Es war ein heftiger Schlag gegen die mächtigste Mafia-Organisation der Welt: Mehr als 1.000 Einsatzkräfte sind am Mittwochmorgen in Deutschland gegen die italienische 'Ndrangheta vorgegangen – eine Organisation, die mehr Umsatz macht als manche Dax-Unternehmen. Doch wer steckt hinter der in Kalabrien gegründeten 'Ndrangheta?

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Sechs Männer verlassen nachts um zwei das Restaurant "Da Bruno", in dem sie den Geburtstag eines Familienmitglieds gefeiert haben. Tommaso-Francesco V. ist gerade volljährig geworden. Die Feier war gleichzeitig sein Aufnahmeritual in die Mafia-Organisation 'Ndrangheta.

Als sie in ihre Autos steigen, geht ein Kugelhagel auf sie nieder. Die Täter geben 54 Schüsse aus Schnellfeuerwaffen ab, alle sechs Männer sterben. Der Hintergrund der Tat: eine langjährige Fehde zwischen zwei Familien aus dem italienischen Dorf San Luca. Was sich wie eine Szene aus einem Film anhört, ereignete sich nicht in Palermo oder Chicago, sondern im August 2007 in Duisburg und machte sichtbar, wie stark die italienische Mafia auch in Deutschland verankert ist.

Der Kampf gegen die mächtige 'Ndrangheta

Die 'Ndrangheta hat ihren Ursprung in der italienischen Region Kalabrien und agiert längst international. Der berüchtigten Cosa Nostra hat sie bereits vor längerer Zeit den Rang abgelaufen. Doch nach dem Willen der italienischen Staatsanwaltschaft soll ihre Aktivität in absehbarer Zeit ein Ende haben.

Seit einigen Jahren gehen die Behörden verstärkt gegen die organisierte Kriminalität vor – wie jetzt bei der "Operation Eureka". Am frühen Mittwochmorgen waren nach Angaben des bayerischen Landeskriminalamts deutsche, belgische und italienische Behörden in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Behörden Eurojust und Europol beteiligt.

Zuletzt hatte Anfang 2021 ein Mammut-Prozess gegen die 'Ndrangheta in der süditalienischen Stadt Lamezia Terme für Aufsehen gesorgt, bei dem in den folgenden zwei Jahren Hunderte Angeklagte vor Gericht gestellt wurden – darunter Geschäftsleute, Politiker und Anwälte.

Doch wie ist die 'Ndrangheta organisiert?

Die 'Ndrangheta: Ein loses Netzwerk Dutzender Familienclans

Gegen die 'Ndrangheta vorzugehen, gilt als besonders schwierig, weil sie weniger hierarchisch strukturiert ist als etwa die Cosa Nostra. Sie ist ein loses Netzwerk aus Dutzenden Familienclans, das seine eigenen gesellschaftlichen Regeln hat. Es gibt rund 160 dieser Clans in Kalabrien – mit schätzungsweise 6.000 Mitgliedern.

Eines ihrer besonderen Merkmale ist, dass sie großen Wert auf Blutsverwandtschaft zwischen ihren Mitgliedern legt. Das sorgt für Zusammenhalt. Diese Wagenburg-Mentalität spiegelt sich auch im Namen der Organisation wider: Der Begriff 'Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa Mut oder Treue. Tatsächlich kommt es viel seltener als bei anderen Organisationen vor, dass Aussteiger als Kronzeugen gegen andere Mitglieder aussagen.

Gute Vernetzung erschwert Ermittlungen

"Ein Mann, der schweigt, kann sicher sein, dass für seine Familie auch dann gesorgt wird, wenn er in Haft kommt. Seine Frau und Kinder genießen Ansehen im Ort, sie werden respektiert, sie bekommen Geld", heißt es in einem BKA-Bericht über die Gepflogenheiten in den kalabrischen Dörfern, in denen die 'Ndrangheta aktiv ist. Wenn der Mann aber rede, werde die Familie verachtet und verliere alles.

Ein weiteres Problem ist die gute Vernetzung der Organisation mit der Politik und Justiz. In den vergangenen Jahrzehnten machten immer wieder Festnahmen ranghoher Mitglieder Schlagzeilen.

So trat etwa 2010 Antonio Pelle, Kopf des Pelle-Clans, eine 13-jährige Haftstrafe an. Nachdem er jedoch mithilfe von Schlankheitspillen deutlich an Gewicht verloren hatte, wurde er in ein Krankenhaus gebracht, aus dem er mit Leichtigkeit fliehen konnte. "Obwohl seine Identität zweifelsfrei bekannt und die Justiz über den Umstand seiner Verlegung informiert war, gab es keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Da stand kein einziger Polizist vor der Tür", heißt es im BKA-Bericht.

Mehr Umsatz als die Deutsche Bank und McDonalds zusammengenommen

Spuren der Mafia-Organisation haben Forscher schon in Dokumenten aus dem 19. Jahrhundert aufgespürt. Sie soll sich in den 1860er Jahren gegründet haben, als eine Gruppe Sizilianer von der italienischen Regierung von der Insel verbannt wurde. Anfangs waren Schutzgelderpressungen und Lösegeld nach Entführungen ihre Haupteinnahmequellen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Prostitution, Drogenhandel und Geldwäsche dazu – und das vermehrt auch im Ausland. Ab den 1980er Jahren entdeckte die 'Ndrangheta in der illegalen Giftmüllentsorgung ein äußerst lukratives Geschäft. Sie verdiente Milliarden, indem sie radioaktive und sonstige giftige Abfälle einfach im Mittelmeer versenkte.

Das italienische Forschungsinstitut Demoskopika errechnete, dass die Organisation im Jahr 2013 rund 54 Milliarden Euro umgesetzt hat. Die Deutsche Bank und McDonalds erwirtschafteten in dem Jahr zusammengenommen weniger als die 'Ndrangheta. Doch diese Zahlen entsprechen wohl längst nicht mehr dem aktuellen Stand: Manchen Expertinnen und Experten gehen aktuell von einem Umsatz der 'Ndrangheta von mehr als 100 Milliarden Euro aus.

(Dieser zuletzt im Januar 2021 veröffentlichte Artikel wurde aus aktuellem Anlass überarbeitet und aktualisiert.)

Verwendete Quellen:

  • Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Bundeskriminalamt: "Die 'Ndrangheta in Deutschland"
  • Europol Public Information: "Threat Assessment Italian Organised Crime"
  • "Frankfurter Rundschau": Tod im Kugelhagel
  • Mafianeindanke e.V.: "Der erste Maxiprozess in Deutschland: von Kronzeugen und Hochsicherheitsbunkern"
  • University of Nebraska-Lincoln: "'Ndrangheta in southern Italy in the region of Calabria"
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