Die Zahl der verfügbaren Nahrungsergänzungsmittel im Drogeriemarkt ist schier unüberschaubar – doch was genau sollen die Mittel eigentlich bewirken? Und wie sinnvoll sind Nahrungsergänzungsmittel?
Beim Blick ins Angebotsregal einer Drogerie oder auf die Werbung der Hersteller für Nahrungsergänzungsmittel könnte man meinen, wir seien alle völlig unterversorgt. Laut einer Umfrage der Verbraucherzentralen nimmt tatsächlich jede:r dritte Befragte Nahrungsergänzungsmittel ein: Bei einer Erkältung ein bisschen Vitamin C, Magnesium für die Muskulatur nach dem Sport, Vitamin D im Winter …
Besonders häufig sind es junge Erwachsene unter 29 Jahren, die Nahrungsergänzungsmittel verwenden. Rund die Hälfte der Befragten glaubt an die gesundheitsfördernden Wirkungen. Aber hat dieser Glaube überhaupt eine Grundlage – sind Nahrungsergänzungsmittel wirklich sinnvoll?
Darum geht es im Artikel:
- Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
- Werbeversprechen bei Nahrungsergänzungsmitteln
- Nahrungsergänzungsmittel: selten sinnvoll
- Sind Nahrungsergänzungsmittel gefährlich?
- Für wen sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
- Nahrungsergänzungsmittel vs. Arzneimittel
- Fazit
Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind meist industriell hergestellte Mittel, die die normale Ernährung ergänzen sollen und die man als Tabletten, Kapseln, Tropfen oder Pulver kaufen kann. Sie enthalten konzentrierte Nährstoffe oder andere Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Das können Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren, Ballaststoffe, aber auch Pflanzen oder Kräuterextrakte – beispielsweise Cranberry- oder Aronia-Extrakt – sein.
Wichtig: Nahrungsergänzungsmittel sind keine Medikamente. Rechtlich gesehen werden sie als "Lebensmittel" eingestuft. Damit unterliegen sie keiner Zulassungspflicht und ihre Wirkung wird nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Hersteller müssen die Mittel lediglich als "Nahrungsergänzungsmittel" kennzeichnen. Sie müssen außerdem eine empfohlene Tagesdosis angeben und das Produkt mit dem Warnhinweis versehen, dass diese Menge nicht überschritten werden darf.
Während Nahrungsergänzungsmittel früher vor allem bei Kaffeefahrten beworben wurden, gibt es sie heute fast überall zu kaufen: In Supermärkten, Drogerien, Apotheken oder im Internet – ob sie nun sinnvoll sind oder nicht.
Subtile Werbe-Versprechen bei Nahrungsergänzungsmitteln
Wie sinnvoll Nahrungsergänzungsmittel tatsächlich sind, lässt sich an den Angaben der Hersteller kaum festmachen. Seit der sogenannten Health-Claims-Verordnung (BMEL) dürfen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln nicht mehr einfach mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben. Die Werbeversprechen müssen – mit der Ausnahme von pflanzlichen Inhaltsstoffen – zunächst bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eingereicht und wissenschaftlich geprüft werden.
Bisher sind etwa 250 solcher Aussagen für Nahrungsergänzungsmittel als wissenschaftlich belegbar eingestuft worden. Überwiegend sind es Aussagen über Vitamine und Mineralstoffe: Beispielsweise dürfen Hersteller, die eine bestimmte Menge zusetzen, damit werben, dass Vitamin C zur normalen Funktion des Immunsystems beiträgt oder Calcium für den Erhalt normaler Knochen nötig ist (siehe Verbraucherzentrale).
Sie dürfen jedoch nicht damit werben, dass Nahrungsergänzungsmitteln Krankheiten beseitigen, lindern oder verhüten. Nur Aussagen wie "senkt das Risiko für …" sind erlaubt. Aussagen, für die kein Nachweis erbracht werden konnte, sind verboten.
