Die Video-Assistenten sollen sich nun stärker zurückhalten und nur noch bei ganz offensichtlichen Fehlern eingreifen. So will es der DFB. Diese neue Linie ist sinnvoll und wird bislang gut umgesetzt. Nur in der Partie zwischen Hertha und dem BVB ist die Nichteinmischung unverständlich.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
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Wie hatte es Lutz Michael Fröhlich, der Leiter der Schiedsrichterkommission Elite beim DFB, vor Beginn der Rückrunde noch formuliert? "Wir wollen keine Video-Assistenten, die detektivisch tätig werden."

Vielmehr müssten für sie im Videomaterial klare Fehler der Schiedsrichter leicht zu erkennen, also offensichtlich sein. Nur wenn das der Fall ist, soll gegenüber dem Unparteiischen eine Empfehlung zur Korrektur ausgesprochen werden.

Eine Entscheidung dagegen, die sich erst nach vielen Wiederholungen aus verschiedenen Kameraperspektiven und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten als mutmaßlich falsch erweist, kann nicht so daneben sein, dass sie zwingend der Änderung bedarf.

Diese Festlegung von Fröhlich bedeutet eine Kurskorrektur beim Videobeweis. Das hat seine Gründe: Beim zuständigen International Football Association Board (Ifab) ist man der Ansicht, dass die Video-Assistenten in der Hinrunde der Bundesliga zu häufig interveniert haben.

Damit einhergegangen ist eine faktische Machtverschiebung zuungunsten des Schiedsrichters auf dem Feld. Dort, auf dem Rasen, soll die Entscheidungsgewalt aber bleiben. Und das nicht nur in der Theorie.

Steinhaus entscheidet zweimal vertretbar

Diese Neuausrichtung lässt bei konsequenter Umsetzung in der Rückrunde deutlich weniger Eingriffe und Korrekturen erwarten als bisher. Der 19. Spieltag bestätigte diese Erwartung.

Die Video-Assistenten hielten sich insbesondere in Situationen zurück, in denen ihre Kollegen auf dem Feld aus günstigem Blickwinkel und angemessener Distanz sowie mit freier Sicht auf das Geschehen eine bewusste Entscheidung trafen.

So wie Bibiana Steinhaus gleich zweimal in der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem FC Augsburg (2:0). Im Foul des Augsburgers Daniel Opare an Raffael sah sie keine "Notbremse", das Doppel-Handspiel von Daniel Baier im eigenen Strafraum wertete sie als unabsichtlich.

Beides war zumindest nicht eindeutig falsch. Denn ob Raffael ohne Opares Foul eher am Ball gewesen wäre als der herausstürmende Augsburger Torwart Marwin Hitz und so eine offensichtliche Torchance gehabt hätte, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen.

Baiers Handspiele wiederum wirkten unbeabsichtigt und zufällig, die Hand- und Armhaltung war auch nicht unnatürlich. Video-Assistent Daniel Siebert empfahl deshalb keine Änderung der Entscheidungen – zu Recht.

Helfer am Monitor halten sich auffällig zurück

Auch in anderen Begegnungen hielten sich die Video-Assistenten bedeckt, wo sie in der Hinrunde womöglich noch eingegriffen hätten.

So zum Beispiel beim rabiaten Tackling des Hamburgers Gideon Jung gegen das Schienbein des Kölners Marco Höger, das Schiedsrichter Guido Winkmann nur mit einer Verwarnung bestrafte, obwohl ein Platzverweis eher angebracht gewesen wäre.

Oder beim Beinstellen des Leverkuseners Panagiotis Retsos gegen den Hoffenheimer Nadiem Amiri im Strafraum der Rheinländer, das Referee Tobias Stieler nicht als Foulspiel wertete – vermutlich, weil Amiri auch ein wenig "einfädelte".

Es gibt Gründe, in diesen Fällen eine andere Entscheidung als die jeweils getroffene für besser zu halten. Aber das Handeln der Unparteiischen war nicht klar und offensichtlich falsch – und es gab den Video-Assistenten daher auch keinen Anlass einzuschreiten.

In Berlin hätte der Video-Assistent eingreifen sollen

Im Spiel zwischen Hertha BSC und Borussia Dortmund (1:1) dagegen ereignete sich in der Nachspielzeit eine Situation, bei der man die Entscheidung des Schiedsrichters schon eher für einen klaren und offenkundigen Fehler halten kann.

Denn beim deutlichen und ausdauernden Halten des Berliners Fabian Lustenberger im eigenen Strafraum gegen den freistehenden Andriy Yarmolenko lag der Ermessensspielraum nahe null.

Referee Christian Dingert ließ gleichwohl weiterspielen, und Video-Assistent Jochen Drees erhob keinen Einwand. Dabei wäre eine Empfehlung an den Unparteiischen, sich die Szene in der Review Area noch einmal anzuschauen, angemessen gewesen.

Doch die Nichteinmischung fügte sich in die Linie beim Umgang mit dem Videobeweis an diesem Spieltag.

Nur in Mainz kommt es zu einer Korrektur

Lediglich im Spiel der Mainzer gegen den VfB Stuttgart (3:2) kam es zu einer Korrektur. Dort lief Schiedsrichter Harm Osmers nach 42 Minuten auf Anraten seines Video-Assistenten Sascha Stegemann in die Review Area, um sich die Entstehung des vermeintlichen Mainzer Ausgleichstreffers zum 1:1 noch einmal anzuschauen.

Dort sah er, dass Suat Serdar in der Angriffsphase, die zum Tor führte, den Ball absichtlich mit der Hand gespielt hatte. Deshalb annullierte er den Treffer. Im Unterschied zu den strittigen Szenen in den anderen Stadien hatte der Referee die fragliche Situation in Mainz nicht wahrgenommen und somit auch nicht beurteilt.

Für die Schiedsrichter ist es insgesamt besser, wenn die Video-Assistenten sich stärker zurückhalten. Vor allem in Situationen, die die Referees klar selbst sehen und beurteilen konnten.

Der Videobeweis kommt so seiner eigentlichen Bestimmung näher, der Unparteiische gewinnt die Oberhoheit über die Entscheidungen in spielrelevanten Situationen zurück, auch in der Praxis. Und das ist gut so.

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