• Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern sind in den vergangenen 20 Jahren in eine Opioid-Sucht gerutscht.
  • Neben Pharma-Herstellern muss sich jetzt auch McKinsey für seine Rolle in der Krise verantworten.
  • Die Unternehmensberatungsfirma hat in einer außergerichtlichen Einigung einer Millionenzahlung zugestimmt.

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Die Summe ist gewaltig. 573 Millionen US-Dollar will die Unternehmensberatungsfirma McKinsey offenbar zahlen, damit Klagen gegen sie in 47 der 50 US-Bundesstaaten fallengelassen werden. Das berichtet die "New York Times" mit Verweis auf Personen, die mit den Verhandlungen betraut sind.

Gewaltig ist aber auch das Leid, das der Angelegenheit zugrunde liegt. Es geht um die "Opioid-Krise", eine der schwersten Gesundheitskrisen in den USA seit Beginn dieses Jahrhunderts. Es geht um Millionen von Süchtigen und die fragwürdige Rolle, die McKinsey in dieser Krise gespielt hat.

450.000 Todesopfer in 20 Jahren

1996 brachte das Pharma-Unternehmen Purdue sein Schmerzmittel Oxycontin auf den Markt. Dessen Hauptbestandteil Oxycodon gilt hierzulande als Betäubungsmittel, das nur bei sehr starken Schmerzen verschrieben werden darf. In Amerika dagegen bewarben Purdue und andere Hersteller und Handelsunternehmen diese Schmerzmittel aggressiv und spielten die Suchtgefahr herunter. Ärztinnen und Mediziner begannen, Opioide leichtfertig zu verschreiben.

Die Folgen waren verheerend: Millionen von Menschen wurden in die Abhängigkeit getrieben, betroffen waren vor allem ärmere und ländliche Gebiete. Dem "Deutschlandfunk" schilderte Claire Patterson aus dem Bundesstaat Mississippi ihren Fall: Im Alter von 19 bekam sie wegen einer Migräne opioidhaltige Tabletten verschrieben: 90 Pillen für nur einen Monat.

Sie fühlte sich großartig, wenn sie die Tabletten nahm – und furchtbar, als die Packung leer war. Sie musste sich Pillen auf der Straße kaufen und immer mehr nehmen. Aus der Opioid-Sucht wurde bei der zweifachen Mutter zu einer Heroin-Sucht, die sie nur knapp überlebte.

Vielen Süchtigen erging es schlechter: Offiziellen Statistiken des US-Gesundheitsministeriums zufolge sind zwischen 1999 und 2018 in Folge der Opioid-Krise in den USA 450.000 Menschen gestorben. 2017 rief der damalige US-Präsident Donald Trump deshalb den medizinischen Notstand aus.

Hersteller inzwischen insolvent

Purdue machte mit seinem Produkt Oxycontin mehrere Milliarden Dollar Umsatz. Davon profitierte vor allem die Besitzerfamilie Sackler.

Als die verheerenden Folgen des Medikaments immer sichtbarer wurden, häuften sich jedoch die Klagen. Im Oktober 2020 einigte sich das Unternehmen mit der US-Regierung auf die Zahlung von 8,3 Milliarden Dollar, um zivil- und strafrechtliche Klagen auf Bundesebene zu verhindern.

Dabei bekannte Purdue sich schuldig, die Suchtgefahren verschleiert zu haben. Schon 2019 hatte das Unternehmen allerdings Insolvenz beantragt. Der Staat wird sich das Geld daher bei Purdues Gläubigern holen müssen.

War McKinsey Teil der "Verschwörung"?

Ins Visier der Justiz geriet schließlich auch McKinsey. Tom Haine, Staatsanwalt des Madison County in Illinois, gehörte zu den ersten, die Anklage gegen die Unternehmensberatung erhoben.

Der Vorwurf: Sie soll Teil der Verschwörung zum "turbomäßigen" Verkauf des Schmerzmittels gewesen sein. McKinsey habe die Marketing-Strategien erdacht und umgesetzt, sagte Haine der Zeitung "The Telegraph" – sogar noch, als die Krise schon auf ihrem Höhepunkt war. "Jetzt muss McKinsey dafür zahlen."

Im Dezember 2020 veröffentlichte die Unternehmensberatung eine kurze Stellungnahme zum Thema. Darin hieß es: "Im Rückblick stellen wir fest, dass wir die heraufziehende Epidemie in unserer Gesellschaft, die schrecklichen Folgen des Opioid-Missbrauchs und die Abhängigkeit in Millionen Familien nicht ausreichend berücksichtigt haben."

Gleichzeitig betonte das Unternehmen, es sei ihm immer nur um die rechtmäßige Verschreibung des Schmerzmittels gegangen. 2019 hat es jegliche Beratungen im Zusammenhang mit der Opioid-Krise gestoppt.

Ein bedeutsamer Deal – aber womöglich noch nicht das Ende

Nun also will McKinsey offenbar 573 Millionen Dollar zahlen und Zehntausende Dokumente zugänglich machen. Im Gegenzug sollen Generalstaatsanwälte die Klagen in 47 Bundesstaaten fallen lassen. Wie genau die Summe zustande kommt, ist bisher unklar. Laut "New York Times" soll das Geld in die Behandlung von Opioid-Süchtigen und in die Prävention fließen.

Der Zeitung zufolge ist der Deal bedeutsam: Jahrzehntelang habe McKinsey einen Trennstrich ziehen wollen zwischen seiner Beratung und den Folgen, die das Handeln der beratenen Unternehmen hatte. Diese Sichtweise kann es jetzt kaum noch aufrechterhalten.

In der Stellungnahme vom Dezember hatte McKinsey das auch so eingestanden: "Wir stellen fest, dass wir die Verantwortung haben, den breiteren Kontext und die Folgen unserer Arbeit in den Blick zu nehmen."

Den Quellen der "New York Times" zufolge ist die Summe von 573 Millionen Dollar deutlich höher als der Betrag, den McKinsey mit seiner folgenschweren Arbeit verdient hat. Die Zeitung weist zudem darauf hin, dass die Sache damit womöglich noch nicht ausgestanden ist.

Drei Bundesstaaten haben sich dem aktuellen Deal nicht angeschlossen. Darunter ist West Virginia, das "Epizentrum" der Opioid-Krise. Auch mehrere Städte und Landkreise haben in den vergangenen Tagen weitere Klagen eingereicht. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass die US-Bundesregierung von Präsident Joe Biden ebenfalls rechtliche Schritte gegen McKinsey unternimmt.

Verwendete Quellen:

  • The New York Times: McKinsey Settles for $573 Million Over Role in Opioid Crisis
  • McKinsey&Company: McKinsey statement on its past work with Purdue Pharma
  • U.S. Department of Health and Human Services: What ist he U.S. Opioide Epidemic?
  • Deutschlandfunk.de: Opioid-Krise in den USA – Dealer in weißen Kitteln
  • The Telegraph.com: Haine files opioid lawsuit against McKinsey

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