Es war ein langes Warten: In der Nacht zum Donnerstag stimmte das griechische Parlament nach intensiver Debatte dem Reform- und Sparpaket von Ministerpräsident Alexis Tsipras zu. Nicht selten wird in Griechenland über wichtige Entscheidungen sehr lange am Stück debattiert und dann spät in der Nacht abgestimmt – doch das ist nicht die einzige Besonderheit der griechischen Volksvertretung.
Wenn es etwa um wichtige Gesetze geht, sieht die Parlamentssatzung vor, dass drei Tage lang diskutiert wird und am dritten Tag spätestens bis Mitternacht abgestimmt werden muss. Bei Eilverfahren - wie jetzt im Fall des Reform- und Sparpakets - reicht ein Tag. Natürlich könnte auch früher abgestimmt werden, aber viele Abgeordneten wollen offenbar die Möglichkeit nutzen, bei einem wichtigen Thema im Rampenlicht zu stehen, TV-Sendezeit inklusive.
Das kann dauern, zumal das griechische Parlament relativ groß ist - zumindest im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von elf Millionen. Bei 300 Abgeordneten kommen rein rechnerisch etwa 37.000 Einwohner auf einen Parlamentarier. In Deutschland sind es rund 133.000. Übrigens bekommt der Sieger bei Parlamentswahlen in Griechenland einen besonderen Bonus, nämlich 50 Sitze extra. Damit sollen die Chancen für die Bildung einer starken Regierung erhöht werden.
Diese Regierung besteht seit der Wahl im Januar aus Alexis Tsipras' linkem Parteibündnis Syriza und den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (ANEL). Dass zwei Parteien von den jeweils gegenüberliegenden Enden des politischen Spektrums eine Regierung bilden, ist europaweit einzigartig. Verbindendes Element bei den Koalitionsverhandlungen war unter anderem die Kritik am Sparkurs der Euro-Partner gegenüber Griechenland.
"Terrorismus" und "sozialer Völkermord"
Jetzt, bei der Abstimmung über das Reformpaket, das Griechenland mehr finanzielle Hilfen bringen soll, aber für viele Griechen schmerzhafte Einschnitte bedeutet, schien das jedoch eine nachgeordnete Rolle zu spielen. 229 der 300 Abgeordneten stimmten für Tsipras' Paket, das waren mehr, als die Regierung Sitze hat. Es gab also viele Stimmen aus der Opposition, aber auch einige Abweichler aus den eigenen Reihen: 32 Syriza-Abgeordnete stimmten gegen die Vorschläge ihres Parteifreundes und Ministerpräsidenten.
Einige von ihnen vollführen dabei einen bemerkenswerten Spagat: Unterstützung des Sparprogramms - nein, Unterstützung für Tsipras - ja. So sagte etwa Energieminister Panagiotis Lafazanis: "Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme." Ähnlich äußerte sich der griechische Verteidigungsminister und ANEL-Chef, Panos Kammenos. Seine Partei lehne die Sparpolitik ab, werde jedoch mit der Regierung Tsipras weitermachen. Wie die Minister damit umgehen, wenn die Regierung, der sie ja weiterhin die Treue halten wollen, die Sparmaßnahmen umsetzen muss, bleibt erstmal ihr Geheimnis.
Tsipras selbst wählte in der Parlamentsdebatte ebenfalls drastische Worte: Er sei von den Gläubigern erpresst worden, das Sparprogramm zu akzeptieren. Einen ähnlichen Tonfall hatte der inzwischen zurückgetretene Finanzminister Gianis Varoufakis schon Anfang Juli angeschlagen: "Was man mit Griechenland macht, hat einen Namen: Terrorismus." In der Debatte am Mittwoch legte er nach: Er nannte die jetzt erzielte Einigung der Euro-Länder mit Griechenland einen "neuen Versailler Vertrag" - in Anlehnung an den Friedensvertrag von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg, der Reparationszahlungen, Abrüstungen und Gebietsabtretungen für das damalige Deutsche Reich vorsah. Der Vertrag wurde von vielen Deutschen als Demütigung empfunden.
Die Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, Syriza-Politikerin, aber in Sachen Sparkurs als erbitterte Gegnerin von Alexis Tsipras bekannt, sprach mit Blick auf die Sparauflagen von "sozialem Völkermord". Sie war es auch, die maßgeblich dafür sorgte, dass die Abstimmung über das Sparpaket bis nach 0.00 Uhr heute Nacht auf sich warten ließ. Sie hatte mit formalen Argumenten den Beginn der Debatte verzögert. Kurz vor Mitternacht unterbrach sie die Aussprache, die Zeit zur Abstimmung war gekommen.
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