Seit einem Jahr explodiert das Angebot der Fernbusse auf Deutschlands Straßen. Die neue Konkurrenz zwingt auch die Bahn zum Umdenken. Neue Linien, mehr Service, günstigere Preise: Wir zeigen, wie der Monopolist reagiert.
Über vier Stunden brauchte der Regional-Verkehr der Bahn bisher für die gut 280 Kilometer lange Strecke zwischen Berlin und Hamburg. Wer nicht mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 70 km/h durch die Gegend juckeln wollte, dem blieb nur der Kauf von IC- und ICE-Tickets. Die aber sind mit bis zu 78 Euro für die einfache Fahrt die teuersten im Fernverkehr. Nirgendwo sonst ließ sich die Bahn soviel pro Kilometer bezahlen.
Unmögliche Regional-Verbindungen und sündhaft teurer Fernverkehr: Die Einschränkung des Angebotes folgte einem System, an dem die Bahn jahrelang sehr gut verdiente. Bis Anfang 2013 die neue Konkurrenz der Fernbusse das Geschäft völlig veränderte. Wer kein Auto besitzt, dem stehen jetzt nicht nur endlose Regionalexpress-Verbindungen oder teure ICEs zur Auswahl. Die Fernbusse bieten seit einem Jahr bezahlbare Flexibilität zwischen vielen Städten. Auch wer spontan eine der zahlreichen Verbindungen wählen möchte, zahlt fast immer weniger als die Hälfte des vergleichbaren Bahn-Preises. Dafür dauert die Fahrt zwar länger, aber eben nur länger als der ICE. Im Vergleich zu den Regionalexpress-Verbindungen sind viele Buslinien jetzt schon konkurrenzfähig.
Wer einmal Bus fährt, der kommt nicht wieder
Wie viele ehemalige Monopolisten hat die Bahn die Auswirkungen des neuen Angebots "sträflich unterschätzt" ("Die Welt"). Inzwischen bieten die Fernbus-Unternehmen 5.400 Fahrten pro Woche an. Der Bahn entgeht so ein Umsatz von 300 Millionen Euro im Jahr. Es fahren keineswegs nur Kunden mit den Bussen, die sonst gar nicht fahren würden, sondern auch potentielle Fernverkehrskunden. Der Erfolg der Fernbusse ist nicht nur aufgrund des entgangenen Umsatzes ein Problem für die Bahn, sondern vor auch in der langfristigen Geschäftsperspektive. Wer sich einmal an das Verkehrsmittel Fernbus gewöhnt hat, der kommt nicht wieder, glauben die Bahn-Manager. Ein erstes Minus zeigte der Bahnverkehr bereits in den ersten neun Monaten des Jahres 2013, während der Busverkehr gleichzeitig zweistellig Zuwachsraten und einen Millionenumsatz erwirtschaftete.
Fernverkehr zum Regionalexpress-Preis
Jetzt will die Bahn gegensteuern. Die neue Konkurrenz zwingt sie dazu, jahrzehntelange Dogmen zu überdenken, um Kunden zurück zu gewinnen. Die Strecke Hamburg-Berlin wird dabei zum Testfall. Auf ihr soll ab April 2014 erstmals ein günstiger Fernverkehrszug jenseits des ICE/IC-Systems Kunden aus den Fernbussen zurück auf die Schiene hohlen.
Der Interregio-Express soll laut Medienberichten einmal täglich von Berlin nach Hamburg und zurück fahren, am Freitag sogar zweimal. Mit Zwischenhalten in Uelzen, Stendal und Salzwedel wird der neue Zug mit zirka 2,5 Stunden etwa 45 Minuten länger brauchen als die schnellen ICE-Verbindungen, dafür aber als Regional-Verkehrsmittel nur etwas mehr als die Hälfte kosten. Mit dem beliebten Quer-durchs-Land-Ticket wären Hin- und Rückfahrten am selben Tag schon für 43 Euro möglich. Die Bahn könnte mit dieser Verbindung das erste Zug-Angebot schaffen, das konkurrenzfähig zu den Fernbussen ist. Wenn es gut läuft, werden ähnliche Angebote auf anderen Strecken nicht lange auf sich warten lassen.