Großes Angebot vermittelt "zu Unrecht den Eindruck, dass eine ausreichende Nährstoffzufuhr über die Ernährung nicht möglich wäre"
Dennoch werben viele Hersteller mit Versprechen, die nicht zulässig sind: Das Verbrauchermagazin Öko-Test kritisiert etwa immer wieder unzulässige Werbeaussagen – wie zum Beispiel die Aussagen, dass probiotische Joghurts positiv auf das Immunsystem wirken oder Cranberrys die Blasengesundheit fördern.
kritisiert auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Besonders problematisch ist der Onlinehandel mit Nahrungsergänzungsmitteln: Bei einer europaweiten Aktion untersuchte die Europäische Kommission rund 1.100 Webseiten und spürte insgesamt 779 nicht verkehrsfähige Produktangebote auf. Darunter waren 428 nicht zugelassene Lebensmittel und 351 Nahrungsergänzungsmittel mit unzulässigen Gesundheitsversprechen – darunter sogar gesundheitsgefährdende Produkte.
Demnach sollte man beim Onlinekauf von Nahrungsergänzungsmitteln besonders vorsichtig sein. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat aus diesem Grund einen Mustershop entwickelt, bei dem man sein Wissen rund um den Lebensmittel-Onlinehandel testen kann.
Nahrungsergänzungsmittel: Bei seriöser Betrachtung selten sinnvoll
Auch wenn uns die Hersteller etwas anderes glauben lassen wollen, ist die Einnahme von teuren Nahrungsergänzungsmitteln meist wenig sinnvoll oder unter Umständen sogar gesundheitsgefährdend. Ernährungs- und Gesundheits-Fachleute sind sich weitgehend einig, dass eine Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auf eigene Faust nicht ratsam ist.
- Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist die Mehrzahl der Menschen in Deutschland ausreichend mit Nährstoffen versorgt und braucht keine Extraportion Mineralstoffe und Vitamine.
- Sinnvoll sei eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung. Sie versorge den Körper mit allen lebensnotwendigen Stoffen, sagt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Vitamine aus Obst und Gemüse wirken mit vielen verschiedenen Substanzen zusammen und hätten so einen höheren gesundheitlichen Nutzen als isolierte NEM-Vitamine.
- "Der Großteil der Bevölkerung Deutschlands ist heute mit Nährstoffen ausreichend versorgt", so Angela Clausen, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren zu wenig über diese Produkte und unterschätzen daher die Risiken."
- "In Deutschland greift fast die Hälfte der Erwachsenen zu Nahrungsergänzungsmitteln, ohne dass in der Bevölkerung eine allgemeine Unterversorgung an Nährstoffen vorliegt. Vor allem im Internet finden sich viele Produkte mit unzulässigen Gesundheitsversprechen, fragwürdigen Inhaltsstoffen und zu hohen Dosierungen” warnt die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Website klartextnahrungsergänzung.de.
Ist die Nahrungsergänzung gefährlich?
Sinnvoll scheint also zumindest die eigenmächtige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln nicht – schlimmer aber: Es kann sogar zu gesundheitlichen Risiken kommen. Insbesondere, wenn hochdosierte Produkte über einen längeren Zeitraum eingenommen und gleichzeitig angereicherte Lebensmittel gegessen werden, kann das zu bedenklichen Überdosierungen führen.
So führte die tägliche Einnahme von 20 Milligramm Betacarotin – einer Vorstufe von Vitamin A – bei Raucher:innen zu einem höheren Lungenkrebsrisiko. Auch die Zahl der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Krankheiten stieg.
Eisen ist zwar ein lebensnotwendiges Spurenelement, dennoch kann eine Überversorgung durch eine langfristige und unkontrollierte Einnahme das Risiko von Herz- und Krebserkrankungen steigern (siehe BfR). In einem Marktcheck fanden die Verbraucherzentralen heraus, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Magnesium-Produkte eine zu hohe Magnesium-Dosierung hatten: Eine zu hohe Magnesiumkonzentration kann zu Durchfall und Erbrechen führen. Öko-Test fand keines von 24 Magnesium-Präparaten empfehlenswert. Auch Stiftung Warentest kritisierte, dass die Dosierungen in Nahrungsergänzungsmitteln oft zu hoch sind.
Eine aktuelle Untersuchung von Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder zeigte ebenfalls: Drei Viertel der Präparate im Test überschreiten mit einem oder mehreren Bestandteilen die Referenzwerte für Vitamine und Mineralstoffe der DGE. Zudem enthielten einige der Produkte umstrittene Zusatzstoffe.
Das BfR warnt eindringlich davor, dass hochdosierte Vitamin-D-Präparate "langfristig die Gesundheit beeinträchtigen" können.
