Viele Menschen hadern mit den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Nun geht die Teuerung erstmals seit Langem zurück. Doch wirkt sich das auch allgemein auf die Lebensmittelpreise aus? Expertinnen und Experten sind skeptisch.
Es sind Daten, die viele Menschen aufhorchen lassen. Nahrungsmittel waren zuletzt erstmals seit Februar 2015 billiger als ein Jahr zuvor. Die Verbraucher zahlten im März 0,7 Prozent weniger. Damit lag die Teuerung sogar unterhalb der Inflationsrate, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Die Zahlen machen Verbrauchern Hoffnung. Die Lebensmittelpreise kannten in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: Sie stiegen. 2023 lag die Inflation bei Nahrungsmitteln bei 12,4 Prozent, im Jahr zuvor bei 13,4 Prozent. Nun zeichnet sich eine Trendwende ab. Wie nachhaltig ist die Entwicklung? Können sich Verbraucher darauf einstellen, dass die Preise im Supermarkt wieder spürbar sinken?
Lesen Sie auch
Sascha Möhrle, Inflationsprognostiker am Ifo-Institut, rechnet damit erst einmal nicht. "Auch wenn sich die Preisentwicklung etwas abgeschwächt hat, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Lebensmittelpreise wieder auf das Niveau von 2020 zurückkehren werden."
Seitdem hätten sich Lebensmittel um mehr als 30 Prozent verteuert. Für 2024 erwartet Möhrle einen Anstieg der Preise um durchschnittlich 1,3 Prozent, für das kommende Jahr um 2 Prozent. Auch Volkswirtin Jasmin Gröschl von Allianz Trade glaubt nicht an sinkende Preise.
Keine Rücknahme von Preissteigerungen
Der Geschäftsführer des Kölner Handelsforschungsinstituts IFH, Kai Hudetz, geht allerdings davon aus, dass "die Zeit der dramatischen Preiserhöhungen vorbei ist". Dennoch: "Energie- und Logistikkosten sind nachhaltig gestiegen. Die resultierenden Preissteigerungen werden nicht mehr rückgängig gemacht werden können."
Daten des Marktforschers GfK zeigen: Viele Menschen änderten wegen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln ihr Einkaufsverhalten. Sie kauften mehr Handels- und weniger Herstellermarken - und gingen häufiger zu Discountern. Die konnten bei den Umsätzen 2023 stärker zulegen (10,3 Prozent) als Vollsortimenter wie Rewe (6,2 Prozent).
"Selbst kleine Preisunterschiede veranlassen Konsumenten zum Wechsel des Produkts oder gar der Einkaufsstätte. Darauf reagieren Handel und Industrie", sagt Handelsexperte Hudetz. Angesichts des enormen Wettbewerbsdrucks und der starken Preisfokussierung versuchten Hersteller und Händler, auch kleine Kostensenkungspotenziale auszunutzen, um Marktanteile zu gewinnen.
Sven Reuter, Geschäftsführer des Preisvergleichsportals smhaggle, glaubt nicht an eine spürbare Entlastung. Er erwartet auch 2024 bei vielen Produkten steigende Preise. Senkungen sah er zuletzt vor allem bei Eigenmarken. Diese seien jedoch vielfach kaum spürbar und lägen oft nur bei wenigen Cent. Bei Markenprodukten habe es dagegen teilweise deutliche Preissteigerungen gegeben.
Olivenöl 54 Prozent teurer
Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren zuletzt nicht alle Lebensmittel gleichermaßen von sinkenden Preisen betroffen. So wurden Sonnenblumen-, Rapsöl und ähnliche Produkte (21,7 Prozent), frisches Gemüse (20,1 Prozent) und Molkereiprodukte (5,5 Prozent) deutlich günstiger. Teurer binnen Jahresfrist wurden unter anderem Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren (8,4 Prozent) sowie Obst (4,2 Prozent). Olivenöl legte mit 54,1 Prozent besonders stark zu.
Rewe-Chef Lionel Souque rechnet in diesem Jahr mit sinkenden Lebensmittelpreisen. "Aktuell gibt es – betrachtet über all unsere Märkte – in unseren Sortimenten keine Inflation mehr, gewichtet sinken die Preise sogar." Für Nudeln, Mehl, Reibekäse, Tomaten und Blattsalat habe man die Preise - verglichen mit denen im Frühjahr 2023 - zuletzt jeweils im zweistelligen Prozentbereich gesenkt.
Auch Kaufland gibt an, gesunkene Rohstoffpreise an seine Kunden weiterzugeben. Seit dem vergangenen Jahr seien zahlreiche Artikel, darunter Kaffee und Nudeln, dauerhaft im Preis gesenkt worden. Das betont auch der Discounter Aldi. Man reduziere "selbstverständlich die Verkaufspreise, wenn die Einkaufspreise sinken", teilt das Unternehmen mit. Auch Lidl senkte zuletzt nach eigenen Angaben etliche Artikel dauerhaft im Preis. Im Laufe des Jahres könnten weitere hinzukommen.
Klimawandel wirkt sich auf Preise aus
Dennoch sind die Handelsunternehmen mit ihren Prognosen vorsichtig - aus gutem Grund. Es gibt große Unsicherheiten im Hinblick auf die weitere Preisentwicklung. Das liegt auch an den Auswirkungen des Klimawandels.
Volkswirtin Gröschl erwartet deshalb, dass einige Produkte teurer werden könnten. "Wir werden in Zukunft mit weiteren Preisanstiegen oder Verknappungen bei Produkten rechnen müssen, die entsprechend anfällig für Klimaveränderungen sind. Zum Beispiel, wenn die Olivenernte schlecht ausfällt wegen hohen Temperaturen oder geringen Regenmengen." Sie rechnet unter anderem damit, dass Schokolade deutlich teurer wird.
"Es wird Jahre geben, in denen bestimmte Produkte wie Avocado, Kakao, Kaffee, Mango, Kokos, Papaya und Bananen knapper werden können", sagt WWF-Agrarexperte Michael Berger. Durch häufigeres Extremwetter steige das Risiko von Ernteausfällen.
"Für Handelsunternehmen wird es dadurch schwieriger zu kalkulieren". Dem Klimaforschungsinstitut PIK zufolge können erhöhte Durchschnittstemperaturen die jährliche Inflation bei Lebensmitteln und die Kerninflation bis 2035 um bis zu 1,18 Prozentpunkte ansteigen lassen. (dpa/cze)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.