Stabiler Arbeitsmarkt und viele Patente - aber auch eine relativ hohe Armutsquote und niedrige Bildungsausgaben: Für die Zukunft ist Deutschland nur teilweise gerüstet.
Im April stimmte das renommierte britische Magazin "Economist" ein Loblied auf Deutschland an. "Cool Germany" lautete die Titelgeschichte. Deutschland wurde dort als Vorzeigeland ausgemacht, mit einer starken Wirtschaft und einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft.
Ein ganz anderer Ton vor kurzem im "Spiegel": "Es war einmal ein starkes Land", titelte das Magazin - und stellte die These auf, dass Deutschland nicht nur fußballerisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich erschöpft am Boden liege.
Welche Einschätzung ist richtig? Die Wahrheit dürfte, wie so oft, in der Mitte liegen. In einigen Bereichen steht Deutschland nach wie vor glänzend da, in anderen vor großen Herausforderungen.
Was gut läuft
Arbeitsmarkt: Zu Beginn des Jahrtausends galt Deutschland noch als kranker Mann Europas. Dass es diesen Ruf abgeschüttelt hat, liegt in erster Linie an der gesunkenen Arbeitslosigkeit.
Die Bertelsmann-Stiftung misst in ihrer jährlichen Studie "Sustainable Governance Indicators" (SGI), wie fit die Industrieländer für die Zukunft sind. Dort hat sich Deutschland mit den skandinavischen Staaten und der Schweiz in der Spitzengruppe festgesetzt. "Das wird in erster Linie getragen durch den Arbeitsmarkt, der sich sehr gut entwickelt hat", sagt der Studienverantwortliche David Schraad-Tischler im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Das strahlt auch auf andere Bereiche aus: Wenn die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt, entlastet das zum Beispiel auch die sozialen Sicherungssysteme."
Forschung: Den Ruf als Erfinderland hat Deutschland auch weiterhin zurecht. Vergleicht man die Zahl der Patente pro Einwohner, liegt das Land laut der Bertelsmann-Studie auf Platz 7 von 41.
Innovationen gelten als wichtige Voraussetzung, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben - auch wenn Deutschland bei manchen Themen wie etwa der Elektro-Mobilität lange Zeit anderen die Pionierarbeit überlassen hat.
Umweltschutz: In kaum einem Industrieland wird mehr recycelt. Und der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung ist zwar niedriger als in vielen anderen Staaten, steigt aber beständig. In der Studie der Bertelsmann-Stiftung bekommt Deutschland deshalb auch im Umweltschutz gute Noten.
"Im internationalen Vergleich hat sich Deutschland als Vorreiter positioniert, weil es sich sehr stark für globale Regeln einsetzt", sagt Daniel Schraad-Tischler.
Über einen Minuspunkt kann das nicht hinwegtäuschen: Die Klimaschutzziele der EU erreicht Deutschland nicht - unter anderem wegen des hohen Kohleanteils an der Energieerzeugung.
Die großen Herausforderungen
Armut: Deutschland ist ein reiches Land, in dem allerdings viele Menschen in Armut leben. Vergleicht man den Anteil der Bevölkerung, der von Armut bedroht ist, liegt Deutschland nur im Mittelfeld der Industrieländer - hinter Frankreich und Großbritannien zum Beispiel.
"Erstaunlich ist, dass sich bei der deutlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation die Verteilungslage kaum gebessert hat", sagt Eric Seils vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Gespräch mit unserer Redaktion.
Ein Grund sei die Zuwanderung - nicht weil Menschen, die nach Deutschland kommen, die Alteingesessenen in Armut stürzen würden, sondern weil Einwanderer häufig in einem schwierigen sozialen Umfeld lebten.
Das gelte besonders für Kinder, so Seils: "Unter den hier geborenen Kindern sinkt die Armut eher. Die Kinderarmut insgesamt ist in erster Linie gestiegen, weil es schlicht und ergreifend mehr Einwandererkinder gibt und diese häufiger von Armut bedroht sind."
Alternde Gesellschaft: Deutschland sei im Durchschnitt eines der ältesten Länder Europas, sagt Daniel Schraad-Tischler. "2025 wird sich die Situation noch verschärfen, weil von da an die Babyboomer-Generation in Rente geht."
Das hat Folgen. Für die junge Generation, die viele finanzielle Lasten tragen muss. Für den sich schon jetzt abzeichnenden Mangel an Pflegekräften. Aber auch für die Senioren selbst: "Für alte Menschen gilt zwar kein überdurchschnittliches Armutsrisiko, allerdings ist der Anstieg der Armutsquote in dieser Gruppe besonders stark", sagt Eric Seils.
Nach Zahlen des Mikrozensus ist die Armutsquote unter den Über-65-Jährigen zwischen 2006 und 2016 von 10,4 auf 14,8 Prozent gestiegen. "Wenn möglichst viele Menschen am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist das die beste Versicherung gegen Armut", sagt Daniel Schraad-Tischler. "Außerdem geht es darum, den Kreis der Sozialversicherten zu vergrößern, um die Versicherungsbasis zu stärken."
Bildung: Experten sind sich einig: Bildung ist die Antwort auf gleich mehrere Herausforderungen. Das gilt zum Beispiel für die Integration. "Es ist extrem wichtig, Einwanderer so fortzubilden, dass sie in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen", sagt Eric Seils.
Eine wichtige Rolle spielt Bildung auch, um die Digitalisierung zu bewältigen. "Es ist noch nicht absehbar, welche Folgen der digitale Wandel für den Arbeitsmarkt haben wird", sagt Daniel Schraad-Tischler.
"Es gibt Berufsfelder, die verschwinden werden. Gleichzeitig werden sich die Erwerbsbiografien flexibilisieren. Man wird mit einer Ausbildung nicht mehr automatisch ein ganzes Arbeitsleben bestreiten können."
In den vergangenen Jahren habe sich in Deutschland zwar einiges getan, sagt der Experte der Bertelsmann-Stiftung. Trotzdem investiert der Staat hierzulande deutlich weniger in Bildung als in vielen anderen Industrieländern.
Das gilt besonders für die Investitionen in frühkindliche Bildung. Bei diesem Thema lag Deutschland 2016 laut der SGI-Studie der Bertelsmann-Stiftung auf Platz 26 von 41 Ländern.
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