Warum die Beschlüsse des Wohngipfels wenig bringen - und was stattdessen getan werden müsste, um Wohnungsnot und Mietpreisanstieg zu lindern.
Mit großen Worten haben die Politiker nicht gespart, als es um die Abschlusserklärung zum Wohngipfel der Bundesregierung ging.
Milliardensummen werden wieder in den Bau von Sozialwohnungen gepumpt und ebenso ins Wohngeld, das Geringverdiener unterstützen soll. Die große Wohnraumoffensive soll es geben.
Das klingt, als rücke das Ende der großen Wohnungsnot in greifbare Nähe – doch in Wirklichkeit haben die Beteiligten nur gekleckert. Mit den bisherigen Mitteln wird die Regierung das Problem aber eher nicht eindämmen.
Das zeigt sich an einer simplen Zahl: 100.000 neue Sozialwohnungen sollen bis 2021 entstehen. Das sind 25.000 Wohnungen pro Jahr.
Dabei gehen dem Markt im selben Zeitraum nach Daten der Bundesregierung rund 90.000 bestehende Sozialwohnungen verloren - jedes Jahr. Das sind 360.000 Einheiten bis 2021.
Die geplanten 100.000 neuen Wohnungen ersetzen also nur einen Bruchteil des aktuellen Schwunds. Ganz zu schweigen davon, dass die Zahl der Sozialwohnungen seit 1990 von rund 3 Millionen auf heute 1,1 Millionen geradezu zerbröselt ist.
Und genau darin sehen Immobilienmarktforscher eine der Ursachen für die rasant steigenden Mieten. Denn viele Wohnungen, bei denen die Mietpreise gedeckelt waren, machen nun jeden Preissprung des Marktes mit.
Vermieter profitieren am meisten vom Wohngeld
Ähnlich wirksam könnten die übrigen Maßnahmen sein, auf die sich die Koalition beim Wohngipfel verständigte: Das Wohngeld soll ebenfalls erhöht werden. Das ist gut für Geringverdiener, die im Schnitt nur rund 1.000 Euro verdienen, aber Mieten von durchschnittlich 460 Euro aufbringen müssen.
Vor allem Rentner sind die Empfänger dieser Zahlungen und zu 70 Prozent Ein- und Zweipersonenhaushalte, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Wie viele Menschen aber profitieren nun wirklich davon?
Rund 592.000 Haushalte sind es, die im Schnitt 159 Euro monatlich bekommen. Nur 1,4 Prozent aller Haushalte hierzulande. Nur 162.000 davon liegen in Großstädten, in denen es das Problem der explodierenden Mieten gibt.
Damit habe das Wohngeld insgesamt nur einen "marginalen Anteil" am deutschen Wohnraumproblem und spiele nur "eine relativ geringe Rolle für die Sicherung der sozialen Wohnraumversorgung in den deutschen Großstädten". Zu diesem Schluss kommt Studienautor und Sozialwissenschaftler Andrej Holm in einer Auswertung für die Hans-Boeckler-Stiftung.
Wer dagegen am meisten von den Wohngeldzahlungen profitiert? Die Vermieter.
Baukindergeld löst Not in den Städten nicht
Ähnlich kritisch beurteilen Marktbeobachter Finanzgeschenke wie das Baukindergeld. Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund hält es für "ordnungspolitisch unsinnig".
Und auch Ludwig Dorffmeister, Fachrefernet für Bau- und Immobilienforschung beim Ifo-Institut erwartet, dass es zu "erheblichen Mitnahmeeffekten" in ländlichen Regionen führen werde.
Dort nämlich würden Hauskäufe dank Baukindergeld nun erheblich subventioniert, während in Großstädten bei den derzeitigen Preisen auch trotz der üppigen 12.000 Euro je Kind kaum eine Familie ins Eigentum kommen werde. Die große Not in den Städten behebe das ganz sicher nicht.
Jahrelang viel zu wenig gebaut
Man könnte es auch so ausdrücken: Diese Lösungsvorschläge gehen am eigentlichen Problem vorbei. Das besteht nämlich hauptsächlich darin, dass inzwischen bundesweit zwei Millionen Wohnungen fehlen, davon allein eine knappe Million in den allergrößten Städten.
Jahrelang wurde viel zu wenig gebaut, vor allem Mehrfamilienhäuser und Mietwohnungen wurden kaum noch erstellt. Waren es Anfang der 90er Jahre noch 600.000 neue Wohneinheiten, die jährlich entstanden, davon rund 300.000 Wohnungen in Mehrparteienhäusern, so waren es von 2002 bis 2010 nicht einmal mehr 50.000 Mehrfamilienhauseinheiten.
Erst jetzt ziehen die Zahlen wieder an. Dagegen wurden neue Einfamilienhäuser auf dem Land all die Jahre reichlich gebaut. Doch werden sie längst nicht überall auch in dem Maße gebraucht, mahnt Immobilienökonom Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Immer mehr wohnen alleine
Die Fehlverteilung beim Bau rächt sich jetzt enorm. Denn während aus den ländlichen Gebieten die Menschen fortziehen, drängen immer mehr Bundesbürger in die Städte und Ballungsräume. Großstadtwohnen aber ist inzwischen für viele unbezahlbar geworden.
