Als Stefan Bellof in der 78. Runde des 1000-Kilometer-Rennens von Spa den legendären Eau-Rouge-Knick ansteuerte, hatte er nur eines im Sinn: Er wollte seinen Rivalen Jacky Ickx schnellstens überholen. Der waghalsige Versuch endete in einer Tragödie. Der deutsche Motorsport verlor eines seiner großen Talente.
Es ist bedauerlich, dass an viele große Motorsportler vergangener Generationen immer dann erinnert wird, wenn sich ihr Todestag jährt. Viel zu viele werden nicht nur aufgrund ihrer großen Erfolge gefeiert, sondern auch wegen ihres zu frühen Ablebens in Erinnerung behalten.
Die Motorsportwelt der 1980er war bereits um einiges sicherer als die der wilden 60er und 70er, als hochmotorisierte Boliden bei minimaler Bodenhaftung über die Rennstrecken pilotiert werden mussten. Aber auch in den Jahrzehnten danach war der Grenzbereich zwischen Rundenrekord und Horrorunfall minimal.
"Die Autos lagen an sich sehr gut, aber waren gefährlich beim Aufprall. Man fuhr bei 90 Prozent, sagte man sich", erzählt Jochen Mass unserer Redaktion. Er gehörte viele Jahre zur Elite der Formel 1 und war später Prototypen-Fahrer.
Einer seiner Wegbegleiter in den 80ern war Stefan Bellof, eines der großen deutschen Motorsporttalente jener Zeit. Und auch Bellof ließ sein Leben viel zu früh - bei einem schweren Crash.
Schneller als die Veteranen
Bellofs Karriere begann in Nachwuchsklassen wie der Formel Ford und Formel 2, wo sich die Anwärter auf die Formel 1 tummelten. Nach ersten Erfolgen mit den Monoposti gelang dem gebürtigen Gießener der Sprung in die Sportwagenweltmeisterschaft, wo er zunächst im Privatteam von Kremer Racing und später als Werksfahrer für Porsche hinterm Steuer saß. In der damaligen Weltmeisterschaft tummelten sich auch viele alte Haudegen der Szene, die Bellof als Mittzwanziger gelegentlich deklassierte.
Zu eben jenen Haudegen gehörte beispielsweise Mass, der zeitweise Teamkollege von Bellof, aber zumeist harter Rivale des Hessen war. Die beiden lieferten sich mit ihren aerodynamisch hochmodernen Porsches bei Langstreckenrennen so einige Duelle. Mass sind auch deshalb die Geschehnisse rund um den tragischen Tod Bellofs am 1. September 1985 bis heute in Erinnerung.
Beide kämpften beim prestigeträchtigen 1000-Kilometer-Rennen auf der belgischen Rennstrecke von Spa-Francorchamps um den Gesamtsieg. Kurz vor dem Unglück hatte Mass seinen Werks-Porsche 962C an Teamkollege Jacky Ickx für einen routinemäßigen Fahrerwechsel bei solch einem Langstreckenrennen abgegeben, während Thierry Boutsen den knapp dahinter liegenden Brun-Porsche 956B an Bellof übergab. Was danach folgte, war ein erbitterter Zweikampf zwischen dem Veteranen Ickx und dem jungen Wilden Bellof.
Legendärer Auftritt in Monaco
Dass Bellof so verbissen gegen Ickx vorging, hatte eventuell nicht nur damit zu tun, dass er unbedingt in Führung gehen und den Grundstein für einen Rennsieg legen wollte. Bis dato hatte Bellof trotz seines großen Talents kein wirkliches Glück in der Formel 1, der Königsklasse des Sports, gehabt.
Obwohl er Testfahrten mit dem überlegenen McLaren-Team erfolgreich absolvierte, war dort kein Platz für ihn. Andere Rennteams, die etwa mit BMW-Motoren fuhren, konnten ihn nicht verpflichten, weil Bellof durch seine Aktivitäten im Sportwagenbereich vertraglich an Porsche gebunden war.
Er startete deshalb in der Saison 1984 für das Team von Tyrrell, das mit seinen Saugmotoren gegen die Turbo-angetriebene Konkurrenz gnadenlos unterlegen war. Trotzdem sorgte Bellof beim Grand Prix von Monaco für Aufsehen, als er vom letzten Platz aus das halbe Feld bei starkem Regen überholte und sogar schneller als die Führenden Alain Prost und Ayrton Senna war. Das Rennen wurde allerdings in der 31. Runde aufgrund der Wetterbedingungen abgebrochen. Rennleiter war damals niemand geringeres als Jacky Ickx.
"Er wurde hochgelobt, etwas zu hochgelobt. Fans sagten, sie hätten ihm den Sieg geraubt", erinnert sich Mass. Er mochte Bellof sehr, aber hatte manchmal Bedenken ob seiner draufgängerischen Art. "Stefan verlor den Respekt gegenüber seinem eigenen Treiben, nicht gegenüber den anderen Fahrern. Er war beseelt von dem Wunsch, zu zeigen, dass er besser war als alle anderen."
Unmöglicher Überholversuch in Eau Rouge
Der Unfall, der schließlich zu Bellofs Tod führte, ist bis heute unter Motorsportfans umstritten. Nachdem der 27-Jährige dem Belgier einige Runde nachgejagt hatte und eindeutig schneller als Ickx war, setzte er vor der steilen Eau-Rouge-Kurve innen zum Überholmanöver an. Ickx war weit rechts auf der Fahrbahn, um wahrscheinlich für den bevorstehenden Links-Rechts-Verlauf ein wenig auszuholen. Als er nach links auf die Ideallinie zog, war da schon Bellof.
