Cybermobbing, grausame TikTok-Videos, allgemeine Verrohung: Schulleiterin Silke Müller zeichnete bei "Markus Lanz" ein düsteres Bild von der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Mit CDU-Bildungspolitikerin Karin Prien lieferte sie sich einen emotionalen Schlagabtausch.
Als am 11. März die erst zwölfjährige Luise ermordet wurde, war das Entsetzen landesweit groß. Wie konnte es sein, dass die beiden mutmaßlichen und geständigen Täterinnen Gleichaltrige sind? Nicht nur eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters ist seither im Gespräch, auch die Wirkung von Social Media auf die Psyche von Kindern wird nun wieder genauer beleuchtet. Dazu äußerte sich bei "
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Mit ihrem Buch "Wir verlieren unsere Kinder" versucht die niedersächsische Pädagogin Silke Müller aktuell, Eltern und Politik in Deutschland wachzurütteln. Auch bei "Markus Lanz" versuchte die Schulleiterin am Donnerstagabend, über die Gefahren aufzuklären, die im Internet lauern - vor allem auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Snapchat. Besonders die steigende Internetkriminalität, die zunehmende Verrohung sowie die immer weiter sinkende moralische Hemmschwelle machen Silke Müller große Angst. Sie forderte daher bei "Markus Lanz" strenge Maßnahmen seitens der Politik. Dabei geriet sie in ein hitziges Wortgefecht mit CDU-Politikerin Karin Prien.
Das sind die Gäste
- Karin Prien, CDU-Politikerin und schleswig-holsteinische Kultusministerin: "Wir müssen uns damit beschäftigen, ob eine frühere Strafmündigkeit ein wirksames Mittel wäre."
- Eva Quadbeck, Journalistin und Chefredakteurin vom "RedaktionsNetzwerk Deutschland": "So schön der Gedanke der Freiheit im Internet ist, so ganz ohne Leitplanken geht das nicht."
- Silke Müller, Pädagogin und Schulleiterin: "Es gibt auf dem Schulhof keinen Konflikt mehr, der ohne mediale Begleitung stattfindet."
- Frederik Obermaier, Autor und Journalist: "Unsere Kinder googeln viel besser als wir und wissen mittlerweile schon, wie man ins Darknet kommt."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Zu Beginn der Sendung wandte sich Markus Lanz an Schulleiterin Silke Müller, die mit ihrem aktuellen Buch "Wir verlieren unsere Kinder" schon für Schlagzeilen gesorgt hat. Über die steigende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen sagte Müller: "Wir schieben ganz viel auf die Coronakrise. Das hat damit aber gar nichts zu tun."
Stattdessen sieht die Pädagogin aus Hatten in Niedersachsen die größere Gefahr in den sozialen Medien, wo spätestens seit dem Durchbruch der Plattform TikTok im Jahr 2018 "homophobe Äußerungen, rassistische Memes und Cyber-Mobbing mehr verbreitet" werden und "deutlich mehr Zugang auf die Smartphones der Kinder" finden. Silke Müller ergänzte mit ernster Miene: "Ich bin immer wieder schockiert. Ich spreche von Folter. Kinder sehen Videos, in denen ein Mann kastriert wird. Das sind Bilder, die mir als Erwachsene schwerfallen, anzuschauen. Das sind Videos, die die Kinder bei TikTok oder anderen Plattformen abfilmen. Irgendwo landet es, und wenn Kinder völlig unvorbereitet auf solche Bilder treffen, ist das erschauerlich."
Daraufhin meldete sich Autor und Investigativjournalist Frederik Obermaier zu Wort und warnte: "Unsere Kinder wissen, wie schnell man was im Netz findet. Sie googeln viel besser als wir und wissen mittlerweile schon, wie man ins Darknet kommt." Im Gespräch mit Markus Lanz machte Schulleiterin Silke Müller deshalb deutlich: "Wenn ich meinem Kind das Smartphone in die Hand drücke, ist das der Wurf ins Haifischbecken. Selbst eine Stunde reicht, um unter die Räder zu geraten. Die Diskussion beginnt deshalb auch da, ab wann Kinder Zugriff auf Smartphones haben dürfen."
Als sie von Markus Lanz nach bestimmten Lösungsansätzen gefragt wurde, gab Silke Müller zu: "Wir gucken von außen auf die Kinder mit unserer Bewertung. Für Kinder ist das Leben im Netz Teil der Kinder- und Jugendkultur. Wir müssen uns eingestehen, dass wir an vielen Stellen ganz katastrophal versagt haben. Wir als Generation, wir als Gesellschaft. Wir haben ein Problem vor der Brust, das man nicht mehr verharmlosen kann."
Die Pädagogin ergänzte: "Wir müssen uns eingestehen, dass wir die Kinder verlieren." Lanz hakte daraufhin erneut nach: "Sie sagen, dass unsere Kinder verrohen. Aber wie äußert sich das?" Silke Müller erläuterte: "Kinder sind heutzutage dauer-online. Wenn wir über Mobbing sprechen, konnten sich die Kinder früher im Kinderzimmer zurückziehen. Heute wissen sie, dass das Cybermobbing weiterläuft. Und zwar auf übelste Art und Weise. Wie sie sich beschimpfen, diese verrohte Sprache an sich - es gibt Trends, die mir wirklich Sorgen machen. Auch intime Ersterfahrungen finden oftmals im digitalen Raum und nicht mehr im Kinderzimmer statt."
