• In mehr als jedem 20. Fußballspiel kommt es zu einer Gehirnerschütterung.
  • Erste Handlungsempfehlungen wurden mittlerweile erarbeitet.
  • Auch regelmäßige Kopfbälle können langfristige Folgen nach sich ziehen.

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In dieser Saison gab es allein im deutschen Profifußball schon einige Szenen, bei denen vielen der Atem stockte. Felix Götze, Tom Krauß und andere hat es bereits mit Kopfverletzungen erwischt – und sie werden nicht die letzten sein, die sich Gehirnerschütterungen zuziehen. Doch obwohl die Kurz- und Langzeitfolgen von Gehirnerschütterungen mittlerweile überall bekannt sind, wirken die Schutzmechanismen im Fußball immer noch unzureichend.

Hinzu kommt eine Kultur, in der weiterhin Spielerinnen und Spieler gelobt werden, wenn sie "die Zähne zusammenbeißen" oder mit Turban-ähnlichen Kopfverbänden spielen. Nicht selten kehren sie nach Zusammenstößen wieder auf das Feld zurück und setzen die Partie fort. Insgesamt kommt es Untersuchungen zufolge international in mehr als jedem 20. Spiel zu einer Gehirnerschütterung.

Erste Handlungsempfehlungen im Fußball

In anderen Sportarten wurden bereits sogenannte "Concussion Protocolls", also Vorschriften zur Diagnose und Behandlung von Gehirnerschütterungen, festgelegt, im Fußball noch nicht. "Für den Profifußball wurden Handlungsempfehlungen für die Erstuntersuchung, Diagnostik und Management bis Return to Football von einer internationalen Arbeitsgruppe erarbeitet und 2020 veröffentlicht", sagt Nina Feddermann-Demont, Leiterin des Swiss Concussion Center der Züricher Schulthess Klinik.

Entscheidend sei für das medizinische Personal auf dem Platz das Screening von Warnzeichen wie zum Beispiel Bewusstlosigkeit, hochintensiver Kopfschmerz oder Gleichgewichtsstörungen.

"Wenn die Zeit auf dem Platz nicht ausreichend ist, setzt das medizinische Personal die Untersuchung außerhalb des Spielfeldes fort. Im Zweifel oder bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung wird der Spieler aus dem Match genommen", erklärt Feddermann-Demont den Optimalfall. Es gelte zu beachten, dass es sich um eine dynamische Verletzung handelt - das heißt Symptome und Befunde können auch erst mit Verzögerung auftreten.

Braucht es unabhängige Ärzte?

Problematisch erscheint jedoch, dass die Untersuchungen auf oder neben dem Spielfeld von den eigenen Teamärzten vorgenommen werden. Das Team hat ein Interesse daran, insbesondere Schlüsselspieler auf dem Feld zu behalten. Aus diesem Grund schlägt Ingo Helmich, Neurowissenschaftler von der Sporthochschule Köln, vor, dass unabhängige Ärzte die Diagnose stellen sollten, "da diese unabhängig vom Team, Trainer, Spielstand entscheiden können, ob ein Spieler nach einer möglichen Gehirnerschütterung genauer untersucht und ausgewechselt werden sollte."

Andere argumentieren hingegen, dass die Teamärzte selbst besser geschult werden müssten, um Kopftraumata zu erkennen, denn sie würden die Vorgeschichte der eigenen Spielerinnen und Spieler kennen. In jedem Fall aber ist die Diagnose während des Wettkampfs weiter verbesserungswürdig.

Keine überstürzte Rückkehr

Fällt eine Fußballerin oder ein Fußballer erst einmal aufgrund einer Gehirnerschütterung aus, geht es darum, die Rückkehr ins Training und später in den regulären Spielbetrieb nicht zu überstürzen. "Eine Rückkehr in den Wettkampfsport sollte erst erfolgen, wenn sich sämtliche Symptome und Befunde wieder zurückgebildet haben, der Spieler sein Pre-Performance-Level wieder erreicht hat und sich sicher fühlt", fasst Feddermann-Demont zusammen.

Das therapeutische Konzept basiere auf den im Vordergrund stehenden Symptomen, Befunden und ihrer Interpretation. Nach einer anfänglichen Ruhephase von 24 bis 48 Stunden sollte die körperliche und kognitive Aktivität stufenweise, kontrolliert und Symptom-adaptiert wieder aufgenommen werden.

Gefahren des Kopfballspiels

Neben den Kopfverletzungen, die etwa beim Zusammenprall zwischen zwei Spielern auftreten können, ist im Fußball zudem die Sorge vor den Langzeitfolgen von Kopfbällen gestiegen. Als Langzeitfolgen des regelmäßigen Kopfballspiels werden vor allem neurodegenerative und neuropsychiatrische Erkrankungen diskutiert. Gerade in England, wo mittlerweile fünf Spieler der WM-Mannschaft von 1966 an Demenz erkrankt sind, wurden vorsichtshalber erste Maßnahmen ergriffen. So haben die Verbände von England sowie Schottland und Nordirland Kopfbälle im Training von Kindern unter elf Jahren untersagt.

"Schläge gegen den Kopf können zu einer Erschütterung des Gehirns und assoziierter Strukturen führen. Eine Folge kann eine Gehirnerschütterung oder eine Erschütterung assoziierter Strukturen sein wie des Innenohrs, der Hirnnerven oder der Halswirbelsäule", sagt Neurologin Feddermann-Demont. Daher könnten Symptome wie beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen und neurokognitive Einschränkungen entstehen.

Im Übrigen kommt in anderen Sportarten, wo die Gefahr von schweren Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen noch um einiges höher ist, mittlerweile Bewegung rein. Eine Gruppe von Rugby-Spielern inklusive des einstigen neuseeländischen Superstars Carl Hayman klagt nun gegen diverse Verbände. Der 41-jährige Hayman gab bekannt, dass er an Frühdemenz erkrankt sei.

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