Seit Monaten erleben die Zivilisten im syrischen Aleppo die Hölle auf Erden. Schwere Kämpfe zwischen Rebellen und regimetreuen Verbänden fordern täglich Tote und Verletzte. Massive Luftangriffe haben vor allem den Osten der Stadt nahezu vollständig zerstört. Aus den Ruinen schicken ein siebenjähriges Mädchen und seine Mutter einen dramatischen Appell an die Welt - es ist ein Abschied an die Hoffnung.
Im Osten Aleppos sollen nach Schätzungen von Hilfsorganisationen noch rund 250.000 Menschen leben. Es fehlt akut an Lebensmitteln, sauberem Trinkwasser, Strom und medizinischer Versorgung. Dazu kommt der tägliche Beschuss durch Bomben und Granaten. Der Tod ist allgegenwärtig.
Seit Wochen schon twittert Bana Alabed zusammen mit ihrer Mutter Fatemah aus Ost-Aleppo Eindrücke ihres verstörenden Alltags in die Welt, ihre Ängste, Sorgen und manchmal – wenn auch sehr selten – so etwas wie Hoffnungsschimmer.
Zwar wurde eine Internet-Verbindung durch das syrische Regime für Aleppo Anfang Oktober eingerichtet, der Osten der Stadt war davon aber ausgeschlossen. Eine Lösung bot sich den Menschen durch eine Art digitale Online-Brücke zur Türkei. Dadurch gelangen weiterhin Berichte und Bilder aus Aleppo an die Außenwelt. So auch die Eindrücke von Bana Alabed.
"Bitte hört auf, uns zu bebomben!"
Am 24. September setzte sie ihren ersten Tweet ab. "Ich brauche Frieden", war da zu lesen. Und wenig später: "Ich kann wegen der Bomben nicht nach draußen gehen. Bitte hört auf, uns zu bebomben!"
Rund 168.000 Follower bekommen seitdem mit, wenn die Siebenjährige und ihre Mutter aus Aleppo berichten. Sie sehen schockierende Bilder. Fotos nach Bombenangriffen, von Zerstörung und blutüberströmten Opfern. Auf einem Bild zeigt Bana ein Blatt Papier mit der Botschaft: "Bitte, Assad und Putin, beendet das Bombardement."
Längst gibt es Stimmen, die behaupten, Mutter und Tochter seien nicht real, sondern nur Erfindung einer Propaganda-Lüge der Anti-Assad-Fraktion. Trolle kopierten bereits ihren Account und machten Stimmung zugunsten des Regimes. Mittlerweile aber wurde der echte Account von Twitter mit dem blauen Haken verifiziert.
Ob Bana und ihre Mutter eigenverantwortlich oder gesteuert twittern, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Fakt ist, dass sich ihre Schilderungen mit den Berichten von Menschenrechtsorganisationen decken.
Auch ist das alltägliche Grauen, das Sterben und Leiden im Osten von Aleppo, welches sowohl die Rebellen als auch das von Russland unterstütze Regime verantworten, kein Geheimnis.
Propaganda-Vorwürfe zurückgewiesen
CNN, dem "Guardian" und der "Daily Mail" war es gelungen, Bana und ihre Mutter zu kontaktieren und via Skype zu interviewen. Fatemah, ehemalige Jura-Studentin und verheiratet mit einem Anwalt, meinte, sie unterstütze zwar ihre Tochter bei den Tweets, doch die Schilderungen und Emotionen kämen allein von Bana.
Ein Solar-Panel sowie eine instabile 3G-Verbindung ins Internet ermöglichten das Senden, erklärt Fatemah. Gegen die Vorwürfe, sie seien lediglich Teil der Propaganda von Rebellengruppen, wehren sie sich entschieden: "Ich habe nichts geschrieben, was die Rebellen unterstützen würde. Es ist einfach nur das, was wir erleben."
Bana selbst schildert in den Gesprächen, dass ihre Lieblingsfächer Mathe und Englisch seien, ihr Berufswunsch: Lehrerin. "Aber ich kann nicht lernen, weil ich nicht zur Schule gehen kann." Dafür müsse erst das Bombardement aufhören. "Wir sind Kinder, wir lieben das Leben und wir wollen, dass uns die Welt hört."
Banas und Fatemahs aktuelle Tweets gaben Grund zur Besorgnis. Demnach war bei der jüngsten Offensive der Pro-Assad-Fraktion das Haus ihrer Familie bei einem Bombenangriff zerstört worden. Ihre Mutter bestätigte gegenüber CNN, dass die Wohnung am Sonntagabend einen Volltreffer erhalten habe.
"Heute Nacht haben wir kein Haus. Ich habe Tote gesehen und bin beinahe selbst gestorben", hatte Bana auf Twitter geschildert. "Ich habe leichte Verletzungen und seit gestern nicht mehr geschlafen. Ich habe Hunger. Ich will leben. Ich will nicht sterben."
Einer der letzten Tweets von Bana und ihrer Mutter vor dem Beschuss war ein dramatischer Appell an die Weltgemeinschaft – und ein Abschied an die Hoffnung: "Letzte Nachricht. Schweres Bombardement. Können nicht mehr am Leben sein. Wenn wir sterben, redet weiter über die 200.000 noch Eingeschlossenen. Bye, Fatemah."
Bana und ihre Familie haben die Bomben überlebt. Wieder einmal. Ein Zuhause aber gibt es nicht mehr. In Banas neuesten Nachricht sieht man das Foto einer Ruine. "Das ist unser Haus", schreibt die Siebenjährige. "Ich bin zwar sehr traurig, aber glücklich, am Leben zu sein."
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