Novak Djokovic hat in Wimbledon mehr als ein Tennismatch gewonnen: Der Sieg über Roger Federer war eine Demonstration einzigartiger mentaler Stärke - die für die Konkurrenz absolut ernüchternd ist.
Im Fußball hätte man von einem Sechs-Punkte-Spiel gesprochen, auch wenn das faktisch natürlich Quatsch ist. Für einen Sieg gibt es drei Punkte und Ende. Aber die Differenz zwischen Gewinnen und Verlieren im Duell gegen einen direkten Konkurrenten kann eben bis zu sechs Punkte betragen, also sei der Ausdruck ausnahmsweise erlaubt.
Das Wimbledon-Finale zwischen
In fünf, zehn, 15 und 50 Jahren wird man sich noch an dieses Spiel erinnern, an die fast fünf Stunden Spielzeit, an Federers letzten Schlag, bei dem er den Ball nur mit dem Rahmen trifft und wie beim Start einer Rakete hinausdrischt aus dem Stadion.
Aber es ging auch um die Frage, ob der "Djoker" seinem Kontrahenten im Rennen um die meisten Grand-Slam-Siege weiter auf die Pelle rücken könnte. Oder ob Federer seinen Vorsprung im direkten Duell weiter ausbaut. Der Schweizer stand vor dem Finale bei 20 Siegen, Djokovic bei 15. Statt 21 zu 15 steht es jetzt 20 zu 16, Djokovic hat das Zwei-Titel-Spiel gewonnen.
Djokovic, Federer, Nadal: 54 Grand-Slam-Titel vereint
Es war der Gold-Standard für alles, was man bisher im Tennissport sehen und erleben konnte und wird so schnell wohl nicht mehr zu erreichen sein. Nicht wenige Beobachter und Experten konstatierten das beste Spiel aller Zeiten, und das im wichtigsten Spiel auf der Tour, dem Finale von Wimbledon. Das ist fast schon zu kitschig, um wahr zu sein. Aber es beschreibt den Status Quo im Herrentennis sehr gut.
Es gibt Djokovic, Federer und Nadal - und dahinter kommt lange Zeit gar nichts. Das Trio vereint jetzt 54 Grand-Slam-Titel und belegt - natürlich - die ersten drei Plätze dieser Kategorie. Noch vor Legenden wie Björn Borg, Roy Emerson, Rod Laver oder Pete Sampras.
Die Djokovic-Federer-Nadal-Ära wird wohl auf absehbare Zeit einzigartig bleiben, die letzten 15 Jahre eine einzige große Show. Seit Federer 2003 in Wimbledon erstmals ein Grand Slam gewinnen konnte, gingen von den 65 Titeln bei den vier größten Turnieren der Welt nur elf an andere Spieler.
Zwischen den Australian Open 2005 (Sieger: Marat Safin) und den US Open 2009 (Sieger: Juan Martín del Porto) machten die drei 18 Titel in Folge unter sich aus. Und nun sind es schon wieder elf Titel in Serie. Der Letzte, der die Phalanx unterbrechen konnte, war Stan Warinka bei den US Open vor knapp drei Jahren. Seitdem: Djokovic, Federer oder Nadal.
Wie lange will Federer noch?
Das könnte nun ewig so weitergehen. Für die Fans wäre es ein Segen, weil sie den besten Sport der besten Spieler zu sehen bekämen. Für die Kontrahenten dagegen wäre es ein Graus, sie müssen sich mit den kleineren Meriten begnügen bei den ATP-Majors oder vielleicht im Davis Cup. Bei den Slams jedenfalls wäre das Trio, um Franz Beckenbauer zu bemühen, auf Jahre hinaus unschlagbar. Aber: Rafa Nadal ist 33, Roger Federer wird in ein paar Tagen 38 Jahre alt.
Wie lange kann das noch so gehen, dass ein Fast-38-Jähriger erst Nadal niederringt und keine zwei Tage später fünf Stunden gegen Djokovic Grundlinientennis von einem anderen Stern spielen kann? Nicht mehr zu lange, wenngleich Federer in diesen Tagen wie der fidelste Fast-38er der Welt wirkte.
Das Alter wird auch für den Besten zu einem Problem und gerade nach solch fulminanten Niederlagen wie nun gegen Djokovic steht die Frage im Raum, warum er sich das eigentlich noch antun muss.
Seit rund zwei Jahrzehnten ist Federer auf der Tour, hundertfach hat er die Systeme runtergefahren und dann wieder so viel Spannung aufgebaut und diesen Hunger nach noch mehr Titeln wieder entwickelt. Irgendwann wird damit Schluss sein. Wie auch bei Nadal, obwohl der noch ein paar Jährchen jünger ist. Aber dessen kraftraubendes Spiel hat den Spanier auch schon einige Zeit außer Gefecht gesetzt und den Körper gut verschlissen.
