• Alexander Ebert ist seit vier Jahren Schuldirektor und betreut mehr als 300 Schülerinnen und Schüler.
  • Um trotz Personalmangel ausreichend Unterricht für alle Klassen zu gewährleisten, wird ihm viel Organisationstalent abverlangt.
  • Dass die Qualität der Bildung leidet, hält Ebert für wahrscheinlich. Was er sich von der Politik wünscht und welche Lösungsansätze er vorschlägt.
Ein Interview

Herr Ebert, Sie sind Direktor einer Förderschule und über die Schulleitungsvereinigung auch mit Kollegen und Kolleginnen anderer Schulformen vernetzt. Wie groß ist das Thema Personalmangel im Alltag eines Schulleiters?

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Ebert: Sehr groß! Lehrermangel ist ein vordringliches Thema an allen Schulformen, das höre ich auch immer wieder von Kolleginnen und Kollegen. Manche Schulformen sind dabei stärker betroffen als andere. In unserem Bereich der Förderschulen ist der Mangel beispielsweise eklatant größer, denn wir brauchen Personal mit sonderpädagogischem Background.

Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Der Personalmangel bedeutet wahnsinnig viel Organisations- und Planungstätigkeit und verlangt uns in der Stundenplanung einiges an Kreativität ab. Je "anspruchsvoller" die Fächer sind, desto schwieriger wird es, wenn Lehrkräfte fehlen. Es ist zum Beispiel schwierig, für einen Mathe-Leistungskurs eine Vertretung zu finden. Es ist täglich ein enormer Spagat, Lücken zu stopfen und gleichzeitig noch gute Lernbedingungen in den Klassen zu sichern, die Fortschritt und einen erfolgreichen Abschluss sicherstellen.

Aufteilung von Klassen führt zu größerer Herausforderung

Wie sieht dieser Spagat aus?

Bei Bedarf müssen Klassen aufgeteilt werden, sodass die Schülerinnen und Schüler in ihrer Aufteilklasse beschult werden. Damit werden die Klassen natürlich noch größer und ein differenziertes Arbeiten immer herausfordernder. Kolleginnen und Kollegen müssen standortübergreifend vertreten und phasenweise zwischen mehreren Schulstandorten pendeln. Mittlerweile ist es kaum möglich, Bewerberinnen und Bewerber nach den für die Schule notwendigen Fakultas (Anm. d. Red.: Lehrbefähigung) einzustellen, da es derart wenige Bewerberinnen und Bewerber gibt. Folglich fehlen nicht selten fachspezifische Lehrbefähigungen an den Schulen. In den MINT-Fächern ist dies bereits seit geraumer Zeit bekannt. Aber auch Sport und Musik ist bei uns an der Schule ein Fach, für die wir gern mehr Personal einstellen würden.

Nimmt das Problem zu?

Ja, die Belastungen werden immer größer. An vielen Schulen gibt es die Möglichkeit, den Unterricht ausfallen zu lassen und die Kinder nach Hause zu schicken – aber nicht im gebundenen Ganztag. Die Kinder werden morgens mit Schulbussen gebracht und können nicht einfach nach Hause gehen. Das führt zu existenziellen Fragestellungen.

Was macht die Situation mit den Kindern?

Die Fluktuation in den Klassen ist durch den Personalmangel viel größer als vorgesehen. Das heißt auch: Die Stringenz und Kontinuität bei der Planung von Unterrichtsreihen fehlt. Im Schulbereich – und das gilt für alle Schulformen – funktioniert viel über eine gute und konstruktive Beziehungsgestaltung zwischen Schülern und Lehrern. Wenn ich in eine Klasse komme, ohne die Lerngruppe zur Genüge zu kennen, ist das problematisch.

Beschweren sich die Eltern regelmäßig über diese Situation?

Natürlich, grundsätzlich kommt der Unterrichtsausfall und Personalmangel auch bei der Elternschaft an. Kein Elternteil ist begeistert, wenn Unterricht ausfällt oder Kinder fachfremd unterrichtet werden. In einem gebundenen Ganztag fällt das Problem natürlich weniger auf, als an Schulen, wo die Kinder wieder nach der 5. Stunde nach Hause kommen, weil Deutsch ausgefallen ist.

Ebert: "Die Bildung leidet"

Das bedeutet für Eltern vermutlich auch oft kurzfristig eine Betreuung organisieren zu müssen. Das dürfte aber das kleinere Übel gegenüber den Auswirkungen auf die Bildung der Kinder sein, oder?

Es ist schwierig zu bewerten, wie stark das Bildungsniveau der heutigen Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu vorherigen Generationen leidet. Klar ist nur: Die Bildung leidet, denn es ist nur sachlogisch: Wenn häufiger Unterricht ausfällt und häufiger fachfremd unterrichtet wird, nimmt die Qualität ab. Je weniger Kontinuität gegeben ist, desto geringer ist der Lernerfolg. Personalmangel ist seit Jahrzehnten ein Thema, der Prozess dauert schon lange an. Fakt ist: Es geht nicht in eine gute und richtige Richtung.

Wer ist schuld daran – die Politik, weil sie eine gute Planung verschlafen hat?

Es gibt natürlich demografische Entwicklungen, die schwierig ab- und einzuschätzen sind. Aber ich glaube, dass es von Politik und Verwaltung mehr Kreativität für Lösungen braucht. Die Stellen sind zum Beispiel oft da, aber es gibt einfach keine Menschen, die sie besetzen können. Es fehlt hier aus meiner Sicht ein zentrales Steuerungselement. Es gibt viele Bewerber für die universitäre Ausbildung, die am Numerus Clausus scheitern. In unserem Bereich der Sonderpädagogik könnten wir von Fachlehrern unterstützt werden, aber es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Weiterbildungsplätzen.

Müsste man auch beim Gehalt nachbessern?

Wir arbeiten zumindest oft weit über das normale Maß hinaus. Wir Schulleiter haben teilweise die Aufgaben eines Managers aus der Wirtschaft. Das Gehalt kann hier sicherlich ein Anreiz sein, aber es ist nicht das zentrale Element. Entscheidender sind Arbeitsbedingungen, das System vor Ort, die Arbeitszufriedenheit.

Wie sieht es mit Seiten- und Quereinsteigern aus, könnten sie Teil der Lösung sein?

Sie müssen Teil der Lösung sein, wir haben keine Alternative. Kurzfristig gibt es keine andere Lösung. Aber die Qualifizierungsmaßnahmen müssen auch entsprechend stattfinden. Es braucht besser gesteuerte Möglichkeiten der Nachqualifizierung. Der Lehrermangel ist so groß, dass Ganztagsschulen keinen Nachmittagsblock mehr anbieten können. Der Trend zeichnet sich ab, dass es dramatischer wird – und das, obwohl die Anmeldezahlen explodieren. Wir können den Schülerinnen und Schülern räumlich und personell nicht mehr gerecht werden.

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Also wäre es auch keine Option, die Klassen größer zu machen?

Nein, unter den jetzigen Bedingungen nicht. Die Heterogenität unter den Schülerinnen und Schülern ist deutlich gestiegen. Im Rahmen von Globalisierung und Digitalisierung hat sich so viel getan, dass die Kinder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen starten. Es ist jetzt schon mehr als herausfordernd, allen gerecht zu werden.

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