Problematisch sind auch Produkte, die gleich mehrere Nährstoffe enthalten. Die Gefahr einer Überdosierung ist hier noch höher. Für einen gesunden Menschen, so der Tenor der Fachleute, sind Nahrungsergänzungsmittel überflüssig, wenn nicht sogar gesundheitsgefährdend.
Gefährlich kann auch die gleichzeitige Einnahme von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln sein: Die Verbraucherzentralen warnen vor Wechselwirkungen, welche die Wirkung von Medikamenten verstärken oder verringern können. Beispielsweise kann Biotin die Werte von Schilddrüsen- und Sexualhormonen bei Labortests oder den Herz-Kreislauf-Marker Troponin verfälschen. Generell sollte man Arzt oder Ärztin über die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln informieren – bzw. die Einnahme vorher abklären, um Überdosierungen und Wechselwirkungen zu vermeiden.
Und dennoch es gibt Situationen, in denen die Einnahme von Nährstoffpräparaten sinnvoll ist.
Für wen sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
Bei einer einseitigen, unzureichenden Ernährung oder in bestimmten Situationen kann es zu einem Nährstoffmangel kommen: In der Schwangerschaft und während der Stillzeit etwa ist der Bedarf an Eisen, Jod und Folsäure erhöht und die Nährstoffe sollten unter ärztlicher Aufsicht zusätzlich eingenommen werden. Auch für Säuglinge wird nach der Geburt die Gabe von Vitamin K, Vitamin D und Fluorid empfohlen.
Für Menschen, die sich kaum im Freien aufhalten oder ihre Haut nicht unbedeckt der Sonne aussetzen, kann ein Vitamin-D-Präparat in geringer Dosierung sinnvoll sein. Der gesamten Bevölkerung rät die DGE zur Verwendung von Jodsalz.
Bei einer veganen Ernährung ist die Vitamin-B12-Versorgung nicht gewährleistet und sollte durch Supplemente oder angereicherte Zahnpasta gedeckt werden. Ebenso kann bei chronischen Krankheiten oder älteren Menschen die Einnahme von Nährstoffen sinnvoll sein. Wer den Verdacht hat, an einem Mangel zu leiden, sollte dies jedoch ärztlich überprüfen lassen und nicht auf eigene Faust Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen.
Nahrungsergänzungsmittel vs. Arzneimittel
Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel klar voneinander zu unterscheiden ist gar nicht so einfach, doch es gibt wichtige Unterschiede:
- Nahrungsergänzungsmittel werden rechtlich als Lebensmittel angesehen, die die Nahrung ergänzen. Sie müssen sicher sein und dürfen nicht pharmakologisch wirken. Allerdings durchlaufen sie – anders als Arzneimittel – kein behördliches Zulassungsverfahren.
- Arzneimittel sollen Krankheiten heilen, Leiden lindern und unterliegen den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes. Die Inhaltsstoffe müssen pharmakologisch wirksam sein und durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen werden.
In der Umfrage der Verbraucherzentralen glaubten 47 Prozent der Befragten, dass Nahrungsergänzungsmittel staatlich auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden – doch das stimmt eben nicht: Da es rechtlich gesehen Lebensmittel sind, müssen sie anders als Arzneimittel nicht zugelassen werden und es gibt keine Überprüfung von Wirksamkeit und Sicherheit. Zwar müssen Nahrungsergänzungsmittel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit "angezeigt" werden, doch für die Überprüfung von Wirksamkeit, Sicherheit und der Richtigkeit der Werbeaussagen ist alleine der Hersteller verantwortlich (BfR).
Fazit: Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
Wenn du nicht gerade schwanger bist, stillst, an einer Erkrankung leidest, einen diagnostizierten Mangel hast oder dich vegan ernährst, brauchst du wahrscheinlich keine Nahrungsergänzungsmittel – eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung reicht aus. Wenn du hingegen den Verdacht hast, krank zu sein oder aus anderen Gründen an einem Nährstoff-Mangel zu leiden, dann lass dich ärztlich untersuchen und Krankheit oder Mangel fachgerecht diagnostizieren. Das ist in jedem Fall besser, als auf Basis fragwürdiger Versprechungen Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken, die nur deinen Geldbeutel leeren. © UTOPIA
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