Sie schlafen nicht am selben Ort und haben lange Zeit im Gefängnis verbracht, sie haben Angriffe überlebt und mitunter Körperteile verloren und wirken wie nicht zu fassende Schurken. Doch wenn sie ihre Stimme erheben, hören Teile der arabischen Welt genau hin. Wer sind die Köpfe hinter den Angriffen auf Israel?

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Wenn er etwas sagt, hört ein großer Teil der arabischen Welt zu: Mohammed Deif. So wie zu Beginn der Operation Al-Aqusa-Flut, am 7. Oktober dieses Jahres, als Deif, der Kommandant der Kassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, mit klarer Stimme in einer Audiobotschaft den Angriff auf Israel startete.

Der Kommandant: Mohammed Deif

Niemand weiß wirklich, wer er ist, außer einer kleinen Gruppe von Hamas-Mitgliedern und seiner eigenen Familie. Wenn man über ihn spricht, bleibt vieles im Vagen. Vermutlich wissen die meisten nicht, wo sich der Mann aufhält, den Israel seit Jahrzehnten sucht. Es gibt drei Bilder von ihm. Ein sehr altes, ein weiteres, auf dem er maskiert ist, und ein Bild von seinem Schatten. Selbst Israel mit den effizientesten Geheimdiensten der Welt soll über kein aktuelles Bild des Kommandanten verfügen.

Der Krieg in Nahost

  • Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hat am 7. Oktober bei einem Großangriff auf Israel etwa 1.400 Menschen getötet und rund 200 weitere in den Gazastreifen verschleppt.
  • Israel riegelte daraufhin das Palästinensergebiet ab und startete Gegenangriffe.
  • Nach UN-Angaben ist die humanitäre Lage im Gazastreifen katastrophal. Die Menschen hungern, die Krankenhäuser sind überlastet, es fehlt am Nötigsten.
  • Mehr als 3.000 Menschen laut UN in dem Konflikt bereits getötet, mindestens 12.500 verletzt.

Zur Hamas ist er in jungen Jahren gestoßen. Gleich nach ihrer Gründung 1987 soll er sich ihr angeschlossen haben. Ein Phantom, das mehrmals Anschläge des israelischen Geheimdienstes überlebt hat. Als militärischer Anführer der Kassam-Brigaden ist er verantwortlich für Selbstmordanschläge und Raketenfeuer. So steht er schon seit mehr als 20 Jahren ganz oben auf der israelischen "Wanted"-Liste. Er gilt als Architekt der Tunnel, die unter den Schulen und Krankenhäusern gebaut wurden, um Waffen zu schmuggeln. Genauso soll das Bombenbau-Programm seine Handschrift tragen, das den Kämpfern Raketen unter anderem aus Wasser-Abflussrohren liefert.

Die meisten Informationen über ihn kommen aus israelischen und palästinensischen Medien. Er soll 1965 im Flüchtlingslager Khan Yunis geboren sein, als das Gebiet noch von Ägypten besetzt war. Sein Geburtsname ist Mohammed Diab Ibrahim al Masri. Den Namen Deif soll er erst später bekommen haben - als Anlehnung an seinen nomadischen Lebensstil. "Deif" bedeutet "Gast" auf Arabisch und er soll zu seiner Sicherheit niemals länger als eine Nacht an einem Ort verbringen.

Was ihm mindestens im Jahr 2014 das Leben gerettet haben soll. Im Krieg bombardierte Israel sein Wohnhaus, wobei seine Frau und zwei seiner Kinder gestorben sein sollen. Vergangene Woche soll sein Elternhaus zerstört worden sein, wobei sein Vater und sein Bruder getötet worden sein soll.

Siebenmal schon soll Israel ein Attentat auf ihn versucht haben. Über seine Verletzungen kursieren mehrere Gerüchte. Er soll seine Beine verloren haben, zudem einen Arm und ein Auge.

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Der politische Drahtzieher: Yahya Sinwar

Doch auch ein charismatischer Militär ist nicht in der Lage, einen solchen Anschlag alleine zu planen. Als politischer Drahtzieher hinter dem Terror gilt Yahya Sinwar. Ein Hardliner, den das israelische Militär "Gesicht des Todes" nennt. Seit 2017 ist er Leiter der Hamas im Gazastreifen. Er wurde, wie Deif, im Flüchtlingslager Khan Yunis geboren, 1962. Er besuchte die Islamische Universität Gaza, und verließ sie mit einem Bachelor in Arabistik. Während seines Studiums wurde er 1982 zum ersten Mal verhaftet. Er blieb vier Monate in Verwaltungshaft, ohne Anklage.

Seine erste bedeutende Rolle innerhalb der Hamas war die Gründung der Sicherheitsorganisation "Al Majd". Seine Aufgabe war es, "Sittlichkeitsverbrecher" zu bestrafen und Palästinenser zu töten, die der Kollaboration mit Israel verdächtigt wurden. Wegen der Beteiligung an einigen Morden wurde er 1989 erneut verhaftet. Für die Entführung und Ermordung von zwei israelischen Soldaten und vier Palästinensern, die er verdächtigte, mit Israel zusammenzuarbeiten, bekam er viermal lebenslänglich. Er soll so begeistert für die Hinrichtung von Kollaborateuren gewesen sein, dass israelische Beamte ihn als den "Schlächter von Khan Yunis" bezeichneten.

