Der Chefposten verliert zunehmend seinen Reiz: Statt mehr Verantwortung zu übernehmen, wählen immer mehr Arbeitnehmer den stressfreieren Weg. Was steckt dahinter?

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Für deutsche Unternehmen wird es immer schwieriger, Führungskräfte zu finden. Bis 2030 könnten rund 341.000 Führungskräfte fehlen, warnt die Boston Consulting Group. Die Umfrage "Initiative Chef:innensache" bestätigt diesen Trend: Nur 26,5 Prozent der Befragten in Deutschland wollen eine Führungsposition übernehmen – Frauen noch weniger als Männer.

Doch warum schrecken immer mehr Menschen davor zurück?

Viel Stress

Zu den Hauptursachen zählt Stress. Eine dem Spiegel exklusiv vorliegende Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey unter 1.000 Führungskräften zeigt, dass sich zwei von drei Managern ausgebrannt fühlen. Besonders betroffen sind junge Führungskräfte zwischen 30 und 39 Jahren, von denen 72 Prozent von Erschöpfung berichten.

Der Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt in einem Gespräch mit der Zeit, dass diese Erschöpfung vor allem durch eine Doppelbelastung entstehe: Führungskräfte des mittleren Managements müssten sowohl den hohen Erwartungen des übergeordneten Managements als auch den steigenden Ansprüchen ihrer Mitarbeiter gerecht werden. Dies mache die Rolle für viele zunehmend unattraktiv.

Fehlende Work-Life-Balance

Hinzu kommen häufige Überstunden: Knapp ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten in Führungspositionen arbeitet regelmäßig mehr als 48 Stunden pro Woche. Zum Vergleich: Bei den Erwerbstätigen ohne Führungsaufgaben liegt dieser Anteil mit 6,5 Prozent deutlich niedriger.

Gleichzeitig zeigt eine Studie von The Network und der Boston Consulting Group, dass ausreichend Freizeit und Zeit für Familie und Freunde für viele Beschäftigte von großer Bedeutung sind. Fast zwei Drittel der 90.000 Befragten gaben an, dass sie einen sicheren Job bevorzugen würden, der ihnen genügend Freiraum für ihr Privatleben lässt.

Nicht genügend Wertschätzung

Auch die Entlohnung spielt eine entscheidende Rolle. Der Ökonom Alexander Kritikos weist darauf hin, dass die Zulagen für viele Beschäftigte auf der zweiten Führungsebene oft relativ gering sind.

Um eine Führungsposition zu übernehmen, müssten die zusätzlichen Belastungen durch Stress und Überstunden angemessen honoriert werden. Das sei aber oft nicht der Fall, was die Attraktivität der Rolle weiter schmälere.

Kritikos: "Man kann heute auch außerhalb der klassischen Hierarchien mehr Geld verdienen und Einfluss nehmen. Dazu braucht man keine Führungsposition." Diese Perspektive trage zusätzlich dazu bei, dass immer weniger Menschen bereit sind, den Schritt nach oben zu wagen.

Prognose: So geht’s weiter

Unbesetzte Führungspositionen könnten der Bundesagentur für Arbeit zufolge in Zukunft zum Alltag gehören. Der Grund: Ein Drittel der Führungskräfte ist bereits über 55 Jahre alt und wird dem Arbeitsmarkt bald nicht mehr zur Verfügung stehen. Gleichzeitig können sich nur 13 Prozent der jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorstellen, selbst in eine Führungsrolle zu schlüpfen.

Besonders betroffen ist dabei die mittlere Führungsebene, was bedeutet, dass es vor allem an denjenigen fehlen wird, die Personaleinsätze koordinieren und die notwendigen Arbeitsabläufe steuern. (lla)

Verwendete Quellen:

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