Wen interessiert das Geschwätz von gestern? Ab 2024 sollten verschärfte Gesetze zum Schutz von männlichen Küken gelten. Anhand einer eigenen Studie will die Bundesregierung dieses Tierschutzgesetz nun aber lockern.

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Seit dem 1. Januar 2022 ist das routinemäßige Töten von männlichen Küken verboten. Somit endete endlich an diesem Datum das barbarische Schreddern von männlichen Küken am ersten Lebenstag. Denn für die Lebensmittelindustrie sind die Eintagsküken wertlos. Sie können keine Eier legen und sind auch als "Mastrasse" nicht zu verwenden, da sie nur langsam und zudem auch weniger Fleisch ansetzen.

Mit Inkrafttreten des neuen Tierschutz-Gesetzes bestimmt der Zuchtbetrieb das Geschlecht der Küken bereits im Brut-Ei. Eier mit weiblichen Embryonen werden weiter bebrütet. Bei Eiern, die hingegen männliche Embryonen aufweisen, wird die Bebrütung abgebrochen. Diese Eier wandern unter anderem direkt in die Futtermittelindustrie. Doch der "Deutsche Tierschutzbund" hat das neue Gesetz bereits vor Inkrafttreten als nicht konsequent genug kritisiert.

Etwa 21 Tage nach dem Legen schlüpfen die Küken aus ihren Eiern. Die Bestimmung des Geschlechts ist meist erst innerhalb von neun bis 14 Tagen möglich. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand wird jedoch angenommen, dass Hühnerembryonen bereits ab dem siebten Bebrütungstag Schmerzen empfinden können. Also leiden sie bei der Tötung.

Verschärfung des Tierschutz-Gesetzes war ab 2024 vorgesehen

Die männlichen Küken werden als nicht profitable Ware angesehen und einfach vernichtet. Daher war eine Verschärfung des Gesetzes ab 1. Januar 2024 vorgesehen. Ab diesem Zeitpunkt sollte dann die Aussortierung der männlichen Küken nur noch innerhalb von sechs Bruttagen erfolgen dürfen. Ein wichtiger und richtiger Schritt zu weniger Tierleid – sollte man meinen!

Bundesregierung gibt eigene Studie in Auftrag

Die Ampel-Regierung, in diesem Fall das "Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft" (BMEL), hat jedoch eine eigene Studie zum Schmerzempfinden der Embryonen in Auftrag gegeben. Und diese Studie kommt zu einem ganz anderen Ergebnis.

Die Studie zum Schmerzempfinden der Küken im Brut-Ei geht davon aus:

  • dass Hühnerembryonen einschließlich Bebrütungstag zwölf keine Schmerzen empfinden können.
  • nicht ausgeschlossen werden könne, dass Hühnerembryonen ab Bebrütungstag 13 Schmerzen empfinden können.

Somit gebe es für das Bundesministerium auch keine wissenschaftliche Grundlage mehr, die Gesetzesnovelle zum Tierschutz dahingehen zu ändern, dass ab 2024 eine Geschlechterbestimmung im Ei vor dem siebten Bebrütungstag erfolgen muss. Diese neue wissenschaftliche Erkenntnis erfordert der Studie zufolge "eine Änderung des Tierschutzgesetzes hinsichtlich der Geschlechterbestimmung im Hühner-Ei, um Rechtssicherheit zu schaffen".

Neue Studie: Tötung bis zum zwölften Tag akzeptabel

Im Klartext: Es gibt eine Verschärfung des Tierschutzgesetzes dahingehend, dass ab Januar 2024 ein Stopp der Bebrütung der männlichen Küken im Brut-Ei nur innerhalb von sechs Tagen nach der Ei-Ablage erfolgen darf. Grundlage dafür ist die Annahme der Wissenschaft, dass ab dem siebten Tag nach der Ei-Ablage das Schmerzempfinden der Embryonen einsetzt.

Jetzt hat das "BMEL" eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kommt, dass bis einschließlich Tag zwölf die Bebrütung von männlichen Embryonen gestoppt werden kann. Denn das Schmerzempfinden der Küken setze – laut Ergebnis der Studie – erst ab Tag 13 ein. Und auf Grundlage dieser einzelnen Studie will das Bundesministerium nun die beschlossenen Verbesserungen im Tierschutzgesetz wieder rückgängig machen.

Das "BMEL" wird von dem grünen Minister Cem Özdemir geleitet. Auf der Homepage der Grünen steht unter anderem geschrieben: "Wir wollen das Tierschutzgesetz verbessern und dafür sorgen, dass es auch eingehalten wird."

Bis zum zwölften Tag ist es akzeptabel.
Bis zum zwölften Tag ist es akzeptabel. © Foto: unsplash.com/Tony Pham (Symbolfoto)

Das Töten von Küken wieder weniger reguliert

Mit dem Ergebnis dieser vom "BMEL" in Auftrag gegeben Studie und den Schlüssen, die die Bundesregierung daraus zieht, wird das Tierschutzgesetz wieder gelockert und das Töten von Küken weniger reguliert.