Günstige Bahn Card als faktische Preissenkung
Nicht nur mit neuen Angeboten reagiert die Bahn auf einen sich veränderten Markt, auch durch eine verkappte Preissenkung will der Ex-Monopolist die Kunden von den Bussen fernhalten. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Bahn Card im letzten Jahr so günstig angeboten wurde wie niemals zuvor in der Geschichte des Unternehmens. Mit der Einsteiger-Bahn-Card konnten Neu-Kunden zeitweise schon für 19 Euro drei Monate 25 Prozent Rabatt auf die Normalpreise und die Sparpreise bekommen.
Damit gab es fast keine Fernverkehrsverbindungen mehr, auf denen sich die Bahn Card nicht rechnete. Dass die Bahn die Bahn Card verschleudert, kommt einer inoffiziellen Senkung der Grundpreise gleich. Denn was ist schon ein Normalpreis, den faktisch niemand mehr bezahlen muss.
Eine Million zusätzliche Sparpreise
Ein weiterer Weg, die Preise faktisch zu senken, ohne diesen Vorgang als solchen zu benennen, ist die Erhöhung des Sparpreis-Kontingentes. Eine Million zusätzliche Spar-Tickets warf der Staatskonzern ab November auf dem Markt. Damit können Frühbucher auf vielen Verbindungen auch wenige Tage vor der Abfahrt günstige Verbindungen buchen.
Stichproben zeigen neuerdings auch bei nachfragestarken Verbindungen, die früher stets frühzeitig ausverkauft waren, verfügbare Kontingente - und akzeptable Preise. Allerdings: Die Sparpreise sind nur bis spätestens zwei Tage vor Abfahrt verfügbar. Für die Tage dazwischen hat die Bahn immer noch kein konkurrenzfähiges Angebot zum Fernbusverkehr.
Erinnerungen an Lufthansa und Telekom
Ein bisschen erinnert der derzeitige Umbruch am Reisemarkt an die erst Zeit nach der Privatisierung der Deutschen Telekom. Die ehemaligen Bereiche Telekommunikation und Fernmeldewesen der Deutschen Bundespost hatten nach der Privatisierung 1995 mit legendär schlechtem Service und überhöhten Preisen Millionengewinne erwirtschaftet.
Anfang des Jahrtausends machten zunächst Klein- und Kleinstanbieter mit Einwahl-Nummern vor jedem Anruf dem Ex-Staatskonzern-Konkurrenz. Bis private Anbieter mit Flatrates den Markt so gründlich veränderten, dass auch die Telekom ihre Mondpreise schließlich senken musste - nach enormen Kunden- und Image-Verlusten.
Ein ähnliches Schicksal ereilte die Deutsche Lufthansa. Mit Beginn des Booms der Billigflieger hielt der Konzern zunächst an seinen teuren Tickets fest - mit dem Verweis auf besseren Service. Heute werden fast alle Inlandsflüge von der Billig-Tochter Germanwings durchgeführt - zu akzeptablen Preisen.
Und die Deutsche Bahn? Der Staatskonzern erhält durch die Fernbusse zum ersten Mal in seiner Geschichte echte Konkurrenz im Fernverkehr. Und reagiert bereits, obwohl das neue Angebot noch jung ist. Langfristig könnte die verkappte Senkung der Preise jedoch nicht ausreichen. An die Stelle eines unflexiblen und teuren Preissystems könnten einfache und günstige Verbindungen treten, die auf machen Strecken etwas länger unterwegs sind und die Benutzung eines Busses überflüssig machten. Dann wären die Fernbus-Betreiber an der Reihe, mit neuen Innovationen den Markt voranzutreiben.
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