3: The Traka – Vorschau auf das große Rennen

Girona is calling. Das klingt nach guten Cafés, Restaurants und spanischer Siesta im Anschluss an die genussvolle Gravel-Tour. Schön wäre es! Denn die Tage rund um das Gravelbike-Rennen "The Traka" sind zwar mit die schönsten und spannendsten des ganzen Jahres. Aber auch wenn es ein echtes Highlight ist, bedeutet es trotzdem super viel Stress.

Innerhalb kürzester Zeit hat sich das Event in Girona zum wichtigsten Gravelbike-Rennen in Europa entwickelt. Weltweit zählt es neben dem Unbound Gravel in den USA und der Gravelbike-WM zu den Top drei. Und dabei wird es in diesem Jahr erst zum vierten Mal ausgetragen.

Premiere über 560 Kilometer

Dieses Jahr wird es zum ersten Mal, sicher auch angelehnt an das lange Unbound XL, ein Rennen über 560 Kilometer mit rund 10000 Höhenmetern geben. Auf dieses "The Traka Adventure" bereite ich mich als Athlet als mein erstes Highlight der Saison 2024 vor. Das wird auch ein krasses Brett. Denn zum einen kann das Wetter auch in Spanien unberechenbar sein. Und zum anderen wird es eine echte Meisterleitung, die Verpflegung während des Rennens zu organisieren. Anders als die restlichen Distanzen über 360, 200, 100 und 50 Kilometer, findet die 560er-Variante im Self-Supported-Modus statt. Die Verpflegung von außerhalb über Dritte ist also untersagt, ich muss alles selbst organisieren. Es ist ein bisschen wie in den wilden Anfängen der Tour de France vor rund 120 Jahren. Nur halt mit Garmin und Smartphone. Stay rare baby!

Auch in meinem Beruf als Liaisonmanager mache ich mir rund um das Rennen viele Gedanken. Durch einen feuchten Winter und veränderte Strecken wird das Traka auf allen Distanzen deutlich anspruchsvoller, was den Untergrund angeht. Meine Empfehlung: Breite Reifen mit genügend Grip aufziehen und genug Dichtmilch einfüllen. Heißt konkret: Eher 45 Millimeter breite Pneus und mindestens 90 Milliliter Dichtmilch pro Reifen. Anders als etwa beim ersten UCI-Rennen des Jahres in Österreich werden wir hier sicherlich keine Fahrer mit Straßenbereifung sehen.

Titelverteidiger als Favoriten

Während ich schon am Mittwoch in mein 560-Kilometer-Rennen starte, sind die meisten "meiner" Schwalbe-Athleten erst am Samstag an der Reihe. Sie fahren das schnelle Rennen über 200 Kilometer. Wenn ich im Ziel bin, kann ich mich also etwas ausruhen, bevor ich ihnen dann helfen, möglichst gut zu performen. Meine Favoriten über die 200 Kilometer sind gleichzeitig auch die Vorjahressieger. Mit Paul Voß und Carolin Schiff stehen beide am Start. Auch wenn es ihnen dieses Jahr deutlich schwerer gemacht werden wird als vergangenes Jahr, zähle ich auf die beiden. Mein Joker ist wieder Ivar Slick, der das Rennen im Jahr 2022 gewinnen konnte. Übrigens: Sowohl Caro als auch Ivar haben nach dem Traka-Sieg das Double aus Traka und Unbound geholt.

Was sollten Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch über das Rennen wissen? Sei auf alles eingestellt, vor allem auf den Wind. Der kann küstennah großen Einfluss nehmen und sehr unangenehm sein. Auch die Temperaturen sollten nicht unterschätzt werden. Wenn man morgens startet, wird’s sicher feucht und frisch sein, mittags warm bis heiß und abends wieder kühler. Pack also genug Klamotten ein. Die Verpflegungszonen sind super. Von süß bis herzhaft ist alles dabei, eine grandiose Auswahl mit Gefahr zum längeren Verweilen. Nur eben leider bei uns auf der 560er-Strecke nicht.

Nach dem letzten Renntag in Girona am Sonntag gönne ich mir dann endlich die Siesta. Wie es gelaufen ist, erfahrt ihr dann beim nächsten Mal.

