Der Fall Uli Hoeneß war ein öffentlicher Aufreger, weil Prominenz auf der Anklagebank saß. Doch im Vergleich zur neuesten Enthüllung eines möglichen Skandals rund um Cum-Ex-Geschäfte, ist Uli Hoeneß nur ein ganz kleiner Fisch. Was laut "Spiegel" mit Steuergeldern geschehen sein soll, sucht seinesgleichen - und findet im Gegensatz zum Fall Hoeneß bislang noch kaum Beachtung in der Öffentlichkeit. Dabei wäre hier ein Aufschrei der Empörung wohl angebracht.
Nach dem Kauf eines Steuer-Datenträgers ermitteln die Behörden gegen Banken und Finanzdienstleister wegen des Verdachts des massiven Steuerdiebstahls. Es geht um mehrere hundert Millionen Euro.
30 Millionen Euro. So viel Geld soll Uli Hoeneß an Steuern unterschlagen haben. Der Fall des einstigen Präsidenten des FC Bayern löste in Deutschland eine polarisierende Debatte über Steuerbetrug und Steuerflucht aus.
Seit 2010 haben sich bundesweit etwa 120.000 deutsche Steuerhinterzieher selbst angezeigt. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Zuge der mutmaßlich gekauften WM 2006 nun auch noch gegen den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach, und dessen Vorgänger, Dr. Theo Zwanziger, wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.
Datenträger mit brisantem Inhalt
Was sich jedoch abseits dieser prominenten Fälle im Rampenlicht zugetragen haben soll, stellt alles in den Schatten. Einem Bericht des "Spiegel" zufolge hat das Land Nordrhein-Westfalen einen Steuerdatensatz gekauft, der Beweise zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften enthalten soll.
Banken und Finanzdienstleister sollen damit ungerechtfertigt Kapitalertragssteuer in dreistelliger Millionenhöhe bezogen haben. Der Fall geht über die bekannten Muster von Steuerhinterziehung weit hinaus.
Er zielt nicht mehr nur auf das Vorenthalten von Steuern, Experten sprechen von einem massiven Steuerdiebstahl.
Was also steckt hinter diesem augenscheinlichen Skandal, der den Fall
Das sind Cum-Ex-Geschäfte
Mit sogenannten Cum-Ex-Aktiengeschäften nutzten Investoren jahrelang eine Gesetzeslücke aus. Diese schloss der Gesetzgeber erst 2012. Oft hatte das Finanzamt zuvor bei Verkaufsdeals rund um den Dividendenstichtag doppelt Kapitalertragssteuer erstattet - dem Verkäufer und dem Käufer der Aktien.
Methode war es demnach, sich die Kapitalertragssteuer mit (Lateinisch: cum) und ohne (Lateinisch: ex) Dividende mehrmals erstatten zu lassen, obwohl diese nur einmal gezahlt wurde.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, geht es in den vorliegenden Fällen um Steuerdiebstahl und das angeblich kriminelle Vortäuschen von Geschäftsvorgängen in einem Volumen von geschätzten 70 Milliarden Euro.
Wer wird verdächtigt?
Wie "Spiegel Online" berichtet, sind Ermittlungen gegen im In- und Ausland angesiedelte Finanzdienstleister und Banken sowie deren Kunden angelaufen. Bald soll es erste Hausdurchsuchungen geben.
Geleitet werde die Aktion durch die erfahrene Wuppertaler Steuerfahndung und die Kölner Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen sollen sich laut "Spiegel Online" unter anderem gegen die Banque et Caisse d'Epargne de l'Etat (BCEE) aus Luxemburg richten.
Weitere große Banken sind übereinstimmenden Medienberichten zufolge ebenfalls verstrickt. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, haben die Fahnder zudem einen zweiten Datensatz gekauft. Dieser enthalte Informationen über 55.000 Kunden einer einzelnen Bank. Sie alle stünden im Verdacht, Schwarzgeld im Ausland versteckt zu haben.
Die Quelle und ihr Preis
Laut dem "Handelsblatt" handelt es sich bei dem aktuellen Datenträger um einen silber-schwarzen, sieben Zentimeter langen USB-Stick. Dieser soll Informationen aus den Jahren 2006 bis 2011 enthalten.
Dem Bericht zufolge ist sein Verkäufer ein früherer hochrangiger Steuerexperte eines ausländischen Börsenmaklers. Er soll beste Einblicke in deutsche und europäische Steuerdeals gehabt haben. Nach Informationen des "Spiegel" bekam er fünf Millionen Euro für den Datenträger.
Um welche Summe geht es?
Mehr als zwei Milliarden Euro hat Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren durch den Kampf der Steuerfahnder zusätzlich eingenommen. Es geht um Steuernachzahlungen, Geldauflagen und Verbandsstrafen, die gegen Banken verhängt wurden.
"Spiegel Online" zufolge schätzen Insider die potentiellen Steuermehreinnahmen durch den nun gekauften Datenträger und Erkenntnisse im möglichen Cum-Ex-Skandal auf mindestens 600 Millionen Euro.
Das droht den mutmaßlichen Steuerdieben
Steuerbetrug oder nicht? Das ist seit Jahren die Frage rund um Cum-Ex-Geschäfte. Die "Süddeutsche Zeitung" mutmaßt, dass den Tätern mehrere Jahre Gefängnis drohen könnten und verweist auf vergleichbare Strafen bei kriminellen Umsatzsteuerdelikten.
Die grundsätzliche Frage, ob mit solchen Geschäften das Steuergesetz missbraucht wird oder gar Steuerbetrug vorliegt, ist bis heute allerdings nicht konkret zu beantworten.
Der Bundesfinanzhof (BFH) schrieb zu einem früheren Fall: "Diese Frage, die […] in der Argumentation der Finanzverwaltung im Vordergrund steht, kann nach wie vor unbeantwortet bleiben."
Es ist demnach entscheidend, ob ein sogenannter "Gestaltungsmissbrauch" vorlag. Paragraph 42 der Abgabenordnung erklärt dazu: "Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden."
Ob das geschah und wenn ja, ob es vorsätzlich geschah, versuchen die Ermittler nun zu klären.
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