Für den Stuttgarter Autohersteller brechen magere Zeiten an. Tausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, und bei der Transformation zu emissionsarmen Fahrzeugen ist man gegenüber der nationalen und internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Nun soll es eine neue Technologie richten.

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Für Chef Ola Källenius ist es eine glückliche Fügung, dass seine Hauptversammlung an diesem Mittwoch pandemiebedingt nur virtuell stattfinden kann. So muss der Daimler-Chef seinen Aktionären nicht direkt in die Augen schauen, wenn er sie ab zehn Uhr auf magere Zeiten einstimmt.

Die Dividende gekürzt, der Aktienkurs mit rund 37 Euro Lichtjahre entfernt von früheren Höchstständen und die Stimmung bei Kunden wie Belegschaft schlecht: Die Sektkorken müssen bei dieser Hauptversammlung auf der Flasche bleiben. Statt einem für dieses Jahr anvisierten Wachstum der Verkaufszahlen bei Elektroautos, standen die Fabriken in Sindelfingen, Hambach oder Rastatt wochenlang still.

Der Großhandelsabsatz der Marke mit dem Stern ist in den ersten fünf Monaten des Jahres um mehr als ein Fünftel eingebrochen, Källenius wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Verlust im ersten Halbjahr verkünden. "Die Nachwirkung von Covid wird zu schmerzhaften Anpassungen führen", kündigte der Skandinavier bereits vor der Hauptversammlung im Gespräch mit Gewerkschaftern an. Vom Topmanager bis hinunter zum einfachen Monteur müssten die Gehälter "drastisch" gekürzt werden. Der bereits vor Corona besiegelte Abbau von bis zu 15.000 der weltweit 300.000 Stellen dürfte um Tausende zusätzliche Jobs erweitert werden.

Entsprechend mau ist auch die Laune bei der Belegschaft. "Lockdown, Kurzarbeit und ein massiver Ergebnisrückgang hinterlassen Spuren", sagt Michael Brecht, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats bei Daimler, im Gespräch mit der Redaktion. Schließlich drohen wenige Monate nach dem letzten Sparpaket weitere Einschnitte. Auf dem Spiel stehen die Arbeitsplätze von 1.600 Beschäftigten im französischen Smart-Werk Hambach und die Auslagerung von 2.000 IT-Mitarbeitern an Fremdfirmen. "Die Einschläge kommen näher", klagt Brecht. Man sei dennoch optimistisch, dass Daimler diese Krise meistere. "Das wird uns gelingen."

Daimler: Die nächste Krise wartet schon

Aktuelle Konjunkturprognosen deuten eher darauf hin, dass die Corona-Delle noch das geringste Problem der Stuttgarter in den kommenden Jahren sein dürfte. Viele Werke in China laufen schon wieder auf Vollauslastung, die Chinesen zeigten sich zuletzt auch nicht kaufmüde. Früher oder später wird es daher wieder um die Frage gehen, ob Källenius und sein Vorgänger Dieter Zetsche die Transformation des Traditionsherstellers zur Elektromobilität verschlafen haben. Nicht nur gegenüber dem amerikanischen Spitzenreiter Tesla, sondern auch im direkten Vergleich mit der deutschen Konkurrenz.

Während Volkswagen im vergangenen Jahr 80.000 Elektroautos verkauft hat, plagte sich Daimler noch mit Anlaufproblemen beim ersten vollelektrischen Modell EQC herum. Intern wird der EQC bereits als "Krücke" auf dem Weg ins Elektrozeitalter betrachtet, weil er anders als die Modelle von Tesla nicht auf einer eigens konzipierten Elektroplattform gefertigt wird, sondern auf dem GLC mit seiner Verbrennerarchitektur basiert. Technischer Fortschritt sieht anders aus.

Offizielle Verkaufszahlen kommuniziert der Konzern zwar noch nicht, doch Branchenkenner schätzen, dass bislang nur 7000 Stück des ersten Elektro-Mercedes vom Band gerollt sein dürften. Für das kommende Jahr musste Källenius den ursprünglichen Plan von 50.000 bis 60.000 Elektroautos bereits auf gut 30.000 kürzen. "EQC? Da geht so ziemlich gar nichts", klagte jüngst ein frustrierter Top-Mann im "Manager Magazin".

Von Verkaufszahlen wie beim kalifornischen Elektropionier Tesla, der im vergangenen Jahr fast 370.000 Autos auslieferte, sind die Stuttgarter damit ohnehin weit entfernt. "Daimler ist immer noch ein Follower in Sachen E-Mobilität und hat bisher kaum Akzente gesetzt", kritisiert Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler, im Gespräch mit der Redaktion. "Daimler ist insgesamt zu sehr der Tradition und der alten Größe verhaftet." Dem Autobauer falle es schwer zu akzeptieren, dass das Verbrennerauto, seine besten Zeiten hinter sich habe. "Schwer zu sagen, wie viele Arbeitsplätze das kostet. Einige tausend sicherlich", so Pieper.

