• Ab 2025 wird die Finanzierung der Rente immer schwieriger, da dann die Babyboomer in Rente gehen.
  • Viel Zeit für Reformen bleibt nicht mehr.
  • Die Ampel-Koalition setzt vor allem auf Stabilität.

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Im Sommer schlug der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums Alarm. Die Expertinnen und Experten prognostizierten der gesetzlichen Rentenversicherung "schockartig steigende Finanzierungsprobleme“ ab 2025. Das Problem: Dann verabschieden sich die Jahrgänge der Babyboomer in Rente. Dadurch müssen immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren. Die Belastung der jungen Generation wird enorm. Die Herausforderung für die künftige Regierung, die Finanzierung zu sichern, ist groß.

Johannes Rausch ist Fachbereichsleiter Alterssicherung und Sozialpolitik am Max-Planck-Institut für Sozialpolitik. Das Institut war an der Erstellung des Gutachtens beteiligt. "Die Frage ist, wie sich die Belastung auf die einzelnen Gruppen aufteilen lässt, sodass alle einen fairen Anteil daran tragen.“

Unumstritten unter Expertinnen und Experten ist, dass die Uhr läuft. Je später Eingriffe in das System kommen, desto teurer wird es. Doch im Koalitionsvertrag, der 177 Seiten lang ist, widmet die künftige Regierung der Rente gerade mal zwei Seiten.

Haltelinien sichern

Die Koalition verspricht, das Mindestrentenniveau dauerhaft auf 48 Prozent zu halten. Das ist eine statistische Größe. Sie beschreibt die Rentenhöhe im Vergleich zum Durchschnittsentgelt, wenn jemand 45 Jahre lang den Durchschnittslohn verdient hat. Gleichzeitig soll der Beitragssatz in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen, aktuell liegt er bei 18,6 Prozent.

Diese beiden sogenannten Haltelinien sind bereits im Gesetz bis 2025 festgeschrieben. "Allerdings wird zumindest der Beitragssatz bis dahin die Grenze wohl nicht reißen“, sagt Rausch. "Erst in den Jahren danach können nach unseren Berechnungen beide Linien nicht parallel finanziert werden, ohne den Bundeszuschuss zu erhöhen.“

Schon heute fließt fast ein Drittel des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Rentenversicherung, dieser Anteil wird in den kommenden Jahren allein wegen der Alterung weiter steigen. Sollen beide Haltelinien langfristig bestehen bleiben, müssten 2050 sogar 60 Prozent des Bundeshaushalts für die Finanzierung der Renten herangezogen werden, hat das ifo-Institut berechnet. "Eine Finanzierung über den Bundeshaushalt würde Einsparungen an anderer Stelle erzwingen“, resümiert Rausch.

Joachim Ragnitz vom ifo-Institut kritisiert: "Wenn die Staatszuschüsse steigen, wird die Last der Haltelinien dem Steuerzahler aufgebürdet und damit den jungen Menschen. Die Rentner sollten aber ihren Teil beitragen, indem das Rentenniveau sinkt. Das wäre für die Generationen gerecht.“

Nachholfaktor wieder einsetzen

Die Rentenerhöhung für 2022 stand schon fest, sie sollte ziemlich kräftig ausfallen. Das resultierte aus einem Sondereffekt zu Beginn der Corona-Pandemie. "Die Renten steigen mit den Löhnen“, erklärt Ragnitz. "Und weil viele irgendwann aus der Kurzarbeit zurückkehrten, war der Anstieg der Löhne zuletzt sehr stark.“

Allerdings fällt die Rentenerhöhung kommendes Jahr wohl niedriger aus. Denn die Ampel-Koalition will ein kleines Detail korrigieren. Dafür muss man wissen: Sinken wie in der Corona-Pandemie die Löhne, werden Renten nicht gekürzt. Aber sie holen die nötige Senkung in den Folgejahren nach. Der sogenannte Nachholfaktor verrechnet sie häppchenweise mit anstehenden Erhöhungen. Dieser Faktor war 2018 ausgesetzt worden. Jetzt soll er wieder gelten, was die Belastung der Beitragszahlenden reduziert.

Erwerbstätigkeit steigern

Die gesetzliche Rentenversicherung ist umlagefinanziert. Das heißt: Die Beiträge der Versicherten werden gleich als Renten wieder ausgegeben. Als das System 1957 eingeführt wurde, waren es noch sechs Erwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. 2050 werden es nur noch zwei sein. Die Last steigt.

Es liegt also nahe, die Zahl der Beitragszahler möglichst zu erhöhen, um das System zu stabilisieren. Die Pläne der Koalitionäre: Sie wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen, älteren Menschen und Einwanderern stärken. Auch wer sich selbstständig macht, soll zur Altersvorsorge verpflichtet werden. Ein höheres Rentenalter, wie es viele Expertinnen und Experten fordern, soll es dagegen nicht geben.

"Gute, anständig bezahlte Beschäftigung ist ein gutes Mittel, um beim einzelnen Versicherten Altersarmut zu verhindern“, sagt Rausch. "Allerdings führt das langfristig auch wieder zu höheren Renten, die von späteren Erwerbstätigen bezahlt werden müssen.“

Auch ifo-Forscher Ragnitz ist kritisch: "Das Umlagesystem funktioniert nicht bei einer schrumpfenden Bevölkerung. Die einzige Lösung besteht darin, mehr Kinder zu haben oder die Zuwanderung massiv zu steigern.“

Einführung einer kapitalgedeckten Komponente

Es ist eine kleine Revolution im Rentensystem: Die künftige Regierung will zumindest einen Teil der Bezüge nicht mehr über das Umlagesystem finanzieren, sondern am Finanzmarkt anlegen. Die Hoffnung: Aktien sollen die nötige Rendite schaffen, um Finanzierungslücken zu schließen. Dafür stellt sie einen Kapitalstock über 10 Milliarden Euro bereit, der von einer unabhängigen Stelle betreut und investiert werden soll. Wie genau diese kapitalgedeckte Komponente ausgestaltet wird, steht noch nicht fest. Zum Beispiel ist noch fraglich, ob ein Teil der Beiträge dann in Aktien fließt oder ob das komplett aus der Staatskasse finanziert werden soll.

Der Kapitalstock allein reicht jedenfalls nicht, um die Finanzierung zu stärken, hat Ragnitz berechnet. Einmalig 240 Euro könne man damit jedem Rentner auszahlen, monatlich bekäme jeder einen Euro mehr. Selbst mit einer überdurchschnittlichen Rendite würde diese Zusatzrente kaum einem etwas nützen.

Außerdem käme die Umstellung vom Umlage- auf ein teilweise kapitalgedecktes System zu spät. "Das ist eine enorme Doppelbelastung für die aktuellen Erwerbstätigen. Sie schultern nicht nur steigende Beiträge für die aktuellen Renten, sondern müssen auch noch die Aktien finanzieren, die später ihre eigenen Renten sichern sollen.“ Ob dafür Steuergelder fließen oder es einen Aufschlag auf die Beiträge gibt: Zahlen müssen jeweils die jungen Menschen.

Über die Experten:
Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist stellvertretender Leiter der Niederlassung des ifo-Instituts in Dresden. Er forscht unter anderem zu allgemeiner Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik.
Dr. Johannes Rausch forscht am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik zur Rente. Das Munich Center for the Economics of Aging ist außerdem wissenschaftlicher Berater für die Politik.

Verwendete Quellen:

  • Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
  • ifo Schnelldienst 7/2021: Soziale Sicherungssysteme nachhaltig finanzieren
  • Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (7.Juni 2021): Vorschläge für eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung
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