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Wie viel sind Sie bereit, für Ihr Trinkwasser zu zahlen? Der Preis für das kostbare Gut droht in die Höhe zu schießen, weil diesen bald gewinnorientierte Privatunternehmer bestimmen könnten. Denn die Europäische Union (EU) will auch den Wassermarkt für private Investoren öffnen. Lesen Sie, was es mit der Richtlinie auf sich hat und wie sich die Wasserpreise in bereits liberalisierten Märkten entwickelt haben.

In Deutschland sind überwiegend die Städte und Gemeinden für die Wasserversorgung verantwortlich. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge sprechen sich 92 Prozent der Deutschen für eine Trägerschaft durch die Kommunen aus. Die EU will dies aber mit einer Richtlinie über die Konzessionsvergabe zur Wasserversorgung ändern. Diese Verträge regeln, wer die Bürger wie lange mit Wasser versorgt.

Gemäß der Richtlinie müssen die Kommunen die Wasserversorgung künftig unter bestimmten Bedingungen öffentlich ausschreiben, so dass auch Private diese übernehmen können. Wasser würde dem freien Markt überlassen und vom Menschenrecht zum Spekulationsobjekt. Nach dem "Wasserkrieg" in Bolivien setzten die Vereinten Nationen den Zugang zu sauberem Wasser auf die Liste der Menschenrechte.

Wie funktioniert die Privatisierung?

  • Marktöffnung:
    Laut dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) können Private die Wasserversorgung übernehmen, die Kommunen bleiben in der Regel aber Eigentümer der Wasseranlagen und des Leitungsnetzes.
  • Wasserqualität:
    Die Vorschriften des Bundesministeriums für Gesundheit zur Wasserqualität gelten für alle Wasserversorger - gleich ob städtische oder private. Die Betreiber prüfen die Einhaltung der Wasserqualität-Standards selbst. Das zuständige Gesundheitsamt überprüft zudem im Turnus von ein bis drei Jahren, ob die vorgeschriebene Wasserqualität erreicht wurde.

  • Instandhaltung der Leitungsnetze und der Wasseranlagen:
    Die Kommune verhandelt mit dem privaten Unternehmen, ob und welche Investitionen zur Instandhaltung des Leitungsnetzes vom Betreiber übernommen werden, wenn unvorhergesehene Investitionen anfallen, liegt es laut VKU lediglich "im Ermessensspielraum" des privaten Betreibers, ob er diese vornehmen möchte. Bleiben Investitionen aus, verschlechtert sich die Trinkwasserqualität.

Damit könnte es dann vorbei sein

Bei der kommunal organisierten Daseinsfürsorge "übertrifft das deutsche Trinkwasser sogar vielerorts die Qualitätsstandards", versichert der VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck im Gespräch mit diesem Portal. Dies ist nur möglich, wo Spezialisten das Leitungsnetz regelmäßig warten und erneuern, so dass Krankheitserreger nicht in gesundheitserregenden Mengen ins kostbare Nass dringen. Der Studie "Branchenbild" der deutschen Wasserwirtschaft zufolge kann sogar vielerorts gänzlich "auf den Einsatz von Desinfektionsmitteln in der Wasseraufbereitung verzichtet" werden. Sprich: Deutsches Trinkwasser enthält demnach häufig eine geringere Chlorkonzentration, als der Gesetzgeber vorschreibt. Die Deutschen sehen keinen Bedarf, das Wasserversorgungsmodell zu ändern. 92 Prozent sind laut einer Forsa-Umfrage gegen Neuregelungen der kommunalen Wasserversorgung aus Brüssel. Auch der Bundesrat sprach sich gegen Neuregelungen in der Wasserversorgung aus und stimmte im März 2012 gegen die für 2020 geplante EU-Richtlinie.

Zwar würde eine Marktöffnung den Gemeinden einmalig Geld in die Kassen spülen, doch mittel- bis langfristig droht Ungemach: Um auf Dauer hochwertiges Trinkwasser anbieten zu können, sind hohe Investitionen in die Wartung und Erneuerung des Leitungsnetzes notwendig. Private Unternehmen haben aber nur relativ kurze Zeiträume im Blick. Sie haben kein Interesse an Investments, wenn diese sich nicht vor ihrem Vertragsende finanziell auszahlen. Tätigt der private Partner keine Investitionen, veralten die Anlagen und die Trinkwasserqualität verschlechtert sich - oder es wird teuer für den Bürger. Denn dieser zahlt für die Sanierung maroder Wassernetze dann mit seinen Steuern. Kommunal geführte Betreiber hingegen investieren Gewinne aus den Wassergebühren bei Bedarf wieder in die Instandhaltung der Anlagen.

Wasser-Preissteigerungen von bis zu 400 Prozent

Wasser als Handelsware hat die Besonderheit, dass der Mensch von diesem Gut abhängig ist. Er muss es also zu jedem Preis kaufen. Private Unternehmen rechnen damit, denn die Erfahrung zeigt: Wo private Konzerne die Wasserversorgung organisieren, steigen die Preise. In Portugal müssen die Bürger der Stadt Paços de Ferreira seit der Wasserprivatisierung 400 Prozent mehr für das kostbare Nass bezahlen, so berichtet die ARD.

Paços de Ferreira ist kein Einzelfall. Auch in Paris stiegen die Preise für das Trinkwasser seit seiner Privatisierung im Jahr 1989. Es verteuerte sich um 103 Prozent. 2010 drehte die Hauptstadt die Privatisierungen zurück und konnte nach einem Jahr im Vergleich zu 2009 den Wasserpreis um acht Prozent senken.

Auch in Großbritannien verlief die Privatisierung desaströs: Nachdem Ende der 1980er Jahre der Wassersektor in private Hand ging, stiegen die Preise in den ersten neun Jahren um 46 Prozent an. Da Investitionen zudem ausblieben, waren die Leitungen nicht wasserdicht, Leitungsverluste summierten sich auf 40 Prozent, so dass die Wasserversorgung in Teilen Londons zeitweise unterbrochen war.

In Bolivien kam es nach Wasserprivatisierungen im Jahr 2000 innerhalb weniger Wochen zu Preiserhöhungen um bis zu 200 Prozent. Diese bedrohten die Bevölkerung in ihrer Existenz, so dass sie in einem "Wasserkrieg" dafür kämpften, die Wasserbetriebe wieder in öffentliche Hand zu bringen. Auf Antrag Boliviens erklärten die Vereinten Nationen schließlich 2010 Wasser zum Menschenrecht.

Damit dies auch so bleibt, wehren sich europäische Bürger mit der Unterschriftenkampagne "Wasser ist ein Menschenrecht" gegen die Marktöffnung in der Wasserversorgung und ihre Folgen. Bereits über eine Million EU-Bürger haben unterschrieben, die meisten Unterschriften stammen aus Deutschland und Österreich. Die Initiatoren wollen aber auch die Zwei-Millionen-Marke knacken. In jedem Fall kommt nun die geplante Richtlinie noch einmal auf die Agenda der EU-Kommission und muss dort neu diskutiert werden. Voraussichtlich im Mai wird das EU-Parlament über die Richtlinie abstimmen. Dann wird sich zeigen, wie privat oder öffentlich die Wasserversorgung in Europa werden soll.

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