Bis bald, euer Seb

Folge 2: Mit Rennradreifen beim Wörthersee Gravel Race

Die Gravel-Saison 2024 ist nun endlich da. Lasst die Spiele beginnen. Wenn ich diese Zeilen schreibe, befinden wir uns in der Woche nach Roubaix, nach dem Rennen der Gravel World Series am Wörtersee und dem Ironman 70.3 Oceanside USA. Kurz gesagt: Das war ein hartes Wochenende und vor allem eine stressige Woche davor.

Strategiewechsel für die "Hölle des Nordens"

Speziell Roubaix und Wörtersee waren schon echt große Events bezüglich der Vorbereitung. Über Roubaix mit den Frauen von Canyon-Sram habe ich euch ja bereits in meinem letzten Beitrag berichtet. Im letzten Moment haben wir es geschafft, meinen eigentlichen Plan nochmal anzupassen. Wenn du in Roubaix nicht mindestens eine Woche regenfrei bist, musst du mit einem matschigen Rennen rechnen. Also switch von einem 34 Millimeter breiten Straßenreifen auf einen 35 Millimeter breiten Gravel-Reifen. Platz elf war jetzt nicht ganz das erhoffte Ergebnis, aber bei diesem Rennen gehört auch so viel Glück zum Erfolg. Ich freue mich bereits jetzt auf ein weiteres, nass-kaltes Testing kommenden Februar mit dem Team aus Koblenz.

Die Weltelite am Wörthersee

Und Gravel? Die gesammelte Weltelite hat sich zum schnellen Schotterfahren in Österreich am Wörtersee getroffen. Unter diesen vielen Weltklasse Athleten waren natürlich auch meine Boys & Girls: Paul (Voss), Caro (Schiff), Ivar (Schlick), Niki (Terpstra) und noch ein paar weitere. Wenn die schnellen Leute in solch einer Dichte aufeinandertreffen, liegen die Unterschiede zwischen Sieg und Niederlage sehr eng beisammen. Sprich: Du musst etwas wagen und auch etwas Risiko eingehen. Für mich gibt es hier wenig Athleten, die so offen sind wie Paul. Ich habe mir schon früh Gedanken zu diesem Rennen gemacht. Aber ich wusste, dass ich dieses Mal nicht vor Ort sein kann. Das macht meine Einschätzung natürlich ungleich schwieriger. Ich muss mich also auf den Austausch mit dem Athleten und auf sein Feedback verlassen können und muss es vor allem deuten können. Mit Paul kann ich das. So haben wir entschieden, dass er mit einem 38 Millimeter breiten Straßenreifen startet. Ergebnis: Platz zwei. Ich würde sagen, dass wir von einem durchaus erfolgreichen Saisonstart sprechen können für Paul. Das große Highlight kommt ja erst im Juni.

Während die Jungs und Mädels also auf dem Planeten verteilt an Rennen teilgenommen haben, war ich damit beschäftigt, ein paar Wintersportler auf die Gravel-Saison vorzubereiten. Mit den Cyclocross-Fahrerinnen vom deutschen Team Heizomat um Judith Krahl war ich an zwei Tagen viele Kilometer im Wald rund um Nürnberg unterwegs. Luftdruck, Reifenwahl und ein paar allgemeine Gravel Skills standen auf der Tagesordnung. Ich bin gespannt, was rauskommt. Wie man ein Fahrrad bergab fährt, wissen sie aber auf jeden Fall. Die Technik, welche sie vom Cross mitbringen, wird das Level in den Downhills beim Gravel nochmals nach oben schrauben, da bin ich mir sicher. Generell ist es enorm, wie sich das Level in diesem Sport nochmals gesteigert hat im Vergleich zu den letzten Jahren. Viele Athleten arbeiten inzwischen an Stellschrauben, die bis vor kurzem noch nie ein Thema waren. Höhenzelte, Technik, Trainingslager und Co. haben Einzug in die Gravel-Welt gehalten. Es dürfte eine sehr interessante, wegweisende Saison werden.

