Viele Deutsche, so wie die Familie Staigmüller, befinden sich noch in Israel. Während einige dringend versuchen, auszureisen, bleiben andere freiwillig vor Ort, um zu helfen.

Mehr News zum Krieg in Nahost

Das Gespräch hat kaum begonnen, da heulen die Sirenen ein weiteres Mal durch das Wohnviertel von Pia Staigmüller in Tel Aviv. Luftalarm. Einer von zahllosen, seit die islamistische Terror-Organisation Hamas mit einem Großangriff auf Siedlungen und dem Abschuss Tausender Raketen für Schockstarre in Israel gesorgt hat. Das Land ist im Kriegszustand. Und Tel Aviv wird seit Tagen immer wieder von Raketen aus dem Gazastreifen getroffen.

Staigmüller meldet sich kurz darauf wieder. "Man hat bei einem Warnalarm nur 90 Sekunden Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen", erzählt sie. "Unser Haus hat aber keinen Bunker, wir versammeln uns sonst oft im Treppenhaus. Aber es scheint wieder ruhig jetzt."

Zahlreiche Deutsche stecken in Israel fest

Nicht nur für Staigmüller und ihre kleine Familie ist das Risiko nach dem Angriff von Samstagmorgen und den anschließenden blutigen Gefechten mit Hunderten von Toten auf beiden Seiten zu hoch. Zahlreiche Menschen mit deutschen Wurzeln versuchen in diesen Tagen, das Land zu verlassen. Aber immer wieder werden Flüge gestrichen oder gar nicht erst angeboten. "Wir haben jetzt drei Plätze über Istanbul am Samstag", sagt die 44-Jährige. "Ich schaue ständig, ob sie noch auf der Liste stehen. Früher als am Wochenende gab es nichts." Die meisten Ausländer in Tel Aviv wollten unbedingt raus, "vor allem die Deutschen".

Aus Israel geschafft haben es mehrere Jugendgruppen aus NRW. Die Jugendlichen seien gut bei ihren Eltern angekommen, sagte am Mittwoch etwa eine Sprecherin der Bildungsorganisation Auslandsgesellschaft, die einen Austausch von 13 Dortmunder Jugendlichen und zwei Betreuerinnen nach Tel Aviv organisiert hatte. Die Gruppe war demnach mit einem Stopp in Antalya nach Deutschland geflogen und am Mittwoch gelandet.

Auch zwei Essener Jugendgruppen sind wieder in Deutschland. Eine zehnköpfige Gruppe, die über den Stadtverband Essen in Tel Aviv war, landete laut einer Sprecherin der Stadt in der Nacht zum Mittwoch in Köln. Auch diese Gruppe war über die Türkei aus Israel ausgereist. Eine 13-köpfige Gruppe der Evangelischen Jugend Essen war bereits zuvor über Zypern nach Deutschland zurückgekehrt.

Zypern als Drehkreuz für Flüge aus Israel

Die EU-Inselrepublik Zypern hat ihre Flughäfen für die Evakuierungen von Menschen aus Israel zur Verfügung gestellt. Wie die Direktion des größten Flughafens der Insel in der Hafenstadt Larnaka mitteilte, seien allein am Dienstag 30 Flüge von und nach Israel eingeplant gewesen, berichtete das Nachrichtenportal der Zeitung "Philenews" am Mittwoch. Zudem könne der Flughafen von Paphos im Westen der Insel benutzt werden.

Nach ihrer Ankunft würden die Menschen, falls notwendig, medizinisch versorgt und in Hotels untergebracht, anschließend reisten sie weiter in ihre Herkunftsländer, berichtete der zyprische Rundfunk (RIK). Es gebe aber auch Fluggäste, die von Zypern nach Israel zurückfliegen, hieß es. Die zyprische Polizei habe die Sicherheitsmaßnahmen in und um die Flughäfen sowie um Hotels und anderen Einrichtungen der Insel erhöht, hieß es weiter. Zypern ist für Israelis ein beliebtes Reiseziel.

In Ulm wollen Staigmüller, ihr Mann und die gemeinsame kleine Tochter Zuflucht bei ihren Eltern suchen. Erstmal in Sicherheit, dann wollen sie weitersehen. "Wenn sich die Lage beruhigt hat, irgendwann, kehren wir zurück", sagt sie. Aus Ulm heraus kann die Marketing-Managerin zunächst im Homeoffice weiterarbeiten. Ihr Mann muss sich hingegen gedulden, vielleicht auch deutlich länger. Denn der Israeli führt eigentlich Touristengruppen durch sein Land und zeigt ihnen die Sehenswürdigkeiten und Naturschauspiele, mit denen seine Heimat in anderen Zeiten die Massen anzieht.