Im Gefängnis soll er Hebräisch gelernt und sich intensiv mit Israel befasst haben. Nach 22 Jahren kam er 2011 bei einem Gefangenenaustausch frei. Damals wurden 1.027 palästinensische Gefangene gegen einen einzigen israelischen Soldaten, Gilad Shalit, freigelassen.

Es gibt Videos, in denen er von jungen Palästinensern gefeiert wird. Aber was ist Sinwar für ein Mensch? Verlässliche Informationen gibt es nur wenige. Es heißt, er sei ein herausragender Student gewesen, intelligent, aber auch widerspenstig und grausam. Ebenso wurde er aber auch als Feigling beschrieben, der im Gefängnis andere zu Straftaten anstachelte, ohne jemals Verantwortung zu übernehmen. Im Jahr 2015 setzte die USA Sinwar auf die Liste internationaler Terroristen.

Zwei Jahre später wurde er von der Hamas zum Anführer des Gazastreifens gewählt. Ein Hardliner, der nicht davor zurückschreckt, Leute aus den eigenen Reihen zu töten. Im Jahr 2016 beispielsweise, als Sinwar noch politischer Vertreter der Kassam-Brigaden war, vergleichbar mit einem Verteidigungsminister, wurde ein hochrangiger Kommandeur der Kassam-Brigaden von seinen Leuten hingerichtet. Der Grund: Er war angeblich homosexuell. Beobachter sagten damals, das sei ein Zeichen für die Veränderungen, die bei der Hamas mit Sinwar eingetreten seien. "Er ist härter als andere Führer – er will, dass seine Armee rein ist", sagte damals der Schriftsteller Ibrahim al-Madhoun, der der Hamas nahesteht.

Auch Sinwar steht auf der Abschussliste Israels. "Er ist ein wandelnder Toter", sagte ein Militärsprecher, "wir werden diesen Mann finden".

Der Ranghöchste: Ismail Hanija

An diesem Tag sah man ein weiteres Gesicht hinter den Anschlägen in einer Fernsehansprache. Ismail Hanija, Vorsitzender des Hamas Politbüros, hat sich als öffentliches Gesicht hinter dem Angriff herausgestellt. Er drohte aus seinem Exil in Katar heraus, dass der gewaltsame Kampf bis in die Westbank und bis nach Jerusalem ausgedehnt werden würde. Die Friedensverhandlungen mit Israel trügen seiner Ansicht nach nicht zur Lösung des Konflikts um Palästina bei.

Hanija ist, wie Sinwar und Deif, in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen geboren und aufgewachsen, in Al-Shati. Umso erstaunlicher ist es, dass der einflussreiche Politiker laut Doron Peskin, einem Nahost-Wirtschaftsexperten, zum mehrfachen Millionär geworden ist. Er soll auf alle Waren, die durch die Tunnel von Ägypten nach Gaza gelangen, eine Steuer von 20 Prozent erheben, während die wirtschaftliche Situation im Gazastreifen ansonsten höchst prekär ist – was ihn zu einer umstrittenen Figur macht.

Den ersten Kontakt zur Hamas bekam Hanija während seines Studiums der Arabischen Literatur. 1987 und 88 wurde er wegen der Teilnahme an der ersten Intifada zu kurzen Haftstrafen verurteilt. 1989 ging er für drei Jahre ins Gefängnis. Nach der Strafe wurde er gemeinsam mit anderen Hamas-Führern in den Libanon abgeschoben, wo die Hamas, laut der BBC, "eine beispiellose Medienpräsenz erhielt und in der ganzen Welt bekannt wurde."

Seine Karriere im Führungskader der Hamas begann, als er 1997 der persönliche Assistent des Hamas-Gründers und Chefideologen Sheikh Ahmed Yassin wurde, der unter anderem auf sich aufmerksam machte, indem er Selbstmordattentäter einsetzte, um Widerstand gegen Israel zu leisten.

Hanija überlebte mehrere Attentate. Mal waren es israelische Raketen, die ihn verfehlten, mal waren es Kugeln der verfeindeten Fatah-Partei. 2006 stieg er, nach offiziellen Wahlen, zum Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde auf. 2017 kam Hanija an die Spitze des Politbüros. Dort wird die soziale, politische und militärische Politik festgelegt.

Zwar gilt Hanija als pragmatische Figur innerhalb der Hamas, der in der Vergangenheit auch auf Verhandlungen mit Israel gesetzt hat. Doch rief er im Dezember 2017 zu einer palästinensischen Intifada auf, nachdem die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte. 2018 wurde Ismail Hanija von der Regierung auf die Liste internationaler Terroristen gesetzt.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versprach in einer Rede am 7. Oktober, die Hamas-Truppen in Gaza auszulöschen. Ob die israelische Regierung den Versuch unternimmt, auch Hanija zu töten, ist fraglich. Israel hat zwar eine gute Erfolgsbilanz, was gewagte Attentate weltweit betrifft, allerdings wäre ein Attentat auf den Hamas-Chef in Katar sehr riskant. Katar erklärte bereits, dass es Israel für den jüngsten Ausbruch der Gewalt verantwortlich macht. Der Versuch eines Attentats würde dementsprechend eine größere regionale Eskalation riskieren.

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Vor ein paar Tagen sollen bei einem Luftschlag auf das Haus Haniyas im Sheikh Radwan Viertel in Gaza-Stadt 14 seiner Familienmitglieder getötet worden sein. Unter ihnen der Bruder des Politbüro-Chefs und sein Neffe.

Verwendete Quellen:

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