Tesla-Verkauf war ein Fehler

Dabei sah es lange so aus, als könne Daimler am Erfolg seines amerikanischen Konkurrenten partizipieren. Für einen zweistelligen Millionenbetrag war man 2009 mit 10 Prozent beim kalifornischen Autobauer eingestiegen und hatte das Investment, möglicherweise geblendet von zu der Zeit niedrigen Ölpreisen, fünf Jahre später für rund 600 Millionen Euro wieder verkauft. Fest hielt man dagegen an der Beteiligung an Aston Martin, einem traditionellen Autohersteller, der aufgrund der Luxussegment-Flaute nun heftige Buchverluste einstreicht. Ein teurer Fehler.

Auch wenn viele Analysten den Verkauf vor sechs Jahren befürworteten, hat sich die Tesla-Aktie seitdem versechzigfacht. Ein Verkauf würde, gemessen am Aktienkurs, heute rund ein Drittel des Daimler-Unternehmenswerts in die Kassen spülen. Strukturelle Vorteile, wie etwa gemeinsame Entwicklungsprojekte, sind da noch gar nicht eingerechnet.

Abhängig hat man sich dagegen von Batterieherstellern aus dem Ausland gemacht. Wichtige Rohstoffe wie Lithium kommen großteils aus Lateinamerika, die Batteriezellen selbst bauen vorwiegend Asiaten. Auch eine neue Partnerschaft mit dem chinesischen Batteriehersteller Farasis kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Auto-Elektrifizierung vor allem auf dem asiatischen Kontinent stattfindet.

Doch der Verbrenner, an dem auch Daimler nach wie vor festhält, ist ein Auslaufmodell, sozial wie politisch. Emissionsarme Fortbewegungsmittel entwickeln sich fortwährend zum einzigen Argument, mit dem sich junge Menschen noch in die Autohäuser locken lassen. Und hohe Emissionswerte kosten schon in wenigen Monaten bares Geld. Bis Ende 2020 müssen die Hersteller im Flottendurchschnitt einen CO2-Wert von 95 Gramm pro Kilometer erreichen. Nur mit dem Kauf von voll-elektrischen oder Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen können die Konzerne ihre CO2-Bilanz kurzfristig und schnell verbessern. Schon jetzt rechnet das Beratungsunternehmen PA Consulting damit, dass den 13 führenden Autoherstellern in diesem Jahr Strafzahlungen von insgesamt 14,5 Milliarden Euro drohen.

Wasserstoff soll es richten

Ähnliche Fehler wie bei den Batterieautos will Daimler deshalb bei der neuen Zukunftstechnologie Wasserstoff nicht wiederholen. An einem neuen Standort im Esslinger Stadtteil Pliensauvorstadt will der Autobauer hochmoderne Produktionsanlagen mit Reinräumen und Präzisionsgeräten entwickeln, die im Mikrometerbereich arbeiten. Auf lange Sicht sollen im Ländle serienmäßige Brennstoffzellen entstehen. Sie könnten insbesondere in Nutzfahrzeugen eingesetzt werden, wo Batterien inklusive ihrer Befestigung mehrere Tonnen wiegen und deshalb weit entfernt von Marktreife sind.

Doch die hohen Entwicklungskosten für diese Technologie, die einen beträchtlichen Anteil des 15 Milliarden Euro großen Forschungsbudgets bei Daimler in diesem Jahr aufzehren werden, sind eine Wette auf die Zukunft. Noch ist die Herstellung des benötigten Wasserstoffs extrem energieintensiv und aufgrund des Strommix alles andere als nachhaltig. Und die asiatische Konkurrenz, angeführt von Toyota und Honda, lauert bereits.

In einer früheren Version dieses Artikels war von einem Esslinger Stadtteil namens Pliensaudorf die Rede. Richtig ist, dass der Stadtteil Pleinsauvorstadt heißt.

Verwendete Quellen:

  • Manager Magazin: "Warum die Autoindustrie auf eine Batteriekrise zusteuert"
  • Daimler: "Global Media Site"
  • Wall Street Journal: "Daimler Sells Its 4% Stake in Tesla"
  • Interview mit Jürgen Pieper, Analyst vom Bankhaus Metzler
  • Interview mit Michael Brecht, Gesamtbetriebsratschef bei Daimler

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