Die deutsche Autoindustrie droht langfristig von der chinesischen Konkurrenz überrollt zu werden. Gerade bei Zukunftsthemen wie Elektromobilität und Software liegen chinesische Konzerne vorne. Nun drängen die chinesischen Autos auch nach Deutschland.
Der chinesische Markt war lange Zeit der Wachstumstreiber für die deutsche Autoindustrie. Langfristig könnten allerdings chinesische Hersteller den deutschen Konzernen den Rang ablaufen.
Zwar verkauften die Deutschen nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) im vergangenen Jahr noch 4,4 Millionen Autos in China, was einem Marktanteil von 19,1 Prozent entspricht. Im rasant wachsenden Geschäft mit Elektroantrieben lag der Marktanteil aber nur bei fünf Prozent.
Unter den zehn meistverkauften Elektroautos in China befindet sich kein einziges deutsches Modell. Lediglich Tesla schafft es als einziger ausländischer Hersteller in die Rangliste, die ansonsten vor allem vom chinesischen Autobauer BYD aus Shenzhen dominiert wird.
Branchenexperten äußern sich besorgt
"Die deutschen Automobilhersteller bekommen in China mittlerweile massiv Gegenwind durch einheimische Marken", sagt Autoexperte Stefan Reindl, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft. Preislich seien die chinesischen Fahrzeuge vor allem in den unteren Fahrzeugklassen interessant.
Aber auch bei den Premiummarken rückten die Chinesen immer näher - zu erschwinglicheren Preisen. Reindl vermutet, "dass die deutschen Hersteller in China weiter Marktanteile verlieren werden".
Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer betont die Abhängigkeit der Industrie vom chinesischen Markt. Ohne Anteile in China könnten die deutschen Autohersteller nicht existieren. Das liege nicht nur an der Zahl der verkauften Fahrzeuge, sondern auch an deren Wert. In China würden vor allem Premiumfahrzeuge verkauft und keine Kompaktfahrzeuge. "Das Geld, was in Deutschland den Arbeitern und Angestellten und Aktionären bezahlt wird, wird in China verdient", sagt Dudenhöffer.
Luxus-Strategie als Lösung?
Die deutschen Premium-Hersteller hätten die Möglichkeit, ihre Produkte noch höher zu positionieren, also in einem noch anspruchsvolleren Premiumsegment, erklärt Auto-Experte Reindl. Viele Chinesen würden immer wohlhabender und wollten sich auch bei den Autos abheben.
Ein Problem sehe er bei Volkswagen-Pkw, die Marke sei wesentlich stärker von den kleineren Fahrzeugen abhängig. Das werde eine ziemlich große Herausforderung, weil chinesische Autos deutlich preisgünstiger seien.
Besser läuft es für den Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz. Das Unternehmen verfolgt eine Luxus-Strategie. Statt auf Quantität zu setzen, sollen die besonders teuren Autos auch besonders viel Gewinn abwerfen. In China scheint das zu funktionieren: So ging zum Beispiel mehr als jeder zweite Wagen der Luxusmarke Maybach, die zu Mercedes gehört, im vergangenen Jahr in das ostasiatische Land.
China könnte Deutschland bei Exporten bald überholen
Doch nicht nur der chinesische Markt wird für die deutsche Autoindustrie immer umkämpfter. Überall auf der Welt feiern chinesische Firmen bemerkenswerte Erfolge. Laut dem chinesischen Automobilverband CAAM haben sich die chinesischen Autoexporte allein seit 2020 auf rund 2,5 Millionen Fahrzeuge jährlich verdreifacht.
In der Weltrangliste der Exporteure ist China damit inzwischen auf den dritten Platz vorgerückt. Knapp davor liegt nur noch Deutschland und an der Spitze Japan. Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) meldet für das vergangene Jahr 2,61 Millionen aus Deutschland ausgeführte Pkw. Japan exportierte rund drei Millionen Stück.
Doch während es für die Fahrzeugausfuhren der alten Industrienationen nur noch langsam oder gar nicht mehr vorangeht, wächst die Nachfrage nach Autos aus China rasant. Die Aufholjagd wird ein zentrales Thema auf der Automesse in Shanghai sein, die am Dienstag beginnt.