Dazu kommt: Großstädter wohnen immer häufiger alleine oder maximal zu zweit. Mehr als die Hälfte der Stadthaushalte besteht aus Alleinlebenden – doch nur 14 Prozent des Wohnungsbestands sind laut Zahlen des Statistischen Bundesamts kleine Wohnungen mit maximal 45 Quadratmetern.
Das bedeutet, dass viele Alleinwohner in tendenziell zu großen und zu teuren Wohnungen leben müssen, weil es viel zu wenige Kleinwohnungen gibt.
Städte verkauften Wohnungsbestände an private Investoren
Zudem schrumpft die Zahl der günstigen Wohnungen immer weiter, weil jährlich weiter Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fallen.
Ihre Zahl wieder aufzustocken ist laut Studienautor Andrej Holm absolut notwendig, "um eine soziale Wohnungsversorgung sicher zu stellen", es werde aber mit 25.000 Wohnungen pro Jahr nicht gelingen.
Zudem werden an Hochpreisstandorten viele alte Häuser mit bezahlbaren Wohnungen abgerissen, weil der Neubau im gehobenen Segment viel höhere Renditen verspricht.
Außerdem haben viele Städte in den vergangenen Jahren große kommunale Wohnungsbestände an private Investoren veräußert. Vor allem dadurch fehlen den Kommunen jetzt die Steuerungsmöglichkeiten, um den rasant steigenden Marktpreisen irgendetwas entgegenzusetzen.
Steuererleichterungen waren unnötig
Erst recht fehlen ihnen die Möglichkeiten, das Wohnungsangebot weiter auszuweiten. Bauland für neue Wohnungen haben viele Städte längst nicht mehr. Zudem finden Immobilienunternehmen auch keine Baufirmen und Handwerker mehr für den Neubau.
Also wird noch immer zu wenig gebaut, obwohl alle wissen, dass es mehr sein müsste. Obwohl es genug Investoren gäbe, die viel mehr Wohnungen bauen möchten, sagen Umfragen des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft.
Das Lockangebot steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten, das der Wohngipfel ebenfalls brachte, wäre daher gar nicht nötig gewesen. Stattdessen könnte mehr Bauland für eine Entspannung des Marktes sorgen.
Bund will Grundstücke zur Verfügung stellen
Das will die Bundesregierung laut Wohngipfel auch, indem sie den Kommunen bundeseigene Grundstücke zur Verfügung stellt. Rund 970 solcher Liegenschaften in den Großstädten besitzt sie, die müsste sie an die Kommunen abgeben.
Die spannende Frage ist, wie schnell und zu welchem Preis das geschieht. Bisher nämlich scheiterten an diesen zwei Hürden viele Projekte. Grundsätzlich aber befürwortet auch die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, die Idee, brachliegende Flächen "wachzuküssen" und ein "Kataster der Potenziale" zu erstellen.
Die Immobilienökonomen des Ifo-Instituts schließen sich da an: "Es bedarf vor allem einer Beschleunigung des Wohnungsbaus", betonen sie, dabei bremse aber nicht nur die Baulandversorgung, sondern es bräuchte auch effizientere Abläufe bei Planung und Bau.
Weil in den Stadtplanungsabteilungen nämlich nach Abebben des Baubooms der 90er Jahren viele Stellen abgebaut wurden, dauern viele Bauverfahren vom ersten Antrag bis zur Realisierung viel zu lange.
Modularer und serieller Wohnungsbau
Außerdem würde eine Vereinfachung der Bauvorschriften sehr helfen, sagen Architekten. Eine landeseinheitliche Musterbauordnung etwa, die den modularen und seriellen Wohnungsbau vorantreiben könnte. Das würde auch die Kosten drastisch senken.
Doch hier gingen die Pläne der Regierung nicht weit genug, moniert der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA: "Wirkliche Anreize wie die Novellierung einer Musterbauordnung, Unterstützung der Kommunen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren und eine Erleichterung der hohen Auflagen an das Bauen bleiben zu unkonkret", findet ZIA-Präsident Andreas Mattner. Selbst wenn es konkrete Anreize gäbe: Die Vereinheitlichung der Bauordnungen könnte lange dauern.
So bleibt nach dem Wohngipfel eine Erkenntnis: Der Wille, neuen Wohnraum zu schaffen, ist da. Doch mit den bisherigen Mitteln wird es kaum gelingen, zumindest nicht in kurzer Zeit.
Verwendete Quellen
- "Statistisches Bundesamt": Wohngeld
- "Statistisches Bundesamt": Haushalt und Familien
- Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. (08.03.18)
- "Hans Böckler Stiftung": Workin Paper Forschungsförderung - Wie viele Wohnungen fehlen in Deutschland
- "Pressemitteilung Hans Böckler Stiftung": In Deutschlands Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen
- "Deutscher Mieterbund": Baukindergeld: Wohnungspolitisch unsinnig, wirkungslos und ungerecht
- "ifo Institut": Wohnungsgipfel nur ein erster Schritt
- "Institut der deutschen Wirtschaft": Wohnungsmangel in Großstädten
- "Zensus 2011": Gebäude- und Wohnungsbestand in Deutschland
- "Pressemitteilung Bundes Architekten Kammer". Architekten zum Wohngipfel "Planen und Bauen muss mit größter Sorgfalt betrieben werden"
- "Pressemitteilung ZIA: Wohngipfel der Bundesregierung: Wenige Anreize, viele Verbote
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