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien, die im vergangenen Jahr noch zugab, dass "wir von der CDU das Thema Bildung über viele Jahre hinweg verschlafen haben", sagte am Donnerstagabend mit ernstem Blick in Richtung Silke Müller: "Sie beschreiben das, was Realität ist. Wir sollten eine Debatte über TikTok führen. Wir führen sie aber nicht."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Als es um die vermeintlich gestiegene Gewaltbereitschaft von Jugendlichen ging, wurde die Stimmung innerhalb der Sendung angespannter. Karin Prien stellte zunächst klar: "Ob das Ganze ein Trend ist, das kann man schwer sagen. Das wird man sich in den nächsten ein, zwei Jahren anschauen müssen. Wir müssen uns damit beschäftigen, ob eine frühere Strafmündigkeit ein wirksames Mittel wäre."
Markus Lanz fragte die schleswig-holsteinische Kultusministerin daraufhin kritisch: "Würden Sie 13-Jährige ins Gefängnis stecken?" Die CDU-Politikerin verneinte dies zunächst und sagte: "Wir stecken ja auch nicht den 15-Jährigen ins Gefängnis. Bevor Jugendliche ins Gefängnis gehen, muss schon viel passieren. Ich rede davon, dass man pädagogische Maßnahmen auch im strafrechtlichen Kontext macht." Markus Lanz ließ nicht locker und hakte nach: "Aber was heißt das?" Karin Prien konterte schwammig: "Ich glaube schon, dass man bei den 12- bis 14-Jährigen genauer hinschauen sollte."
Daraufhin erntete die Politikerin nicht nur Kritik von dem ZDF-Moderator, sondern auch von Silke Müller, die sagte: "Wir versuchen immer, diese halbgaren Lösungen zu suchen. Dann machen Kinder Dinge noch versteckter. Ich glaube, das führt am Thema vorbei, und wir verlieren die Kinder. Die Debatte ist an einer anderen Stelle zu führen."
Journalistin Eva Quadbeck merkte jedoch an, dass an vielen Stellen das nötige Know-how fehle, denn: "Die Generation, der ich angehöre, ist die erste, die die Digital Natives großgezogen hat. Natürlich ist das ein Problem, wir hatten ja selbst als Eltern keine Ahnung, und in den Schulen hatte auch niemand eine Ahnung, wo die Gefahren stecken. Ich glaube, dass mehr Regeln im Netz geschaffen werden müssen. So schön der Gedanke der Freiheit ist, so ganz ohne Leitplanken geht das nicht."
Daraufhin wetterte Schulleiterin Silke Müller in Richtung Karin Prien und kritisierte die fehlende Medienbildung an deutschen Schulen: "Wenn wir über kritisches Denken reden, dann haben wir in der Schule keine Zeit, keine Ressourcen und keine Kompetenzen dafür, das zu tun. Wir sind in einer absoluten Bildungsnotstands-Katastrophe angekommen. Das muss ich auch so deutlich sagen. Mir wird anders, wenn ich an die gesellschaftliche Entwicklung der nächsten 15 Jahre denke."
CDU-Politikerin Prien wollte dies nicht auf sich sitzen lassen und wehrte sich mit den Worten: "Ich würde dem wirklich massiv widersprechen. Ich halte es für einen fatalen Fehler, das Bildungssystem so schlecht zu reden. Natürlich sind wir massiv hinterher, was die Digitalisierung an Schulen angeht. Aber wir sind seit Corona schon deutlich besser geworden." Silke Müller ließ dies nicht unkommentiert und konterte prompt: "Wenn wir vorgaukeln, dass das Schulsystem attraktiv ist für Berufseinsteiger, dann ist das eine Lüge."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Markus Lanz schaffte es am Donnerstagabend, eine lebendige Diskussion anzuregen, in der besonders die Risiken von Social Media im Fokus standen. Vor allem im Gespräch mit Schulleiterin und Buchautorin Silke Müller zeigte sich Markus Lanz höchst interessiert und stellte der Pädagogin zu Beginn der Sendung konkrete Fragen, die die Schulleiterin mit teils drastischen Einlässen beantwortete. Hitziger verlief das Wortgefecht zwischen dem ZDF-Moderator und CDU-Politikerin Karin Prien, die sich unter anderem bei der Frage einer früheren Strafmündigkeit nur Schwammiges entlocken ließ.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Steigt die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen rapide an? Diese Frage steht spätestens seit der Schreckenstat von Freudenberg wieder verstärkt im Raum und konnte auch bei "Markus Lanz" nicht stichhaltig beantwortet werden. Unzweifelhaft stellen Social-Media-Plattformen wie TikTok jedoch ein großes Gefahrenpotenzial dar. Mit welchen politischen Maßnahmen dem zu begegnen ist? Da sich die Gäste am Donnerstagabend nicht in jedem Aspekt einig werden konnten, beendete Lanz die Sendung mit den Worten: "Das wird nicht das letzte Mal sein, dass wir über das Thema gesprochen haben." © 1&1 Mail & Media/teleschau
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