Die Benzin- und Dieselpreise sind im Lauf des Jahres immer weiter in die Höhe geklettert. Experten führen dafür mehrere Gründe ins Feld: Von US-Politik bis hin zu niedrigen Flusspegelständen. Kurzfristig könnten sich die Preise aber wieder entspannen. Und mittelfristig?
Die Stimmung unter deutschen Autofahrern dürfte derzeit nicht besonders gut sein: Wer ein kleines Auto mit einem Tankvolumen von 40 Litern Anfang des Jahres noch mit gut 55 Euro volltanken konnte, muss dafür derzeit über 60 Euro blechen.
Die Preise an Deutschlands Zapfsäulen steigen und steigen. War der Liter Benzin (E10) zum Jahresbeginn noch für knapp 1,36 Euro zu haben, liegt er mittlerweile (Stand Anfang November) bei 1,55 Euro. Ein Plus von rund 14 Prozent.
Beim Diesel sieht es genauso aus: Während die Tankstellen im Januar noch 1,21 Euro anzeigten, kostet der Liter zum Monatsbeginn ganze 1,45 Euro. Woran liegt das?
72 US-Dollar pro Barrel
Dr. André Wolf ist Leiter der Forschungsbereiche Konjunktur, Weltwirtschaft und Internationaler Handel sowie Energie, Klima und Umwelt am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Er sagt: "In Bezug auf die hohen Spritpreise kommen mehrere Faktoren zusammen, der Wesentlichste ist die Entwicklung an den Rohölmärkten."
Während ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zu Beginn des Jahres für ungefähr 67 US-Dollar gehandelt wurde, kostet das Barrel aktuell um die 72 US-Dollar.
Wolfs Erklärung: "Die fortbestehenden Produktionskürzungen seitens der OPEC und einer Reihe an Nicht-OPEC Staaten, darunter Russland, spielen eine große Rolle." Was steckt dahinter?
Gekürzte Fördermengen
Die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) liefert ein Drittel des weltweiten Ölbedarfs und verfügt über die größten bekannten Reserven.
Im Pakt mit Russland und weiteren Nicht-OPEC-Ländern fiel 2016 die Entscheidung, die Fördermengen zu beschränken, um einen Angebotsüberhang zu vermeiden.
"Zur Beschränkung der Fördermenge kommen die Iran-Sanktionen seitens der US-Regierung als wichtiger Faktor hinzu", sagt Experte Wolf.
Der Iran sei als wichtiger Exporteur am Rohölmarkt durch die Sanktionen deutlich in seinen Aktivitäten behindert, sodass das Angebot beschränkt werde.
Lokales deutsches Problem?
Der Leiter des Rohstoff-Research-Teams der Commerzbank, Eugen Weinberg, hält dagegen: "Die internationale Versorgungslage hat sich zuletzt ziemlich entspannt, insbesondere nachdem klar wurde, dass der Iran einen Teil der Exporte auch nach Inkrafttreten der US-Sanktionen weiterhin durchführen kann."
Es gebe Ausnahmegenehmigungen und andere Länder hätten die Produktion hochgefahren, sodass das 52-Wochen-Hoch von über 86 US-Dollar pro Barrel im Oktober wieder deutlich unterboten werde.
Weinberg sagt deshalb: "Es handelt sich um ein lokales deutsches Problem. Durch die niedrigen Pegelstände des Rheins gibt es nämlich Transportschwierigkeiten."
Umgelagerte Transporte über Schienen seien entsprechend teurer, die Tankstellen legten dies auf den Kunden um. Wolf sieht diesen Grund ebenfalls, meint aber: "Für die mittelfristige Preisentwicklung ist der Einkaufspreis ausschlaggebend."
Weinberg führt noch einen weiteren Faktor an: "Der Euro ist gegenüber dem Dollar zuletzt etwas schwächer geworden. Da die Preise am internationalen Markt in Dollar abgerechnet werden, wirkt sich dies entsprechend aus."
Der Wertverlust stehe im Zusammenhang mit dem Haushaltsstreit zwischen der EU und Italien, gleichzeitig habe die starke Wirtschaftslage der USA dem Dollar geholfen.
Dana Kallasch von der Commodity Capital AG – einem Fonds, der weltweit vorwiegend in Aktien von Rohstoffunternehmen investiert, beobachtet, dass die reine Angebots-Nachfrage-Beziehung eine immer geringere Rolle spielt.
