- Am Dienstag ist ein Appell erschienen, der das geplante 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr kritisiert.
- Angesichts der geplanten Wiedereinhaltung der Schuldenbremse berge der Plan "die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich".
- Der SPD-Abgeordnete Jan Dieren hat den Aufruf mitinitiiert und erklärt die Hintergründe der Aktion.
In dem Appell mit dem Titel "Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!" protestieren Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik zusammen mit mehreren Organisationen gegen die Pläne der Ampel-Koalition, deutlich mehr Geld für die Bundeswehr auszugeben.
"Eine solche Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad, mit entsprechend dramatischen Folgen auch für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und Mitmenschlichkeit – ganz ohne breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne innerparteiliche Debatte zu beschließen, wäre ein demokratiepolitischer Skandal", heißt es dort. Wir haben mit einem der Initiatoren gesprochen.
Kritiker Ihrer Aktion sagen, es gehe bei dem Sondervermögen um Aus- nicht um Aufrüstung. Was sagen Sie dazu?
Jan Dieren: Bei dieser Unterscheidung geht es um die Frage: Welche Funktion soll die Bundeswehr in unserer Gesellschaft erfüllen? Das ist genau die Diskussion, die wir jetzt führen sollten.
In Ihrem Appell fordern Sie ein "umfassendes Sicherheitskonzept", was heißt das genau?
Wir erleben im Moment ja, dass sich viele Menschen Sorgen machen über steigende Energie- und Strompreise. Wenn Leute gerade über Sicherheit sprechen, dann erlebe ich auch, dass sie an die Frage denken: Wie stelle ich sicher, dass ich mit meinem Gehalt, der Rente oder dem Arbeitslosengeld über die Runden komme? Das heißt, wenn wir über Sicherheit sprechen, dann sprechen wir auch über soziale Sicherheit, Sicherheit vor den Folgen des Klimawandels und andere gesellschaftliche Fragen - nicht nur über militärische oder außenpolitische Aspekte.
Manche Leute fragen in Ihre Richtung mit Blick auf das Handeln von Wladimir Putin in den vergangenen Jahren: "Was muss eigentlich noch passieren, damit diese Leute verstehen, welche Bedrohung gerade bei uns anklopft?"
Es stimmt, dass die globale Sicherheitslage eine andere ist als noch vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten. Deswegen finde ich es wichtig, darüber zu diskutieren, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren. Ich kenne niemanden, der so verblendet wäre, zu sagen, der Überfall auf die Ukraine hätte daran nichts geändert. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um, dass sich unsere Gesellschaft gerade ganz tiefgreifend wandelt? Dafür braucht es eine gesellschaftliche Debatte, die es bisher noch nicht gegeben hat. Wir haben jetzt erst mal eine bestimmte Festlegung hinsichtlich der Bundeswehr und zusammen mit vielen anderen wünsche ich mir, dass wir darüber weiter sprechen. Dazu gehört natürlich eine Diskussion über die Funktion und Aufstellung der Bundeswehr, aber noch viel mehr, wie zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, die Lage der Menschenrechte, die wirtschaftliche Entwicklung und die Gestaltung des Wandels der Arbeitswelt oder die Bewältigung des Klimawandels.
Jan Dierer: "Wir haben Kritik bekommen, aber auch ungeheuren Zuspruch"
Was erhoffen Sie sich konkret von dem Appell, wie soll es die kommenden Wochen weitergehen?
Das eine ist die parlamentarische Diskussion, die jetzt stattfindet darüber, wie dieses Sondervermögen ausgestaltet wird. Da erlebe ich, dass die SPD-Fraktion sehr geschlossen sagt: Wir müssen äußere, innere und soziale Sicherheit im Zusammenhang denken. Und das andere ist die gesellschaftliche Debatte: Wir haben seit gestern Kritik bekommen, aber auch einen ungeheuren Zuspruch und stehen aktuell bei mehr als 15.000 Unterschriften. Ich vermute, dass ein nicht zu unterschätzender Teil dieser Leute nicht einfach nur kurz unterschreiben wollte, sondern zu dieser Debatte beitragen will. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir Formate finden, um zu einer solchen Debatte beizutragen.
An welche Art von Formaten denken Sie da?
Bei dem Appell sind ja viele Einzelpersonen und auch einige Organisationen dabei. Mit denen wollen wir uns zusammentun, das kann dann alles Mögliche sein: Veranstaltungen, Online-Diskussionen oder Beiträge in Zeitungen. Es geht darum, Positionen zu beziehen und die dürfen sich dann auch gern widersprechen. Es haben sich unter diesem Appell nicht nur Menschen versammelt, die alle einer Meinung sind. Im Gegenteil: Die Breite der gesellschaftlichen Gruppen - aus Kunst und Kultur, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Religionsgemeinschaften - ebenso wie die Vielfältigkeit der Positionen ist, was wir für eine gesellschaftliche Debatte brauchen. Das alles zusammenzubringen, ist die Aufgabe, vor der wir als Gesellschaft stehen und zu der wir mit dem Appell und dem, was noch kommt, beitragen möchten.
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