Berlin (dpa) - Ein Polizeibeamter wurde gegenüber den Forschern ganz deutlich. Bei manchen Kollegen heiße es: "Heute gehen wir Türken jagen."
Dann gingen sie bei Streifenfahrten gezielt auf die Suche. Kleinigkeiten - zum Beispiel, wenn jemand das Blinken vergessen habe - würden dann aufgebauscht. So berichtete es der Beamte bei der Befragung für eine bundesweite Studie der Ruhr-Universität Bochum, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Kein Einzelfall: Die Erhebung liefert zahlreiche Hinweise auf rassistisches Verhalten von Polizisten. Für die Studie "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte" wurden seit 2018 insgesamt 3370 Menschen befragt und 63 Experteninterviews geführt. Jetzt wurden die Daten nochmals neu ausgewertet und auf diskriminierendes Verhalten hin untersucht.
Professor Tobias Singelnstein von der Ruhr-Uni fasst die Ergebnisse so zusammen: "Es gibt ein strukturelles Problem der polizeilichen Praxis." Mutmaßliche Opfer rechtswidriger Polizeigewalt hätten von eindeutig rassistischen, antisemitischen und islamfeindlichen Beleidigungen berichtet. Polizisten hätten dies als Verhalten und Aussagen von Kollegen bestätigt.
Wie groß das "strukturelle Problem" sei, könne anhand der vorliegenden Daten aber nicht beurteilt werden, weil es in der Erhebung primär um rechtswidrige Polizeigewalt gegangen sei, sagt Singelnstein. Umso dringender sei es, dass der Bund nun eine eigene Studie über Rassismus bei der Polizei erstellen lasse - was derzeit heftig diskutiert wird.
"Wir haben in unserer Untersuchung aber auch Diskriminierungserfahrungen abgefragt", berichtete der Wissenschaftler. "Es gibt eine gezielte Abwertung von Menschen mit Migrationshintergrund und People of Colour." So bezeichnen sich Menschen, die nicht als weiß, westlich oder deutsch wahrgenommen werden und Rassismuserfahrungen gemacht haben. Eine Befragte habe berichtet, sie sei von Polizisten als "Affenmädchen" bezeichnet worden. Die meisten hätten vor allem bei Großveranstaltungen Erfahrungen mit Polizeigewalt gesammelt.
Bei Menschen, die nach eigenen Angaben als nicht-deutsch wahrgenommen werden, seien es aber vor allem verdachtsunabhängige Personenkontrollen gewesen. "Verdachtsunabhängige Kontrollen spielen eine besondere Rolle", sagt Singelnstein. 62 Prozent der "People of Colour" und 42 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund gaben demnach an, in Gewaltsituationen von der Polizei diskriminiert worden zu sein. Bei den übrigen Befragten waren es 31 Prozent.
Viele Polizisten handelten dabei nicht wissentlich rassistisch, sondern unbewusst und beriefen sich auf Erfahrungswissen. "Wir thematisieren das natürlich in der Ausbildung", berichtete Professorin Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niedersachsen. "Aber in der Praxis und unter Zeitdruck greift dann eine andere Logik: "Ich halte die an, die so aussehen.""
"Es beginnt damit, dass man geduzt und nicht gesiezt wird", sagte Rechtsanwalt Blaise Francis El Mourabit, der regelmäßig Opfer von Diskriminierung vertritt. Die Polizei trete auch ihm gegenüber sehr autoritär auf und sei mit Unterstellungen schnell bei der Hand. So sei eine afrikanische Mandantin beim Versuch, eine Polizeikontrolle mit dem Handy zu dokumentieren, "auf dem Boden fixiert worden, bis sie bewusstlos war". Es gebe Polizeianwärter, die wegen des rassistischen Klimas die Ausbildung abgebrochen hätten.
Der Anwalt forderte eine Pflicht zum Einschalten der sogenannten Bodycams von Beamten bei Grundrechtseingriffen sowie eine bundesweite Kennzeichnungspflicht etwa mit einer Dienstnummer. Er selbst habe schon den Polizei-Notruf gewählt, weil er von Polizisten festgehalten worden sei, die sich nicht ausweisen wollten.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte bei der Erstveröffentlichung der Polizeigewalt-Studie darauf verwiesen, dass die Polizei in allen Umfragen großes Vertrauen und hohe Wertschätzung genieße. Dies wäre anders, wenn etwas im Argen läge.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sprach am Mittwoch von "übler Stimmungsmache" und einer "schlimmen Kampagne" gegen die Polizei. Die Aussagen seien wissenschaftlich nicht haltbar. © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.