Von solchen Zeiten ist Israel derzeit weit, weit entfernt. "Ich habe schon einiges erlebt, aber dieses Mal steht die ganze Nation unter Schock", beschreibt Staigmüller die Stimmung. "In Tel Aviv gibt es keinen Schulunterricht, die Kindergärten sind geschlossen und wir können nicht raus."

Natürlich hat das Paar gezögert, bevor es die Flüge nach Deutschland gebucht hat. "Mein Mann hat sich zunächst seiner nationalen Identität verpflichtet gefühlt. Auch ich fühle mich Israel sehr verbunden. Und ich kann nachvollziehen, was die Menschen in diesem Land derzeit durchmachen. Aber ich sehe nicht wirklich einen Sinn, hierzubleiben." Sie erlebe das Land derzeit in einem gänzlich anderen Zustand als sonst, erzählt die Deutsche. "Ich habe schon so einiges miterlebt hier, aber das ist nicht zu vergleichen."

Deutsche Freiwillige wollen in Israel bleiben

Nicht alle Deutschen wollen Israel verlassen. Junge Deutsche wollen ihre Freiwilligenarbeit in Israel zunächst fortsetzen. 13 Freiwillige aus ganz Deutschland sind aktuell über das Rote Kreuz (DRK) nach Israel entsandt, wie Tim Gehrmann, Geschäftsführer bei der zuständigen DRK-Tochter Soziale Freiwilligendienste, der Deutschen Presse-Agentur in Schwerin sagte. "Die meisten fühlen sich relativ sicher vor Ort und würden auch gern bleiben." Eine Freiwillige sei mit einem Linienflug zurück nach Deutschland geflogen.

Tim Gehrmann
Tim Gehrmann, Geschäftsführer bei der zuständigen DRK-Tochter Soziale Freiwilligendienste, hält von seinem Büro aus Kontakt zu 13 Freiwillige aus ganz Deutschland die derzeit über das Rote Kreuz (DRK) nach Israel entsandt wurden. © picture alliance/dpa/Jens Büttner

Die jungen Menschen, die derzeit in Israel lebten und arbeiteten, seien zwischen 18 und 20 Jahren alt, berichtete Gehrmann. Erst im September hätten sie ihre Dienste in Krankenhäusern oder Kinder- und Jugendeinrichtungen angetreten. "Die Lage ist dynamisch und kann sich jederzeit ändern. Im Moment sagen aber unsere Partner vor Ort: Es ist sicherer, an einem Ort zu bleiben."

Zurück zu Pia Staigmüller. In der derzeitigen Lage kann sie auf die Hilfe des Bundes noch nicht vertrauen, sagt sie. "Ich habe mich auf den Krisenlisten des Auswärtigen Amtes eingetragen, aber bislang habe ich nur Mails bekommen mit Hinweisen und ein paar Tipps", sagt die 44-Jährige. "Bisweilen ist das auch kurios, wenn sie zum Beispiel zum Landweg nach Jordanien raten oder sogar in den Norden Israels." Es sei auch auf die kommerziellen Fluglinien verwiesen worden.

Hamas

Mindestens fünf Deutsche von Hamas entführt – Regierung plant Evakuierungsflüge

Hamas-Terroristen haben 150 Geiseln in ihrer Gewalt, darunter auch fünf Deutsche. Die Bundesregierung plant erste Evakuierungsflüge für Bundesbürger in Israel. (Photocredit: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Yousef Masoud)

Erst am Dienstagabend kommt die Nachricht aus dem Auswärtigen Amt: Die Lufthansa wird an diesem Donnerstag und Freitag mehrere Sonderflüge organisieren, um Deutsche aus Israel zu fliegen. Vier Flüge pro Tag sind geplant. Weil Staigmüller in der Krisenvorsorgeliste "Elefand" registriert ist, könnte sie mit ihrer Familie nun auch anders planen, wenn sie wollte.

Wenn die Waffen in Israel schweigen, eines Tages, will die Familie nach Tel Aviv zurückkehren. Das ist der Plan. "Wir haben hier alles, ein Haus, unsere Arbeit", sagt Pia Staigmüller. "Und beruhigt sich alles, werde ich auch ins Büro zurückmüssen." (dpa/the)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.