"Die Preise hängen immer weniger von den fundamentalen Daten - wie der konkreten Versorgungslage - ab, sondern sind politisch getrieben", so Kallasch. Der Wirtschaftskrieg zwischen politischen Mächten destabilisiere die Märkte allgemein.
Kallasch spannt einen breiten Rahmen und sagt: "Allgemein werden die Märkte, zum Beispiel auch die Metallmärkte, immer volatiler. Bei politischen Ereignissen reagieren die Preise viel stärker als noch vor zehn Jahren."
Anders gesagt: "Viele Faktoren spielen für die Preisbildung eine Rolle, politische Faktoren spielen eine immer größere Rolle", so die Expertin.
Hinzu kämen der immer schneller Hochfrequenz-Computerhandel, der das Investitionsverhalten und die Kurse an den Börsen ebenfalls beeinflusse.
Fracking, Venezuela und China
In Bezug auf die Ölpreise stellt Kallasch fest: "Am internationalen Rohölmarkt sind immer wieder starke Unter- und Übertreibungen zu sehen. Zuletzt wurde die USA im Zusammenhang mit dem Thema Fracking vom Rohstoff-Importeur zum Exporteur. Als die Spekulanten festgestellt haben, dass es aus ihrer Sicht zu viel Öl gibt, kam es zu einer panischen Gegenreaktion."
In unserer globalisierten Welt müsse man aus diesem Grund stets viele Faktoren mitdenken. "Das fängt etwa bei der Wirtschaftskrise in Venezuela an und reicht über die Nachfrage durch China bis hin zu neuen Technologien wie Elektromotoren, egal ob mit Wasserstoff oder Batterieantrieb", erläutert Kallasch.
Fallen die Preise wieder?
Den deutschen Autofahrer dürfte trotzdem am drängendsten interessieren: Fallen die Preise wieder?
Weinberg vermutet: "Ja, der internationale Benzinpreis ist zuletzt gefallen, daher dürfte das auch in Deutschland bald wieder der Fall sein." Innerhalb der nächsten Tage, spätestens Wochen, dürften sich die Preise seiner Einschätzung nach wieder entspannen.
Experte Wolf schränkt aber ein: "Es gibt keine Gründe, warum der Benzinpreis in nächster Zeit deutlich sinken sollte." Also: Entspannung: Ja, - deutliches Absinken hingegen: Nein.
Vorhersagen immer schwieriger
Und wenn der Klimawandel uns fortan immer wieder extrem heiße Sommer beschert und für niedrige Pegelstände sorgt, sind wir dann besser gewappnet?
"Ob der Klimawandel überhaupt für lokale Wetterereignisse verantwortlich ist, lässt sich schwer sagen", meint Weinberg. Dieses Jahr könne eine Ausnahme gewesen sein, es könne sich aber ebenso gut wiederholen.
Er schätzt: "Die Vorbereitung auf Klimakapriolen ist schwierig. Eventuell muss man generell über alternative Transportwege nachdenken, sprich Lkw oder Schiene."
Kallasch bringt noch eine andere Überlegung ins Spiel: "Eine wichtige Frage lautet: Wie geht es überhaupt weiter mit der Schiffsindustrie? Für 2020 haben große Frachter neue Umweltauflagen, damit sie weiter mit Schweröl fahren dürfen." Erst wenige Schiffe hätten jedoch die Anlagen zur Reinigung der Abgase, sogenannte Scrubber, nachgerüstet.
Prognosen für die Zukunft – egal ob politisch oder wirtschaftlich - bleiben dieser Tage also alles andere als leicht.
Verwendete Quellen:
- ich-tanke.de: Preisentwicklung E5 und E10
- ADAC: Kraftstoff-Durchschnittspreise
- Wallstreet Online: Brent-Preise Öl
- Experte Dr. André Wolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und leitet die Forschungsbereiche Konjunktur, Weltwirtschaft und Internationaler Handel. sowie Energie, Klima und Umwelt.
- Experte Eugen Weinberg ist Diplom-Wirtschaftsmathematiker und Leiter der Rohstoff-Analyse der Commerzbank.
- Experte Dana Kallasch ist Mitgründerin der Aktiengesellschaft "Commodity Capital" und leitet dort die strategischen Beziehungen zwischen der Depotbank, dem Fonds Management Team und den Investoren.
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