• Parteimitglieder in Nordrhein-Westfalen wollen ein Parteiausschlussverfahren gegen Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht anstrengen.
  • Die 51-Jährige habe der Linke speziell durch ihr aktuelles Buch "schweren Schaden" zugefügt.
  • Wagenknecht tritt zur Bundestagswahl als NRW-Spitzenkandidatin ihrer Partei an.

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Die Hassliebe der Partei Die Linke gegenüber Sahra Wagenknecht hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Mehrere Parteimitglieder haben ein Parteiausschlussverfahren gegen Wagenknecht bei der nordrhein-westfälischen Landesschiedskommission beantragt. Sie wollen die Spitzenkandidatin ihres eigenen Landesverbandes loswerden.

Begründet wird der Schritt hauptsächlich mit den Inhalten von Wagenknechts kürzlich erschienenem Buch "Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm - für Gemeinsinn und Zusammenhalt". Gegner sehen es als Abrechnung mit der eigenen Partei, Wagenknecht habe der Linke "schweren Schaden" zugefügt. In ihrem Buch hatte sich Wagenknecht unter anderem kritisch zur Migrationspolitik Deutschlands und den Bewegungen Fridays for Future und Black Lives Matter geäußert.

"Sie weicht in ihrer Kritik von elementaren Grundsätzen der Linken ab", heißt es nun in dem Antrag. Wagenknecht vertrete "ein eigenes, dem Programm der Linken in vielen Punkten widersprechendes Programm". Die so Gescholtene hat sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Die Bundespartei stellte sich jedoch deutlich hinter Wagenknecht: Linke-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler erklärte, er halte den Antrag "nicht für richtig und für nicht gerechtfertigt". Rückendeckung hat Wagenknecht zudem von jemandem bekommen, der sich mit Parteiausschlussverfahren aus persönlicher Betroffenheit auskennt: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen.

Der sprach via Facebook von "linker Auschliesseritis" [sic!]. Wagenknecht habe am vergangenen Sonntag den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla in der ARD-Talkshow von Anne Will "brillant [...] zerlegt". Wer die Sendung gesehen habe, könne "über so viel dogmatisches Sektierertum nur den Kopf schütteln". Palmer schließt mit: "Die Spitzenkandidatin ausschließen, das schaffen wirklich nur perfekte Linke."

Der streitbare Politiker spielt damit wieder einmal auf die sogenannte "Cancel culture" an. Der Begriff beschreibt angebliche Bestrebungen, gesellschaftlich oder politisch missliebige Menschen mundtot zu machen. In der Vergangenheit hatte Palmer bereits von einer Kultur gesprochen, die Menschen zu "hörigen Sprechautomaten" mache.

Interessant an Palmers Äußerungen zu Wagenknecht ist auch: Als der Grüne nach der laut eigenen Angaben satirisch gemeinten Verwendung einer rassistischen Beleidigung in Zusammenhang mit dem Fußballer Dennis Aogo vor wenigen Wochen massiv in die Kritik geriet, da bekam er medial Unterstützung von - Sahra Wagenknecht. "Ich finde, ein Oberbürgermeister sollte mehr daran gemessen werden, was er real leistet, als an der Makellosigkeit seiner Tweets", sagte die Linke-Politikerin damals in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Linke-Ausschluss Wagenknechts ist unwahrscheinlich

Bleibt die Frage: Müssen sich Palmer und Wagenknecht nun ernsthaft Sorgen machen, zeitnah aus ihren Parteien geworfen zu werden? Eher nicht. Im Parteiengesetz heißt es unter Paragraf 10, Absatz 4: "Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt."

Wie schwer es ist, diesen Nachweis zu erbringen, hat die SPD im Fall Thilo Sarrazin schmerzhaft erfahren. Sarrazin hatte in vielen Interviews und etwa seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" gerade in puncto Migrationspolitik Positionen eingenommen, die weit außerhalb des SPD-Parteiprogramms standen und stehen. Dennoch brauchten die Sozialdemokraten mehrere Anläufe und rund zehn Jahre, bis sie Sarrazin aus der Partei ausgeschlossen hatten.

Selbst wenn es im Fall Wagenknecht also zu einem offiziellen Verfahren kommen würde, dürfte das vor der Bundestagswahl kaum zu einem Urteil finden. Im Zweifel könnte Wagenknecht eine Entscheidung der Landesschiedskommission vor der Bundesschiedskommission anfechten. Würde auch diese für einen Rauswurf aus der Partei plädieren, könnte die 51-Jährige noch vor ein ordentliches Gericht ziehen.

Die wohl prominenteste Parteivertreterin anzugreifen, kommt bei der Linke derweil auch wahltaktisch zur Unzeit. Die Partei steht im Moment in Umfragen zur Bundestagswahl zwischen sechs und sieben Prozent und müsste eigentlich alle Kraft auf den Wiedereinzug ins Parlament konzentrieren. Mit Zerrissenheit wird sie kaum punkten können, oder wie es Sahra Wagenknecht im Gespräch mit unserer Redaktion formuliert hat: "Die Linke ist eine plurale Partei, in der nicht jedes Mitglied jeden einzelnen Programmpunkt großartig finden muss."

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