Es ist der Albtraum vieler Menschen: So krank zu werden, dass sie nicht mehr arbeiten können, aber noch zu jung für die Rente sind. In solchen Fällen ist die Erwerbsminderungsrente ein Sicherheitsnetz – allerdings nur ein kleines.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Ulrike Sosalla dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Nachrichtenlage ist zurzeit traurig genug, deshalb sammele ich gute Nachrichten. Eine davon kam in diesen Tagen herein: Viele Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, erhalten von Juli an einen Zuschlag von 7,5 Prozent oder 4,5 Prozent. Je nachdem, wann ihre Rente begonnen hat.

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An rund drei Millionen Menschen schickt die gesetzliche Rentenversicherung derzeit Bescheide raus, die Zuschläge sollen zwischen dem 10. und 20. jedes Monats ausgezahlt werden, zunächst getrennt von der Rente.

Wahrscheinlich hat mich die Nachricht so berührt, weil es zu meinen ganz persönlichen Albträumen gehört, irgendwann zu krank zum Arbeiten zu sein – eine Angst, mit der ich nicht allein bin, wie ich aus vielen Gesprächen weiß. Wer auf sein Einkommen angewiesen ist und für den Fall einer schweren Erkrankung vorsorgen möchte, sollte deshalb nach Möglichkeit eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen.

Die zahlt, wenn man im erlernten Beruf nicht mehr arbeiten kann. Aber: Nicht jeder kann sich diese Absicherung leisten und nicht jeder bekommt sie. Einige Vorerkrankungen machen die Versicherung bei Berufsunfähigkeit sehr teuer, manche Berufsgruppen, Musiker etwa, bekommen sie nur in Ausnahmefällen.

Eine Erwerbsminderungsrente ist strenger als eine Berufsunfähigkeitsversicherung

Als gesetzliches Sicherheitsnetz bleibt die Erwerbsminderungsrente. Doch die kleine gute Nachricht von oben kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Absicherung durch mehrere Kürzungsrunden immer spärlicher wurde.

Seit einem großen Umbau vor etlichen Jahren ist die EM-Rente, wie sie in Kurzform heißt, zwar noch ein Sicherheitsnetz für Arbeitnehmende, die nur wenige Stunden am Tag arbeiten können, – aber mehr auch nicht. Für ein sorgenfreies Leben ist sie schlicht zu niedrig und an einige Bedingungen geknüpft.

Denn sie ist wesentlich strenger als eine Berufsunfähigkeitsversicherung: Hier springt die gesetzliche Rentenversicherung nur ein, wenn jemand nicht mehr voll arbeiten kann, ganz gleich, in welchem Beruf und welcher Tätigkeit. Das ist eine hohe Hürde. Die tägliche Grenze liegt bei drei Stunden für eine volle Erwerbsminderungsrente und sechs Stunden für die Teilrente.

Das heißt: Wenn etwa ein Handwerker seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, aber noch mindestens sechs Stunden in einer sitzenden Tätigkeit schafft, ist er kein Fall für die Erwerbsminderungsrente.

Die Höhe der Erwerbsminderungsrente richtet sich nach mehreren Faktoren

Zweite wichtige Bedingung sind mindestens fünf Jahre Beitragszeit zur gesetzlichen Rentenversicherung. Dazu zählen neben den Zeiten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auch andere Zeiten: etwa Kindererziehungszeiten, Pflegezeit oder freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung. Außerdem müssen Antragstellende in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag mindestens drei Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt haben.

Die Höhe der Erwerbsminderungsrente richtet sich nach mehreren Faktoren: dem Durchschnittseinkommen während des Arbeitslebens, der Zeit der Beitragszahlung und der anrechenbaren beitragsfreien Zeit. Dazu zählen etwa Schule und Studium und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Junge Menschen, die nach der Ausbildung nicht gleich einen Job finden, sollten sich daher arbeitslos melden, auch wenn sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. In den meisten Fällen ist die Erwerbsminderungsrente aber trotzdem mager.

Im Jahr 2024 würde etwa ein 29-Jähriger, der vor Eintritt der Erwerbsminderung fünf Jahre lang durchschnittlich verdient hat und ansonsten auf keine anrechenbaren Zeiten kommt, derzeit 714 Euro Monatsrente erhalten.

Zur Orientierung: 2024 liegt der Durchschnittsverdienst bei 3.780 Euro im Monat. Eine 55-Jährige, die 30 Jahre lang Beiträge gezahlt und durchschnittlich verdient hat, würde 1.358 Euro Rente erhalten. Wenn sieben zusätzliche Jahre Anrechnungszeit hinzukommen, etwa durch ein Studium, erhöht sich die Rente in beiden Fällen auf 1.478 Euro.

Oft dauert es viele Monate, bis die EM-Rente bewilligt wird

Das zeigt schon: Wer lange krank ist, tut gut daran, alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen, bevor es in die Erwerbsminderungsrente geht. Welche Möglichkeiten das sind, hat "Finanztest" hier zusammengestellt.

Arbeitnehmende erhalten zunächst sechs Wochen lang Lohnfortzahlung. Anschließend bekommen sie Krankengeld – und zwar maximal 72 Wochen lang, also rund eineinhalb Jahre. Wer dann noch nicht wieder voll arbeiten kann, sollte prüfen, ob eine stundenweise Beschäftigung möglich ist. Dies kann im Rahmen einer Wiedereingliederung geschehen oder auch als Brückenteilzeit – also eine Teilzeitarbeit, die nach einem zuvor festgelegten Zeitraum wieder in Vollzeit übergeht. Oft ist es sinnvoll, sich zwei bis drei Monate vor Auslaufen des Krankengeldes dazu beraten zu lassen.

Wer nach Ende des Krankengeldes noch nicht wieder arbeiten kann, steuert auf die Erwerbsminderungsrente zu. Wichtig zu wissen: Oft dauert es viele Monate, bis die EM-Rente bewilligt wird. In der Zwischenzeit ist es möglich, Arbeitslosengeld I zu beziehen. Anspruch darauf hat, wer wenigstens zwölf Monate versicherungspflichtig angestellt war.

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Verwendete Quellen

Über die Autorin

  • Ulrike Sosalla ist stellvertretende Chefredakteurin von "Finanztest" und damit ausgewiesene Fachfrau für Finanzfragen. Das Verbrauchermagazin "Finanztest" gehört zur Stiftung Warentest, die seit 30 Jahren Finanzdienstleistungen testet. Test.de und "Finanztest" sind komplett anzeigenfrei und gewährleisten damit absolute Unabhängigkeit gegenüber Banken, Versicherungen und der Industrie. Die Newsletter der Stiftung Warentest können Sie hier abonnieren.

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