Aufgrund der Kollision schlitterten beide bei hoher Geschwindigkeit in die Streckenbegrenzung. Während aber Ickx seitlich einschlug und weitestgehend unverletzt blieb, rammte Bellof frontal gegen einen hinter den Leitplanken stehenden Betonpfeiler.
Stuck: "Diese Überreste waren dramatisch"
"Diese Geschichte mit Ickx in der Eau Rouge ist saudumm gelaufen. Dazu hatten die 962er Porsche damals kein Carbon-Chassis. Ich sehe Stefans Auto noch vor meinen Augen. Diese Überreste waren dramatisch", erinnert sich Motorsportlegende Hans-Joachim Stuck im Gespräch mit unserer Redaktion an den Unfall.
Bellof starb wahrscheinlich noch am Unfallort. Offiziell hieß es, erst im Krankenhaus sei der Herzstillstand eingetreten. "Beim Gedanken an seinen Unfall in Spa kriege ich Gänsehaut. Weil ich mitgekriegt habe, wie die Angelika (Bellofs Lebensgefährtin Angelika Langner, Anm. d. Red.) damals die Entscheidung zum Abstellen der Maschinen im Krankenhaus gegeben hat", erzählt Stuck, der das 1000-Kilometer-Rennen auf Rang zwei beendete.
Schwere Vorwürfe gegen Ickx
Im Nachgang erhoben sowohl Bellof-Fans als auch dessen Familie schwere Vorwürfe gegen Ickx, wobei dessen Rennfahrerkollegen die Schuld eher bei Bellofs Übermut sahen. Manche äußerten auch deshalb Unverständnis, weil er mit etwas mehr Geduld auf der langen Kemmel-Gerade, die auf die Eau Rouge folgt, zum Überholmanöver hätte ansetzen können. "Hätte Jacky Ickx Pech gehabt, hätte es ihn genauso erwischen können. Rennsport ist gefährlich, und das dabei gekämpft wird, ist auch klar", sagt Stuck.
Mass erinnert sich, wie er bei Treffen von Bellof-Fanclubs später des Öfteren Partei für Ickx ergreifen musste, um allen deutlich zu machen, dass der Belgier nicht absichtlich in diesen Unfall verwickelt war. Zudem kommt ihn immer wieder in den Sinn, wie Bellof gerne die Limits austestete und bereits davor dafür bezahlen musste.
Eine Geschichte vom 1000-Kilometer-Rennen am Nürburgring blieb im Gedächtnis. Auf der Nordschleife stellte Bellof 1983 im Qualifying mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 200 km/h einen Rundenrekord auf, der erst 2018 gebrochen werden sollte. "Stefan fuhr beim Rennen ganz vorn, schneller als Jacky und ich. Gegen Ende des ersten Stints stieg am Pflanzgarten mein Auto auf", erzählt Mass. "Wenn du etwas Abtrieb verlierst, weil vielleicht der Unterboden beschädigt ist, dann musst du aufpassen."
Während des nächsten Boxenstopps, als Mass und Bellof an ihre Teamkollegen übergaben, ging Mass zu seinem jüngeren Konkurrenten und warnte ihn vor der Stelle am Pflanzgarten. "Er hat mich nur schräg angeguckt. Erste Runde, zack, weg war er. Da ist er dort abgehoben", berichtet Mass.
Stefan Bellof wird vermisst
Viele seiner früheren Kollegen sind sich einig, dass Bellof ein großes Talent war, das vielleicht in den 80ern auch noch Erfolge in der Formel 1 hätte feiern können. Und zudem war er in den Augen vieler Wegbegleiter ein "ganz netter Kerl", wie Mass es formuliert, der trotz seiner Verbissenheit und seines Draufgängertums für andere im Fahrerfeld da war.
"Er hat mir das Fahren eines Porsche 967, eines Ground-Effect-Autos, praktisch beigebracht", berichtet Stuck. "Als mir am Anfang pro Runde sechs, sieben Sekunden zur Bestzeit gefehlt haben, habe ich schon gedacht, ich müsse aufhören. Stefan hat mir dann in mühevoller Kleinstarbeit erklärt, wie ich mit dem Ground-Effect-Auto in die Kurve fahren muss."
Dass selbst so ein versierter Fahrer nicht immer die Kontrolle über die hochmotorisierten Fahrzeuge behalten konnte, verdeutlicht noch einmal die Gefahr im Motorsport, die zu jeder Zeit existierte. Wenige Wochen vor Bellofs Unfall war Manfred Winkelhock in einem Kremer-Porsche 962 im kanadischen Mosport Park tödlich verunglückt.
All das ging an den so hartgesottenen Fahrern nicht spurlos vorbei. "Ich konnte es nicht glauben, schon wieder war es passiert", erzählt Mass. Obwohl er immer betont, dass alle, einschließlich Bellof, um die Gefahr wussten, kann er seine Trauer um die Ereignisse nicht gänzlich verbergen. "Wie gerne wir Stefan noch hier hätten, dass er Geschichten erzählen könnte."
Verwendete Quellen:
- Interview mit Jochen Mass
- Interview mit Hans-Joachim Stuck
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