Djokovic wird beide einholen
Nadal weiß, dass er (18 Grand Slams) Federer vielleicht noch einholen kann. In Paris, wo er zwölf Mal triumphiert hat, kann er noch drei, vier, vielleicht fünf Jahre spielen. Aber Nadal ist eben nur auf Sand wirklich unbezwingbar - Djokovic dagegen kann auf Hartcout und auf Rasen gewinnen.
Es wird der Djoker sein, der Federer und Nadal noch überholt, sofern er von größeren Verletzungen verschont bleibt. Weil Djokovic auf Sicht nicht nur den robusteren Körper haben dürfte, sondern in der Königsdisziplin des Tennissports unerreicht ist: Es gibt keinen Spieler auf der Tour, der mental so ein Riese ist wie der Serbe.
Djokovic hat den besten Return im Herrentennis, und sein Spagatschritt an der Grundlinie sollte längst ein eingetragenes Markenzeichen sein. Aber er volleyiert nicht so brillant wie Federer, seine Rückhand ist im Vergleich zu der des Schweizers ein Geknüppel mit einer Bratpfanne in der Hand.
Im Vergleich zu Nadal fehlt diese totale Athletik, der Topspin beim Vorhandschuss. Im Finale gegen Federer lag Djokovic am Ende in allen relevanten Statistiken teilweise weit abgeschlagen zurück, Federer schlug mehr Asse, machte weniger Doppelfehler, hatte eine bessere Aufschlagquote, mehr Breakbälle, schaffte doppelt so viele Breaks und fast doppelt so viele direkte Gewinnschläge. Und war am Ende doch nur der zweite Sieger. Weil Djokovic in den entscheidenden Momenten eines Spiels fast schon unmenschlich gut ist.
Respektiert, aber nicht geliebt
Auch auf dem Center Court von Wimbledon war es so wie fast immer und überall auf der Welt: Im Duell mit Federer sind die Sympathien klar verteilt. "Djokovic spielt gegen Federer - und 15.000 Federer-Fans" schrieb Pat Cash auf Twitter und traf damit ziemlich genau ins Schwarze.
Djokovic wird von den Fans für seine Leistungen geschätzt und respektiert - geliebt wird er (noch) nicht. Auch gegen Federer gab es Szenen, die anderen Spielern das Genick brechen würden.
Jubelgetose bei eigenen Doppelfehlern, da Pfeifen und Zetern, wenn Djokovic beim Schiedsrichter etwas klärt. Zwei Matchbälle gegen sich, Aufschlag Federer: Das ist eigentlich das sportliche Todesurteil. Djokovic überwand auch diese nicht lösbare Aufgabe.
Es ist diese Eiseskälte und ein wenig auch sein Habitus, der Djokovic in der Gunst des Publikums etwas hinter seinen Rivalen lässt. Als junger Spieler machte er mal die Gewohnheiten seiner Gegner nach. Im Netz kam das überragend gut an, beim einen oder anderen Konkurrenten eher nicht so.
Und dann sein Verhalten auf dem Platz: immer an der Grenze. Hundertfach gab es schon Beschwerden, weil Djokovic mit endlosem Balltippeln vor seinem Service die 30-Sekunden-Regel bis aufs Letzte ausreizt.
Eiskalt bis ans Herz
Seit er selbst Vater ist, ist er immerhin ruhiger geworden. Das verbindet ihn mit Federer, der früher - man mag es kaum noch glauben - ein echter Wüterich war, ein Trotzkopf auf dem Platz. Mit dieser Ruhe kam auch die mentale Stärke zurück, nachdem er vor anderthalb Jahren nach einer Verletzung und mehreren gescheiterten Experimenten auf der Trainerposition in sich gegangen ist.
Bei einer Wanderung in Frankreich zusammen mit seiner Frau sei ihm eine Art Erleuchtung gekommen und neue Inspiration. Seitdem hat der Djoker vier der letzten fünf Grand-Slam-Turniere gewonnen.
Er schafft es in die Köpfe seiner Gegner, früher oder später knackt er derzeit damit jeden Spieler. Wenn Borg oder Ivan Lendl die viel zitierten Eisklötze waren, dann ist Djokovic die Antarktis.
Im Grunde verkörpert Djokovic das genaue Gegenteil von dem, was etwa Sascha Zverev derzeit bietet. Technisch-taktisch könnten beide auf Augenhöhe agieren, aber die Erfahrung und vor allen Dingen der totale Fokus auf die wichtigen Momente eines Spiels lassen beide momentan in völlig anderen Ligen spielen. Das ist auch für den Rest der Konkurrenz keine besonders schöne Aussicht.
Denn selbst wenn Federer irgendwann aufhört und Nadal für die schnellen Beläge zu langsam wird und sich "nur" noch auf Paris konzentrieren könnte, bleibt da ja immer noch Djokovic. Ein bisschen jünger als die anderen beiden und geradezu zerfressen von der Aussicht, schon bald der Beste aller Zeiten zu sein.
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