Baschar al-Assad benutzte Haftanstalten wie das Saidnaja-Gefängnis zur brutalen Unterdrückung der Opposition. Doch nicht nur das: Seine Anhänger nutzten Angehörige aus, um Millionenbeträge zu erpressen. Jetzt erzählen Hinterbliebene, was ihnen zugestoßen ist.
Oft genügte ein falsches Wort, um in Syrien in einem der Foltergefängnisse zu landen. Doch die Haftanstalten wie das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis dienten nicht nur Machthaber
"Mein Bruder wird seit 2011 vermisst", sagt Sanaa Omar. Mohammed war 15, als er in Aleppo verschwand. "Wir haben in allen Gefängnissen in Aleppo nachgesehen, in allen Abteilungen. Und wir haben jeden bezahlt: Anwälte, die sagten, dass sie wüssten, wo er sei und versprachen, uns Dokumente zu bringen", schildert die 38-Jährige. Aber über den Bruder erfuhren sie dennoch nichts.
"Mein Vater fuhr jedes Jahr nach Damaskus und traf sich mit Anwälten oder Leuten, die angeblich mit der Regierung zusammenarbeiteten. Sie nahmen 200.000, 300.000 oder 400.000 syrische Pfund", sagt sie. Aber auch deren Versprechen, Mohammed besuchen zu können, erfüllten sich nie. "Wir haben sie fast fünf Jahre lang bezahlt, aber am Ende haben wir die Hoffnung verloren", sagt Omar.
Nach Assads Sturz suchen Angehörige nach Gewissheit
Jetzt ist sie nach Damaskus gereist, um nach dem Ende von Assads Gewaltherrschaft Gewissheit über das Schicksal ihres Bruders zu bekommen. Sie steht in der Leichenhalle eines Krankenhauses. Dorthin haben die siegreichen Islamisten alle Toten gebracht, die sie in den Gefängnissen fanden und nicht identifizieren konnten.
Viele Angehörige, die sich an den Traum klammerten, ihre verschwundenen Söhne, Ehemänner, Brüder und Schwestern wiederzusehen, berichten, dass sie systematisch ausgenommen wurden. Und häufig bekamen sie nicht einmal die in Aussicht gestellte Information oder den Besuchsausweis.
Vor zwei Jahren versuchte eine Menschenrechtsgruppe herauszufinden, wie viel Geld den Familien der Inhaftierten im Laufe der Jahre abgenommen wurde. Die Vereinigung der Gefangenen und Verschwundenen des Saidnaja-Gefängnisses führte dazu hunderte Interviews mit Angehörigen. Umgerechnet fast 860 Millionen Euro flossen in die Taschen von Beamten und anderen Mittelsmännern, so die Schätzung.
Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien, der 2011 mit der brutalen Niederschlagung pro-demokratischer Proteste begann, wurden hunderttausende Menschen inhaftiert. Zehntausende überlebten das Gefängnis nicht.
Türen des Saidnaja-Gefängnisses stehen offen
Nach dem Sieg der islamistischen Milizen stehen die Türen des Saidnaja-Gefängnisses offen, die Gefangenen kamen frei. Der düstere Komplex liegt in einem trockenen Tal mit prächtigen Villen 30 Kilometer nördlich von Damaskus.
Angehörige blättern durch die zurückgelassenen Dokumente, in der Hoffnung, Hinweise auf die Vermissten zu finden. "Ich suche nach meinem Bruder. Er war seit 2019 in Saidnaja", sagt Hassan Haschem. Der stämmige junge Mann ist aus Hama angereist, um einen letzten verzweifelten Versuch zu unternehmen, Antworten zu finden.
Anfangs konnte die Familie den Bruder noch besuchen. Doch dann wurde er wegen "internationalem Terrorismus und Waffenbesitz" verurteilt und auf den Luftwaffenstützpunkt Masseh verlegt. Ein Verwandter eines ranghohen Regierungsbeamten versprach Hilfe. "Er sagte, sie bräuchten 100.000 Dollar, um ihn herauszuholen. Ich sagte ihm, dass ich, selbst wenn ich mein ganzes Dorf verkaufen würde, keine 100.000 Dollar zusammenbekäme", sagt Haschem.
Die Familie habe mehr als 11.000 Euro für Versuche bezahlt, dem Bruder zu helfen. "Er ist verheiratet und hat vier Töchter. Er hat nie etwas Falsches getan", sagt Haschem.
Heute laufen Zivilisten und islamistische Kämpfer durch die Gänge von Saidnaja. In den Zellen liegen schmutzige Schlafmatten, bis zu 20 Menschen waren in einem Raum zusammengepfercht. Im Erdgeschoss bleiben sie vor einer hydraulischen Presse stehen. Ein Folterinstrument, das dazu diente, Gefangene einzuquetschen, erklären ehemalige Insassen. Der Boden eines benachbarten Raums ist mit stinkendem Fett beschmiert.
Ajusch Hassan ist aus Aleppo gekommen, sie sucht ihren Sohn. Vor einem Monat habe sie umgerechnet etwa 20.000 Euro dafür bezahlt, dass sie seine Akte überprüfen. "Sie sagten, er sei in Saidnaja und bei guter Gesundheit", erzählt die 66-Jährige. "Aber er ist nicht hier!", schreit sie verzweifelt. "Sie haben uns belogen. Wir haben 13 Jahre lang von der Hoffnung gelebt, dass er diesen Monat, in den nächsten zwei Monaten oder in diesem Jahr oder am Muttertag freikommt. Aber das waren alles Lügen." (afp/bearbeitet von vit)
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