Auch bei mir läufts gut. Kilometer um Kilometer kann ich mein Training und Planung für das große European Divide Projekt erledigen. Am Wochenende bin ich im Zweier-Team mit meinem Kumpel Sebastian Kienle (Ironman Hawaii Sieger 2014) beim ersten deutschen Gravel Event 2024 in Deutschland gestartet, dem RedBull Aufsatteln in Bremen. Weil es aber nur ein kurzes Format ist, bin ich von Köln aus mit dem Rad angereist. 320 Kilometer hin, 320 Kilometer zurück. Ein guter, fahrradfreundlicher Out-of-office-Friday. Am Ende landeten Seb und ich übrigens auf dem vierten Platz. Das Rennen war wohl zu kurz für uns. 😉

Bis bald, euer Seb

Folge 1: Von Steinen mit Köpfen und Felgen ohne Haken

Sind Veranstaltungen wie Strade Bianche und Paris-Roubaix noch Straßenrennen oder doch eher Gravel? Mit etlichen Offroad-Sektionen und Längen von 220 respektive 270 Kilometern könnte man schon fast von Gravel-Rennen sprechen. Was ist also am Ende noch der Unterschied? Was gibt es zu beachten, wenn es um die Wahl des Materials geht? Dieser Frage stelle ich mich Jahr für Jahr als Liaison Manager, damit die von mir betreuten Athleten mit dem bestmöglichen Reifen-Setup ins Rennen gehen. Das hört sich einfacher an als es ist. Schließlich ist es nicht alltäglich, dass die sonst auf 28-Millimeter-Reifen fahrenden Frauen eines WorldTour-Teams wie Canyon-Sram plötzlich mit deutlich breiterer Bereifung Rennen bestreiten sollen. Wo ist also der Sweetspot von Rollwiderstand, Aerodynamik und Komfort? Der Punkt der optimalen Performance, um eine der Frauen aufs Podium bei einem dieser Klassiker zu bringen? Um das herauszufinden, war ich Ende Februar zum Reifentest auf den Strecken von Flandern Rundfahrt und vor allem Paris-Roubaix unterwegs.

Nach vier Testtagen waren die Bremsbeläge völlig runter und der Akku von meinem Luftdruckprüfer leer. Den härtesten Test musste aber meine Regenjacke bestehen. Es waren unfassbar nasse und kalte Tage im Norden Frankreichs. Doch diese Tage haben mich bei der Entscheidung für die am 7. April stattfindende Austragung von Paris-Roubaix Femmes erheblich weitergebracht. Und eine kalte Dusche in den legendären Duschkabinen von Roubaix ist auch noch rausgesprungen. Herrlich, dieser Job.

Während ich diese Zeilen schreibe, hat Lotte Kopecky gerade das Damenrennen der Strade Bianche gewonnen. Kasia Niewiadoma vom Team Canyon-Sram ist hervorragende Vierte geworden. Und zwar auf 28 und 30 Millimeter breiten Straßenreifen. Nur für den Fall, dass ihr euch dort mal beim Jedermann-Rennen an den Start stellen möchtet. Was wir für Paris-Roubaix aus dem Hut zaubern werden, um die Konkurrenz zu überraschen, erfahrt ihr dann beim nächsten Mal. Es bleibt also mehr als spannend.

Tubeless

Derzeit beschäftigt mich allerdings ein weiteres Thema im Berufsalltag: Tubeless ist in aller Munde. Und das völlig zu Unrecht nicht gerade mit positiven Meldungen. Mehrere Unfälle im Pro-Peloton werden derzeit auf die Reifentechnologie zurückgeführt. Im Internet gibt es wilde Diskussionen. Ich habe mir inzwischen viel von dem dort Geschriebenen durchgelesen und auch den ein oder andern Podcast dazu angehört. Es gibt sogar Behauptungen, Dichtmilch würde den Rollwiederstand des Reifens deutlich erhöhen. Solches und ähnliches Halbwissen kursiert überall. Ich möchte hier die Chance nutzen, euch etwas aufzuklären. Also? Was müsst ihr beachten, wenn ihr auf Tubeless umsteigen wollt? Erstmal Entwarnung: Dichtmilch erhöht den Rollwiederstand nicht. Daher macht es in dieser Hinsicht auch keinen Sinn, mit der Milch zu geizen. Das geringe Mehrgewicht sollte auch kein Argument sein. Ich selbst fülle etwa 60 Milliliter Ditchmilch in meine 28 Millimeter breiten Reifen. Bei langen Gravelbike-Rennen mit 45 Millimeter breiten Reifen gehe ich auch gerne mal auf über 100 Milliliter pro Reifen. Im Falle eines Defektes habe ich so genügend Flüssigkeit, um das Loch schnellstmöglich abzudichten.

