• Wer seit der Corona-Pandemie und der wachsenden Zahl an Video-Calls unzufriedener mit seinem Äußeren ist, ist damit nicht allein.
  • Grund dafür ist oft der sogenannte Spotlight-Effekt.
  • Ein Experte gibt Tipps, was hilft, die vermeintlichen Schönheitsmakel zu akzeptieren.

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Die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt. Homeoffice statt Büro, Video-Calls statt Meetings und auch Verabredungen mit Freunden und Verwandten mussten während des Lockdowns vorrangig virtuell stattfinden.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags ist ein neues Phänomen entstanden: die Zoom-Dysmorphie.

Homeoffice-Phänomen Zoom-Dysmorphie: ständige Selbstbetrachtung

Dabei handelt es sich um eine wachsende Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren, ausgelöst durch die ständige Selbstbetrachtung durch Video-Konferenzen mit Programme wie Zoom, Skype und Co.

Je nachdem, wer sich zu den Meetings zuschaltet, betrachten wir unser Aussehen besonders kritisch. Falte hier, Pickel da, ein zu rundes Gesicht oder zu schmale Lippen - so sehr sind einem die eigenen Makel vielleicht noch nie aufgefallen, wie während der Pandemie.

Eine Umfrage unter Dermatologen laut "Science Direct" in den USA etwa hat ergeben, dass seit Beginn der Pandemie die Nachfrage nach kosmetischen oder chirurgischen Behandlungen gestiegen ist. Eine Analyse von Google-Daten aus der Türkei und Italien zeigt, dass im Lockdown besonders häufig Informationen zu Akne oder Haarausfall gesucht wurden. Auch Schönheitsoperationen und kosmetische Eingriffe waren in den letzten Monaten gefragter.

Spotlight-Effekt: Wenn hohe Selbstaufmerksamkeit den Blick auf Details lenkt

Doch aus welchem Grund betrachten wir das eigene Gesicht häufig so kritisch? Sozialpsychologe Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg weiß: "Sich selbst zu sehen, verursacht oft hohe Selbstaufmerksamkeit. Wir sind also aufmerksam auf uns selbst. Wir unterscheiden uns sehr stark darin, wie wir uns selbst wahrnehmen im Vergleich dazu, wie wir andere Menschen anschauen. Es gibt diesen berühmten Spotlight-Effekt. Wenn wir uns selbst betrachten, achten wir sehr stark auf Details. Sehen wir aber das Gesicht einer anderen Person, nehmen wir viel mehr das gesamte Gesicht wahr und nicht einzelne Details. Und das ist tatsächlich dieser hohen Selbstaufmerksamkeit geschuldet."

Selfies und Video-Calls können zu verzerrter Selbstwahrnehmung führen

Doch nicht nur der strenge Blick fürs Detail verzerrt mitunter die Selbstwahrnehmung. Forschende konnten belegen, dass die Nase 30 Prozent größer erscheint, wenn ein Selfie mit geringem Abstand zwischen Gesicht und Handykamera aufgenommen wird. Auch die Gesichtsproportionen können durch die Kamera des Computers verändert wirken und so zu einem verschobenen Selbstbild beitragen.

Professor Erb kennt ebenfalls weitere Punkte, die den kritischen Blick für das Selbstbild verschärfen: "Es gibt verschiedenen Phänomene, die eine Rolle spielen. Einer ist der Mere-Exposure-Effekt. Was wir häufig sehen und uns vertraut ist, mögen wir. Wir kennen unser Gesicht aus dem Spiegel und kennen unser spiegelverkehrtes Gesicht. Bei Videoaufnahmen sehen wir uns nicht spiegelverkehrt, sehen unser Gesicht also anders und neu. Tendenziell mögen wir dieses Gesicht nicht, weil es anders aussieht." Auf seinem YouTube-Kanal erklärt er das Phänomen ausgiebig.

Wenn das Selbstbild von der Realität abweicht

Auch Vergleiche spielen eine große Rolle, so der Sozialpsychologe. "Dann gibt es noch das Idealselbst, also ein gewisses Idealbild, das man von sich selbst hat. Die Realität entspricht nicht immer diesem Idealbild. Vergleichen wir das Idealbild mit der Realität, mögen wir uns selbst nicht immer." Auch Social Media und Werbung haben hier großen Einfluss, so Erb. "Diese Vergleiche mit anderen können zu einem negativen Gefühl führen."

Zu diesem Ergebnis kam auch Prof. Dr. Katrin Döveling von der Hochschule Darmstadt. In einer Online-Befragung mit Heranwachsenden fand sie heraus, dass mehr als 50 Prozent der befragten Jugendlichen durch die Verwendung von Instagram einen Druck hinsichtlich des eigenen Aussehens verspüren. Vor allem junge Frauen tendieren dazu, sich mit den scheinbar perfekten Schönheiten zu vergleichen.

Tipps für mehr Selbstakzeptanz

Und wie geht man am besten mit all der Perfektion um, die uns soziale Medien und Werbeanzeigen täglich präsentieren und Zweifel am Selbstbild schüren können? Erb rät: "Man sollte sich darüber bewusst werden, dass man eine geschönte Welt sieht. Im Fernsehen oder in Kinofilmen sind immer alle top geschminkt und super ausgeleuchtet, das darf einem bewusst sein."

Weiter verrät er: "Als Zweites ist es gut, wenn man sich bewusst macht, dass es den Spotlight-Effekt gibt. Dass man glaubt, dass die anderen einen so sehen, wie man sich selbst sieht. Da gibt es eine große Diskrepanz. Wir achten bei uns allzu sehr auf Details. Das sehen die anderen an uns gar nicht. Macht man sich das bewusst, hat man auch wieder viel gewonnen."

Allen, die sich vor der Kamera absolut unwohl fühlen, rät der Sozialpsychologe augenzwinkernd: "Hier gilt einfach der Rat, die Kamera auszuschalten. Das spart auch Datenvolumen und verbessert die Übertragung."

Über den Experten: Prof. Dr. Hans-Peter Erb ist Sozialpsychologe an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Verwendete Quellen:

  • sciencedirect.com: Zooming into cosmetic procedures during the COVID-19 pandemic: The provider’s perspective
  • liebertpub.com: A Pandemic of Dysmorphia: "Zooming" into the Perception of Our Appearance
  • ncbi.nlm.nih.gov/: Nasal Distortion in Short-Distance Photographs: The Selfie Effect
  • YouTube-Kanal: Sozialpsychologie mit Prof. Erb
  • katrindoeveling.de: Instagram und Körperbild
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