• Die Behörden in Belarus sind am Mittwochmorgen landesweit gegen Menschenrechtler und Journalisten vorgegangen.
  • Sicherheitskräfte und Finanzermittler durchsuchten mehrere Privatwohnungen und Büros, darunter die Räume der führenden unabhängigen Organisationen in dem EU-Nachbarland.
  • Bereits in der Vergangenheit nutzten belarussische Behörden angebliche Steuervergehen als Vorwand, um gegen Regierungskritiker vorzugehen.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Wenige Wochen vor dem Jahrestag des Beginns der Massenproteste gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko erhöhen die Behörden weiter den Druck auf die letzten verbliebenen unabhängigen Stimmen im Land.

Sicherheitskräfte und Finanzermittler durchsuchten am Mittwochmorgen landesweit mehrere Privatwohnungen von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten sowie etwa ein Dutzend Büros, darunter die Räume der Menschenrechtsorganisationen Wjasna, Lawtrend und des Belarussischen Helsinki Komitees (BHK) sowie des Belarussischen Journalistenverbandes (BAJ). Wjasna berichtet von mindestens zwölf Festnahmen (Stand: 13:30 Uhr).

Bereits in der Vergangenheit haben die belarussischen Behörden angebliche Steuer- und Finanzvergehen als Vorwand genutzt, um gegen regierungskritische Organisationen und ihre Mitarbeiter vorzugehen. So wurde etwa Wjasna-Gründer Ales Bjaljazki, der im vergangenen Jahr mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, 2011 wegen Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Straflager verurteilt, von denen er knapp drei Jahre absitzen musste. Zu Bjaljazki fehlt seit Mittwochmorgen jeglicher Kontakt.

Wjasna war 1996 gegründet worden, um den Familien von politischen Gefangenen zu helfen. Das Menschenrechtszentrum sammelt Informationen zu den Demonstrationen gegen Staatschef Lukaschenko und ist eine wichtige Quelle für die Zahl der Festnahmen bei Kundgebungen.

Landesweite Festnahmen

In der westlichen Stadt Grodno wurde Wjasna-Angaben zufolge die Wohnung des Menschenrechtsaktivisten Viktor Sasonow durchsucht. Die Beamten hätten ihn "mitgenommen", sein Verbleib sei unklar, erklärte die Organisation. In der Stadt Orscha nahe der russischen Grenze wurde demnach Igor Kasmertschak, Aktivist und Redakteur der Website Orsha.eu, festgenommen.

BHK-Chef Oleg Gulak schrieb auf Facebook, die Bürotür der Organisation sei "aufgebrochen" worden. Andrej Poludy, Chef einer Organisation, die gegen die Todesstrafe kämpft, wurde offenbar in seiner Wohnung festgenommen.

Welle von Repressionen rollt durch Belarus

Die aktuellen Razzien reihen sich ein in eine Welle von Repressionen gegen unabhängige Medien und Organisationen. Die Behörden blockieren seit vergangenem Donnerstag die Internetseite von "Nascha Niwa" (Deutsch: Unser Feld), die Onlineausgabe der ältesten belarussischen Zeitung. Das Informationsministerium teilte mit, das Portal verbreite verbotene Informationen.

Laut der Redaktion des regierungskritischen Mediums wurden Chefredakteur Jegor Martinowitsch und weitere Journalisten der Zeitung festgenommen. Es gab zudem Durchsuchungen bei Mitarbeitern, hieß es im Telegram-Kanal von "Nascha Niwa". Über Razzien klagten auch die unabhängige "Brestker Zeitung", die Redaktion des Portals Intex-Press sowie der Herausgeber von Orsha.eu.

Das mit Abstand populärste Internetportal von Belarus, TUT.BY, wurde bereits Mitte Mai abgeschaltet und 15 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung inhaftiert.

Der seit fast drei Jahrzehnten regierende Lukaschenko war trotz massiver Betrugsvorwürfe nach der Wahl im August 2020 offiziell zum Sieger erklärt worden. Dies löste beispiellose Massenproteste aus, die von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden. (mf/afp/dpa)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.