Thomas de Maizière hat in der Flüchtlingskrise schon viel gesagt. Doch offenbar entspricht nicht alles davon der Wahrheit. So hat der Innenminister wiederholt behauptet, "30 Prozent" der Asylsuchenden gäben sich als Syrer aus, seien aber keine. Nach Recherchen des ARD-Magazins "Panorama" ist diese Behauptung falsch.
In den letzten Wochen beklagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine veränderte Einstellung der Flüchtlinge. Er warnte vor Tausenden nichtregistrierten Migranten. Und er schürte ein Gerücht: In den vergangenen Wochen hätte sich ein nicht unerheblicher Anteil der Neuankömmlinge fälschlicherweise als Syrer ausgegeben. "Wir haben jetzt zunehmend Menschen, die gar nicht aus Syrien stammen, obwohl sie es behaupten", sagte de Maizière. Diese Aussage wiederholte er später und wurde in der Talkrunde von Maibritt Illner konkret: "Ungefähr 30 Prozent der Menschen, die jetzt kommen und behaupten sie wären Syrer, sind aber keine". Das würde bedeuten, dass sich etwa 100.000 Menschen mit falscher Identität Bleiberecht und Sozialleistungen in Deutschland erschleichen wollten.
Zehntausende Asylbetrüger? Die Reporter des ARD-Magazins "Panorama" sind diesem Vorwurf auf den Grund gegangen und fanden heraus: Für diese Zahl fehlt jeder Beleg. Auf Nachfrage beim Bundesinnenministerium hieß es dem Bericht zufolge, es handele sich um eine "Schätzung", die auf Erhebungen der Bundespolizei, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex beruhten. Die Journalisten ließen nicht locker und bohrten weiter, bis das Ministerium schließlich mitteilte: "Es werden weder bei der Bundespolizei noch im Bundesministerium des Innern Statistiken geführt, wie viele Menschen in Deutschland fälschlicherweise behaupten, syrische Staatsbürger zu sein".
"Höchstens ein paar Einzelfälle"
Nach "Panorama"-Informationen bestätigten auch Frontex und Bamf diese Zahl nicht. Es wurden lediglich gefälschte syrische Pässe gezählt, die auch vorgelegt wurden. Eine valide Statistik sei dies nicht, höchstens ein Indikator, berichten die Reporter. Dieses Jahr hat das Bamf 116 falsche syrische Pässe "beanstandet", heißt es weiter. Bei Frontex sind zudem 170 Fälschungen festgestellt worden – allerdings nicht in Deutschland, sondern zwischen der Türkei und Ungarn, Griechenland und Italien. Interessanterweise sind nach ARD-Informationen mehr als 80 Prozent der falschen Passinhaber tatsächlich Syrer gewesen. Doch dafür gibt es eine Erklärung: Aufgrund der Kriegssituation in Syrien sei es für viele Syrer nicht möglich, einen Reisepass zu beantragen.
Bei ihrer Recherche schauten sich die Reporter auch vor Ort in einem Flüchtlingsheim um. Sie befragten den Leiter des Erstaufnahmelagers in Friedland, Heinrich Hörnschemeyer. In Friedland sind gut 1.000 der 3.500 Flüchtlinge Syrer. "Jeder Dritte ein falscher Syrer? Das hätten wir gemerkt! Nein, diese Zahl haben wir hier in Friedland nicht. Hier gibt es höchstens ein paar Einzelfälle, in denen falsche Angaben gemacht werden", stellte Hörnschemeyer im "Panorama"-Interview klar.
Aussagen de Maizières sind "brandgefährlich"
Auch Martin Link, der Vorsitzende des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein, hält die Zahl von 30 Prozent für nicht haltbar. "Diese 30 Prozent hat niemand gezählt. Und allein Herr de Maizière kennt diese Zahl", kritisierte Link. "Panorama" sagte er, die Zahl sei "hanebüchen" und "an den Haaren herbeigezogen". Man habe in Umfragen und Nachforschungen einen solch massenhaften Schwindel nicht feststellen können. Link hält die Aussagen des Innenministers für "brandgefährlich". "Wenn ein Flüchtling kein richtiger Syrer ist, dann ist er vielleicht auch kein richtiges Opfer."
Angesprochen auf die nicht bestätigte Zahl, sagte der Innenminister: "Diese Statistik kann es ja noch nicht geben, weil wir erst mal dann im Einzelnen nachweisen müssen, wie hoch der Prozentsatz ist."
Warum de Maizière diese Zahl, die es nach seiner Aussage ja noch nicht geben könne, in Umlauf brachte, bleibt sein Geheimnis. Doch eines ist klar: Die meisten der Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, sind Syrer. Und sie haben die besten Aussichten auf politisches Asyl. Aufgrund einer Änderung des Asylgesetzes müssen Syrer bald wohl nicht einmal mehr Asylanträge stellen.
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