Die Angst vorm großen, bösen Wolf ist tief in uns verankert. Doch wie groß ist die Gefahr wirklich, die von Wölfen für Menschen ausgeht?

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Wölfe waren einst in ganz Europa verbreitet. In weiten Teilen seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes, vor allem aber in West- und Mitteleuropa, wurde das Raubtier jedoch durch den Menschen fast vollständig ausgerottet. Durch verstärkte Schutzbemühungen, wie zum Beispiel das Washingtoner Artenschutzabkommen, die Berner Konvention oder die FFH (Fauna-Flora-Habitat)-Richtlinie und durch Jagdverbote nehmen die Bestände seit Jahren wieder zu.

Seit Ende der 1990 Jahre haben sich Wölfe auch wieder in Deutschland angesiedelt. Mittlerweile ist "Canis Lupus" in fast allen deutschen Bundesländern wieder heimisch. Das Bundesamt für Naturschutz hat für die Jahre 2021/2022 insgesamt 161 Wolfsrudel (ein Rudel besteht aus sechs bis acht Tieren), 35 Wolfspaare sowie 21 sesshafte Einzelwölfe bestätigt.

Wölfe sorgen für zwiespältige Meinungen

Doch ist die Meinung über diese Neuansiedlung in der deutschen Bevölkerung sehr zwiespältig. Während die Tierschützer die Rückkehr der Wölfe als Sieg des Artenschutzes feiern, ist in weiten Teilen der Bevölkerung die Angst vorm "großen, bösen Wolf" nicht erst durch das Märchen "Rotkäppchen" der Gebrüder Grimm tief verankert.

Und auch die Medien befeuern durch teilweise reißerische Berichte von Verfolgungen oder sogar von Angriffen auf Menschen die Angst vor dem großen Vierbeiner. Unbestritten ist natürlich, dass Wölfe ihrem natürlichen Instinkt folgen und Beutetiere reißen. Leben die Wolfsrudel in der Nähe von menschlichen Siedlungen, kann es vorkommen, dass Wölfe auch Schafe, junge Rinder oder Haustiere erbeuten. Zwar kann für durch den vom Wolf verursachten "Nutztierriss" eine Entschädigung beantragt werden, doch ist der Weg durch die Behörde für die Betroffenen zeitaufwendig und mühselig.

Wie gefährlich sind Wölfe denn wirklich für uns?

Der bekannte Meeresbiologe, Forschungstaucher, Tierschützer und Biologe Robert Marc Lehmann klärt in seinem aktuellen Video die Frage, wie gefährlich Wölfe für uns Menschen wirklich sind. Der Tierschützer erklärt die Frage eindeutig mit seinem Hinweis auf die sogenannte "NINA-Studie", die im Auftrag des NABU geklärt hat, wie groß die Gefahr eines Wolfsangriffs wirklich ist. Diese Studie wurde nach 20 Jahren erneut durchgeführt und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: trotz steigender Wolfspopulation im Zeitraum 2002 – 2020 ist ein Angriff auf einen Menschen zwar nicht ausgeschlossen, aber äußerst gering.

In Europa und Nordamerika fanden innerhalb dieser 18 Jahre 14 Wolfsangriffe statt, von den zwei tödlich endeten (beide in Nordamerika). Weltweit wurden zwischen 2002 und 2020 489 Wolfsangriffe gezählt, von denen 26 tödlich endeten. 78 Prozent dieser Angriffe ist auf die Tollwut zurückzuführen. Diese Krankheit lässt nicht nur Wölfe Menschen angreifen. Alle Tiere, die von dieser tückischen Krankheit befallen sind, zeigen ein aufgebrachtes und aggressives Verhalten – auch gegenüber Menschen. Und nicht zu vergessen sind die Angriffe, die der Mensch zum Beispiel durch Fütterungsversuche selber provoziert hat.

Außerdem listet die Studie die Länder auf, in denen Angriffe durch Wölfe stattgefunden haben. Die meisten Angriffe fanden in Indien (89), Iran (105) und der Türkei (105) statt. Anhand dieser Daten ist eines klar erkennbar: In Deutschland fand zwischen 2002 und 2020 kein einziger dokumentierter Angriff von Wölfen auf Menschen statt. Die Angst vor dem Wolf ist daher statistisch gesehen unbegründet.

Richtiges Verhalten bei der Begegnung mit dem Wolf

Sollten wir einem Wolf in der freien Natur begegnen, weist uns der Biologe auf das richtige Verhalten hin. Auf alle Fälle soll Ruhe bewahrt und den Wölfen die Möglichkeit gegeben werden, sich zurückzuziehen. Wer sich unwohl fühlt, kann in die Hände klatschen, sich groß machen, den Wolf mit lauter Stimme ansprechen und sich langsam zurückziehen.

Auf keinen Fall darf man auf Wölfe zugehen oder versuchen, sie zu streicheln oder zu füttern. Niemals den Wölfen nachlaufen, ihre Jungtiere anfassen oder die Wurfhöhle besuchen. Die Begegnung sollte anschließend der zuständigen Stelle für Wolfsmonitoring gemeldet werden.

In diesem Zusammenhang fordert der engagierte Tierschützer aber, dass es ein besseres Wolfsmanagement bereits in den Kindergärten und Schulklassen geben muss. Denn aufgrund der Tatsache, dass es Wölfe erst seit knapp 25 Jahren wieder in Deutschland gibt, fehlt uns Menschen der richtige Umgang mit ihnen. Durch die steigende Wolfspopulation werden Wolfsbegegnungen wahrscheinlicher. Menschliches Fehlverhalten mit fatalen Konsequenzen könnten dann die Folge für beide Seiten sein.