China auf einmal Technologieführer
In Teilen des Nahen Ostens und Lateinamerikas sind chinesische Hersteller schon Marktführer. Aber auch in Europa rollen bereits mehr Fahrzeuge "made in China" über die Straßen. Hier wollten die Chinesen eigentlich schon vor mehr als einem Jahrzehnt präsent sein.
Doch im Zeitalter des Verbrennungsmotors konnten sie die Lücke zur westlichen Konkurrenz noch nicht schließen. Sie blamierten sich bei Sicherheitstests und mit Fahrzeugen von zweifelhafter Qualität. Mit dem Elektroauto wurden die Karten neu gemischt. Hier gelten chinesische Hersteller plötzlich als Technologieführer.
Laut Branchenexperten hat China dank eines früheren Starts nicht nur beim Bau von Elektroautos die Nase vorn. Auch in Sachen Vernetzung und beim autonomen Fahren seien einige chinesische Hersteller besser aufgestellt als etwa die deutsche Konkurrenz.
Geschickt hat der chinesische Konzern Geely schon vor Jahren die schwedische Marke Volvo übernommen und voll auf eine elektrische Zukunft ausgerichtet. Aber auch chinesische E-Auto-Marken wie BYD oder Nio sind zumindest langsam auf dem Vormarsch im Ausland.
Die Chinesen starten mit ihren E-Autos gerade eine Globalisierungsstrategie, die nicht zuletzt Europa und Deutschland betreffe, sagt Reindl: "Dem einen oder anderen chinesischen Hersteller traue ich in den nächsten fünf Jahren bis zu zwei Prozent Marktanteil in Deutschland zu."
Vertrieb in Deutschland macht China noch Probleme
Die heimische Industrie sei vor allem nicht in der Lage, in der Kompaktwagenklasse mit einigermaßen wettbewerbsfähigen Preisen zu agieren. Allerdings benötigten die chinesischen Hersteller etablierte Händler als Vertriebspartner, um vorhandene Netze und Standorte zu nutzen.
Diese seien besonders für den Fahrzeugservice von Bedeutung, denn auch E-Autos benötigten Wartung und Reparatur. "Viele chinesische Hersteller denken, sie könnten allein mit digitalen Strukturen den Vertrieb in Deutschland und Europa gestalten", sagt Reindl. Aber hierzulande sei die Kundenakzeptanz für solche Vertriebskonzepte noch gering ausgeprägt.
Selbst Beobachter in China bezweifeln, dass ihre Autos den Deutschen auf deren Heimatmarkt in absehbarer Zeit nennenswert Geschäft streitig machen werden. "Es wird lange dauern, bis chinesische Autofirmen in reifen Märkten Marktanteile gewinnen können", sagt der chinesische Autoanalyst Zeng Zhiling. In Südostasien, Südamerika und Afrika seien die Chinesen dagegen schon deutlich besser positioniert.
VDA-Sprecher: "Konkurrenz belebt das Geschäft
"Konkurrenz belebt das Geschäft", zeigt sich ein VDA-Sprecher gelassen. Die Autoindustrie gehe entschlossen voran: Allein in Deutschland böten die heimischen Hersteller derzeit mehr als 90 E-Modelle an, Ende 2024 sollen es 100 sein. Bei der Qualität der Produkte seien sie führend.
In Deutschland sei 2022 mehr als jedes zweite neu zugelassene Elektroauto von einem inländischen Hersteller ausgeliefert worden. Der Marktanteil chinesischer Marken liege bei sechs Prozent.
"Das Auto der Zukunft kommt zu großen Teilen aus China", glaubt dagegen Dudenhöffer. Es sei eine kluge Strategie, erst auf dem Heimatmarkt stark zu werden und dann Schritt für Schritt zu expandieren. Die Chinesen tasteten sich vor. In Osteuropa seien sie schon relativ stark, auch in England hätten sie bereits eine gewisse Stärke. "Nach Deutschland kommen sie erst jetzt." (Jan Petermann, Robin Wille und Jörn Petring, dpa/lko)
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