Für mich als Ansprechpartner für die Top-Athleten in Bezug auf die Reifen steht Sicherheit immer an oberster Stelle. Ich möchte niemals in die Situation kommen, dass ein nach außen abspringender Reifen einen Sturz verursacht. Aus diesem Grund ist das wichtigste Bauteil bei der Tubeless-Technologie die Reifenwulst. Hier entscheidet sich, ob der Reifen in der Felge bleibt oder sich unter Druck ausdehnt und dann überspringt. Dieser Kern muss hochfest sein und darf sich nicht ausdehnen. Das ist in der Produktion am Ende teurer, bringt aber die benötigte Sicherheit. Eine Auswirkung auf die Geschwindigkeit hat das übrigens nicht. Es ist schlichtweg ein sicherheitsrelevantes Bauteil.

Hookless

Und dann wäre da noch das Thema Hookless: Ja, nein oder doch vielleicht? Auch hier gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten. Hookless, also Laufräder ohne Haken an der Felge, ist von Grund auf erstmal kein Problem, solange es richtig verwendet wird. Auch ich fahre teilweise Hookless. Dabei achte ich immer darauf, ausschließlich für Hookless freigegebene Reifen zu nutzen. Ein Reifen mit der Bezeichnung "Tube Type" sollte hier niemals verwendet werden. Der Kern ist nicht hochfest und somit schlichtweg zu weich, um vernünftig in der Felge zu sitzen. Hookless ist mit dem richtigen Reifen und dem richtigen Luftdruck bis maximal fünf Bar kein Problem. Meine Kollegen aus der Entwicklung bringen inzwischen mehr als 14 Jahre Erfahrung im Bereich Tubeless mit. Ich bin froh, dass wir immer wieder die Köpfe zusammenstecken, um neue Ideen umzusetzen. Ich bin selbst seit mehr als sechs Jahren auf Tubeless unterwegs und war, wie erwähnt, vergangene Woche auf dem Pflaster von Roubaix auf Hookless unterwegs. Es gibt also keinen Grund sich wegen Tubeless Sorgen zu machen, achtet nur immer auf die richtige Kombination.

Saisonplanung

Und was geht bei mir als Rennfahrer neben meinem Berufsalltag? Einiges! Ich habe mein Rennprogramm für 2024 endgültig beschlossen und werde mich dieses Jahr auf drei Rennen fokussieren. Los geht’s am 1. Mai bei The Traka Adventure in Girona. Dabei warten 560 Kilometer mit 10 000 Höhenmetern rund um Girona und Andorra auf mich und mein Gravelbike. Traka ist seit der ersten Ausgabe eines meiner absoluten Lieblingsrennen. Dieses Jahr ist es mit der neuen 560 Kilometer Distanz wie auf mich zu geschneidert. Weiter geht’s dann Anfang Juni in den USA beim Unbound XL. Nach dem DNF aus dem vergangenen Jahr gibt’s hier noch eine offene Rechnung. Wenn die Arbeitstage davor nicht zu stressig werden, sehe ich der ganzen Sache sehr positiv entgegen. Mit 500 Kilometern hat auch dieses Rennen wieder die perfekte Distanz für mich. Mein großes Highlight folgt dann im Juli. Lange hatte ich es im Kopf, dieses Jahr setze ich es um: Ich will die "Fastest Known Time" (FKT) auf dem European Divide Trail von Norwegen nach Portugal fahren. Sprich: Einen neuen Streckenrekord aufstellen. Was für ein Abenteuer, was für eine Herausforderung. Der aktuelle Rekord steht bei 32 Tagen, 20 Stunden und 6 Minuten. Damit noch etwas mehr Schärfe in die Sache kommt, habe ich mir selbst die 12/48 Stunden Ruhe Regel auferlegt. Das bedeutet, dass ich innerhalb von 48 Stunden mindestens 12 Stunden Ruhen muss. Das macht es mir schwerer, den Rekord zu brechen. Aber gleichzeitig ist es ein wichtiges Zeichen, weil wir in diesem Sport eine Regel, was den Schlafentzug angeht, einfach brauchen. Ohne Wenn und Aber.