Kein Wolf ist von Natur aus ein Problemwolf.
Kein Wolf ist von Natur aus ein Problemwolf. © Foto: unsplash.com/Michael LaRosa (Symbolfoto)

Wolfskenner Alessandro Sgor erzählt aus der Praxis

Anschließend kommt der Wolfskenner Alessandro Sgor telefonisch zu Wort. Alessandro arbeitet bereits seit Jahren mit Wölfen, hat beim Lupus-Institut für Wolfs-Monitoring und Forschung gearbeitet, außerdem ist er in Nordrhein-Westfalen Luchs- und Wolfsbeauftragter. Das bedeutet, dass er mit seinem auf das Auffinden von Wolfskot trainierten Golden Retriever Romeo nach Aktivitätshinweisen von Wölfen sucht. Sogenannte "Schnüffelhunde" sind echte Supernasen auf vier Pfoten. Sie sind trainiert auf das Auffinden von verschiedenen Wildtieren. Insofern schwärmt Alessandro von seinem Romeo, der ihm beim Auffinden der Wolfslosung hilft. Selbst im Herbst, wenn Blätter den Waldboden bedecken, kann Romeo den Kot erschnüffeln.

Im Rahmen seiner Wolfsmonitoring-Tätigkeit und damit verbundenen aktiven Suche hatte Alessandro in den vergangenen drei bis vier Jahren bereits zwischen 80 und 90 Wolfsbegegnungen. Und bei keiner einzigen davon verspürte er Ängste oder ein ungutes Gefühl. Das liegt natürlich auch an seiner Einstellung zu den Tieren.

Alessandro bestätigt, dass Wölfe sofort die Flucht ergreifen, sobald sie einen Menschen riechen oder sehen. Bleiben Wölfe stehen, liegt das wahrscheinlich daran, dass sie Jungtiere bei sich haben oder dass es sich um junge und unerfahrene Wölfe handelt. Außerdem kann es vorkommen, dass die großen Vierbeiner auf Hunde reagieren und die Fellnase als Konkurrent im eigenen Territorium ansehen.

Und ähnlich wie Robert Marc Lehmann fordert auch Alessandro dazu auf, bereits in den Schulklassen über die Wölfe und ihr Verhalten aufzuklären. Denn die Ängste, die die Menschen vor den Wölfen haben, sind subjektiv in Märchen oder Erzählungen begründet und in der Boulevardpresse befeuert. Aufklärung bereits im Kindesalter kann diese Ängste in Uneinvorgenommenheit und Faszination für diese großen Fellnasen umwandeln.

Kein Wolf ist von Natur aus ein Problemwolf

Das Wolfsmanagement in jedem Bundesland listet Wölfe auf, die in der Vergangenheit auffälliges Verhalten gezeigt haben. In Niedersachsen wurde ein Wolf als Problemwolf bezeichnet, da er sich immer wieder Menschen oder deren Autos genähert hatte und sogar einen Hund angegriffen hat. Man vermutet aber, dass der Mensch den Wolf gefüttert und dieser dadurch seine natürliche Scheu verloren hatte. Leider blieb als letzte Konsequenz nur der Abschuss des Tieres, um den Schutz des Menschen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist die rechtzeitige Meldung über einen auffälligen Wolf sehr wichtig, damit die Behörden oder Institute nicht Maßnahmen ergreifen zu müssen, die letztendlich die Tötung des Tiers bedeuten.

Platz für weitere Wölfe

Die meisten Wölfe leben in den Wäldern von Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Hier finden sie ihre bevorzugte Nahrung, wie zum Beispiel Rehe, Hirsche, Wildschweine oder auch Biber. Doch stellt sich die Frage: Für wie viele Wölfe ist noch Platz in Deutschland?

Eine Studie des Bundesamts für Naturschutz beantwortet diese Frage. Ausgehend davon, dass ein Wolfsterritorium etwa 200 Quadratkilometer groß ist, wäre für Deutschland aufgrund der sehr hohen Wilddichte etwa Platz für 700 bis 1.400 Wolfsterritorien. Seit dem letzten Monitoring-Jahr 2022/2023 sind 58 Wolfsterritorien bekannt! Auf der Homepage der "Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf" sind diese Territorien sowie viele weitere Informationen sehr anschaulich und informativ dargestellt.

Wölfe sind extrem anpassungsfähig. Sie benötigen nur Nahrung und Rückzugsorte, in denen sie dann ihre Wurfhöhle graben und den Nachwuchs zu Welt bringen können. Ansonsten stellen Wölfe wenig Ansprüche an ihr Habitat. Daher kommt es auch immer wieder zu Sichtungen in Kulturlandschaften, Kleingartenvereinen oder sogar in Städten, wie auf zahllosen Videos im Internet verbreitet und tausendfach angeklickt ist.

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Die Statistik zeigt ganz klar, dass die Wahrscheinlichkeit in Deutschland von einem Wolf angegriffen zu werden minimal ist. Doch Ängste sind subjektiv. Und solange Menschen nur das Märchen vom großen, bösen Wolf, der die Großmutter gefressen hat, oder von dem Wolf, der das Haus der drei kleinen Schweinchen umpustet, kennen, werden die Ängste weiterhin das Zusammenleben von Mensch und Wolf beeinflussen.  © Deine Tierwelt

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