Scarlett Treml, Agrarwissenschaftlerin und "PETA"s Fachreferentin für Tiere in der Agrarindustrie, kommentiert zusammenfassend: "Die Schlussfolgerung, dass das Töten von Hühnerembryonen bis zum zwölften Bebrütungstag akzeptabel ist, muss als äußerst fragwürdig und überstürzt angesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass wirtschaftliche Interessen nicht über dem Tierschutz stehen dürfen."

Nicht nur für "PETA", sondern für alle Tierfreunde erscheint es sehr bedenklich, dass eine einzelne Studie das Tierschutzgesetz so schwächen kann. Zwar ist die Erforschung von Hühnerembryonen noch lange nicht abgeschlossen, aber es ist dennoch bekannt, dass die Küken im Ei ab dem siebten Bebrütungstag kontinuierlich Schmerzen empfinden können. Wann jedoch genau das Schmerzempfinden vollständig ausgebildet ist, kann die Wissenschaft zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht exakt bestimmen.

Dass die Zuchtbetriebe überhaupt Küken – auch Embryonen im Ei – noch töten dürfen, darin sieht Thomas Schröder, seit 2011 Präsident des "Deutschen Tierschutzbundes", einen Fehler und ein Einknicken des Bundesministeriums vor der Industrie. Die Geflügelbranche nutze dieses Schlupfloch weiterhin aus ökonomischen Interesse schamlos aus. Schröder fordert daher von dem aktuellen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Özdemir, das Töten von Küken – egal ob im Ei oder nach dem Schlüpfen – rigoros zu verbieten. Eine Forderung, die alle Tierschützenden begeistern dürfte.

Aber was erwartet das männlichen Küken nach dem Schlüpfen?

Neben dem totalen Verbot von Küken-Tötung fordert Schröder die Umstellung auf das sogenannte "Zweitnutzungshuhn". Hierbei legen die Hennen die Eier und die Hähne können für die Fleischproduktion genutzt werden. Insgesamt gesehen würde dies zwar weniger Eier und weniger Fleisch bedeuten, aber die kleinen Zweibeiner wären insgesamt robuster und gesünder. Und vor allem wäre kein Geschlecht wertlos, so wie es momentan der Fall ist. Soweit die Theorie.

Einige Unternehmen beteiligen sich bereits an den sogenannten "Bruderhahn-Initiativen". Die Unternehmen lassen männliche Küken schlüpfen, ziehen diese als Masthähne heran und töten diese später wegen des Fleisches. So wirbt "ALDI" bereits auf der Verpackung seiner Bio-Eier mit dem Vermerk: "Bruderhahn-Aufzucht". Auch die Eierindustrie druckt auf ihren Eierverpackungen mittlerweile Slogans wie: "Brüderchen und Schwesterchen" oder "Küken dürfen leben".

Dazu vermitteln niedliche Bilder von flauschig-gelben Küken dem Verbraucher, dass jetzt alles gut sei. Doch ist dem so und wie sieht das Leben eines Bruderhahns normalerweise nach dem Schlüpfen aus? Die Mast findet größtenteils nicht in Deutschland statt. Lastkraftwagen transportieren daher einen Großteil der männlichen Küken über lange Strecken, beispielsweise nach Polen. Dort fristen sie mit Zehntausenden Leidensgenossen in nicht artgerechten und viel zu kleinen Ställen ein trostloses Dasein, ohne jemals den Himmel und die Sonne gesehen oder frische Luft geatmet zu haben.

Nach drei bis vier Monaten endet dann die "Lebens"-Zeit der männlichen Küken im Schlachthaus. Leider ist das Fleisch in Deutschland kaum zu vermarkten. Dafür ist der Verbraucher zu sehr an das weiche, weiße Fleisch der 30 Tage jungen Masthühner gewöhnt. Die Betreiber der Schlachthöfe verkaufen die toten Hähne zum Teil nach West-Afrika. Mit der Folge, dass die Billigpreise dann den Markt der dort ansässigen Bauern zerstören. Für die aufgezogenen männlichen Küken ist somit nichts gewonnen – außer, dass ihr Leid jetzt drei bis vier Monate dauert.

Das Töten der Küken ist nur in Deutschland verboten

Das Gesetz, dass die Tötung der männlichen Küken ab Januar 2024 nur innerhalb von sechs Bruttagen erlauben sollte, hätte den armen Kreaturen in den Zuchtbetrieben sicherlich noch mehr Leid erspart. Unverständlich, dass das "BMEL" den Tieren noch nicht einmal dieses minimale Zugeständnis einräumt und das Tierschutzgesetz wieder lockern will.

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Doch noch besorgniserregender ist diese Tatsache: Die Tötung von männlichen Küken nach dem Schlüpfen ist nur in Deutschland verboten. Das macht sich die deutsche Eierindustrie zunutze und transportiert Eier aus den Elterntierfarmen zu ausländischen Brütereien, zum Beispiel in die Niederlande. Dort lässt man die kleinen Vögel weiterhin schlüpfen, sortiert diese dann und tötet die männlichen Küken danach auf grausame Art und Weise. Die weiblichen Küken kommen zurück in die deutschen Legebetriebe, wo sie dann ein Leben voller Leid erwartet.  © Deine Tierwelt

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