Der European Divide Trail ist ein durchgehender 7800 Kilometer langer Trail von Norwegen nach Portugal, also eine Europa-Durchquerung. Eine unfassbare Vorstellung, die mich antreibt. Für mich ist es auch mehr ein European Combine als ein Divide. Der Begriff Divide kommt aus dem Amerikanischen von der legendären Tour Divide. Doch dieser Trail verbindet Europa und ist in der heutigen Zeit ein wichtiges Zeichen für Gemeinsamkeit. Ich kann es kaum abwarten. Und irgendwann werde ich im Schaukelstuhl sitzend davon meinen Enkelkindern berichten. Das habe ich mir fest vorgenommen.

Das als Update von mir. In den kommenden Wochen geht’s hier weiter mit all diesen Projekten und weiteren Insights.

Bis bald, euer Seb

Sebs Insights: Prolog

Hallo. Ich bin der Typ, der mit seinem Rad gerne durch Wüsten oder Schneestürme fährt. Der in 43 Stunden zum Sieg bei Badlands brettert. Und der bei minus sieben Grad mit einer Rettungsdecke an einer Tankstelle pennt, um beim Atlas Mountain Race auf Platz 3 zu landen. Die Erfahrungen, die ich als aktiver Radsportler in etlichen Stunden im Sattel sammle, gebe ich gerne weiter. Zum Beispiel in meinem Job als Liaison Manager in der Arbeit mit einigen der schnellsten Radsportler:innen der Welt.

Das Wort Liaison steht im Französischen für die Beziehung. Genau darum geht es in meinem Job. Ich bin praktisch für die Performance der bei Schwalbe unter Vertrag stehenden Profi-Athleten zuständig. Und zwar in den Disziplinen Road, Gravel und Triathlon sowie Cyclocross und Beachrace. Langweilig wird mir also schon mal nicht. In meiner Arbeit betreue und begleite ich Athleten wie Paul Voß auf dem Gravelbike, die mehrfache Ironman-Siegerin Anne Haug im Triathlon oder das Team Canyon-Sram im Bereich Rennrad. Einen richtigen Alltag kenne ich in diesem Job nicht. Jeder Tag bringt neue Aufgaben, Veränderungen oder Anforderungen. Ich bin bei Rennen dabei und versuche vor Ort zusammen mit den Athleten die richtige Reifenwahl zu treffen, um im Rennen das Bestmögliche rauszuholen. Wenn diese Athleten dann vielleicht sogar Weltmeister werden, den Ironman gewinnen oder eine Etappe der Tour de France für sich entscheiden, ist das ein schöner Nebeneffekt.

Ich bin aber auch selbst als Rennfahrer unterwegs. Mein bislang wohl größter Erfolg war der Badlands-Sieg im Jahr 2022. Die Erinnerung sorgt bei mir noch immer für Gänsehaut. Inzwischen bin ich auf die etwas längeren Rennen spezialisiert. So wie das Silk Road Mountain Race in Kirgisistan mit rund 1950 Kilometern. Klingt nach Abenteuer, ist es auch. Kürzere Distanzen kann ich aber auch, beispielsweise beim Coffee Ride zu meinem Lieblingscafé.

Auf die Reise rund um all meine Erlebnisse im Sport und Job möchte ich euch ab sofort in diesem Blog mitnehmen. Ich möchte von dem berichten, was die meisten von euch sonst wohl eher nicht sehen. Das, was hinter den berühmten Kulissen passiert. Etwa wie ich Kasia Niewiadoma auf die Gravel WM vorbereite. Woher die Idee kam, Paul Voß bei der Gravel-EM auf einen 38 Millimeter breiten Straßenreifen zu setzen. Warum es wenig sinnvoll ist, einen Reifen beim Zeitfahren so vollzupumpen, bis die Pumpe aufgibt. Auch wenn ich den Radsport noch aus der Zeit von Schlauchreifen und 12 Bar kenne.

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Vor allem aber möchte ich euch mit meiner Kolumne dazu inspirieren, selbst rauszugehen und Abenteuer zu erleben. Dazu möchte ich euch ein paar hilfreiche Tricks verraten. Und zwar nicht nur was die Wahl der Reifen betrifft. Ich habe schon viele Ideen, aber ich bin auch gespannt auf eure Wünsche. Habt ihr Fragen oder Anregungen? Dann meldet euch gerne. Ich bin gespannt.

Bis bald, euer Seb  © Bike-X

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