Juan Guaidó hat sich verkalkuliert: Der Aufstand einiger Soldaten sollte eigentlich einen Dominoeffekt in Gang setzen und die Regierung zu Fall bringen. Anders als vom selbst ernannten Interimspräsident erhofft, wechselt das Militär allerdings nicht die Seiten. Nicolás Maduro hält sich. Jetzt muss Guaidó nachlegen.
"Nerven aus Stahl" bescheinigt sich Venezuelas Präsident Nicolás Maduro, andere würden sagen: Der ehemalige Busfahrer hat ordentlich Sitzfleisch. Die USA haben seinen engsten Führungszirkel mit harten Sanktionen belegt, die Wirtschaft des einst reichen Erdöllands liegt am Boden, seit 100 Tagen macht ihm der selbst ernannte Interimspräsident
Selbst eine Meuterei einiger Soldaten sitzt der Staatschef einfach aus. Nachdem klar ist, dass der Großteil der Streitkräfte ihm weiterhin die Treue hält, erklärt Maduro die Rebellion für gescheitert.
"Ich danke euch für eure entschlossene, loyale und mutige Haltung, mit der ihr die kleine Gruppe zerschlagen habt, die Venezuela mit Gewalt überziehen wollte", sagt er der Militärführung bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung.
Guaidó setzt seinen Gegenspieler unter Druck
Sein Widersacher Guaidó hat sich mit dem Coup nahe dem Luftwaffenstützpunkt La Carlota weit aus dem Fenster gelehnt. Seitdem er sich am 23. Januar zum Interimspräsidenten ernannt hat, organisiert der junge Abgeordnete Demonstrationen, wirbt im Ausland für die Anerkennung seiner Gegenregierung und entwirft Pläne für die Zeit nach Maduro. Im Gegensatz zu den radikaleren Kreisen der venezolanischen Opposition setzt er auf friedlichen Protest.
Maduro ließ ihn bislang weitgehend gewähren, doch mit der offenen Meuterei der Soldaten und der Befreiung des Oppositionsführers Leopoldo López könnte Guaidó den Bogen überspannt haben.
Jetzt ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Drahtzieher der Rebellion. "Es darf keine Straflosigkeit geben", sagt Maduro. "Diese Verräter werden ihr Schicksal noch kennen lernen."
Mit seinem Husarenstück von Caracas setzt Guaidó seinen Gegenspieler unter Druck und zwingt ihn zum Handeln. "Wenn er Guaidó festnehmen lässt, riskiert er eine starke Reaktion der USA", schreibt Giancarlo Morelli vom Analyseunternehmen Economist Intelligence Unit auf Twitter. "Lässt er ihn nicht festnehmen, würde er vor seinen Verbündeten und Unterstützern unglaublich schwach dastehen."
Unter einfachen Soldaten dürfte große Unzufriedenheit herrschen
Klar ist: Guaidó ist es nicht gelungen, nennenswerte Teile der Streitkräfte auf seine Seite zu ziehen. Das Militär gilt aber als der entscheidende Faktor im Machtpoker von Caracas. Die Streitkräfte verfügen nach Angaben des Verteidigungsministeriums über 235.000 aktive Soldaten, hinzu kommen bis zu zwei Millionen Milizionäre.
Vor allem die Führungsriege hat bislang wenig Interesse an einem Personalwechsel im Präsidentenpalast Miraflores. Ranghohe Militärs sitzen an den wichtigen Schaltstellen der Macht, kontrollieren das Ölgeschäft, den Import von Lebensmitteln, Banken und Bergbaufirmen.
Große Teile der Gewinne dürften in den Taschen der Generäle verschwinden. Viele Offiziere sollen zudem in kriminelle Geschäfte verwickelt sein. Maduro lässt sie gewähren, solange sie treu zu seiner Regierung stehen.
Unter den einfachen Soldaten dürfte hingegen große Unzufriedenheit herrschen. Sie leiden genauso wie der Rest der Bevölkerung unter den ständigen Stromausfällen, dem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten, der täglichen Gewalt. Allerdings werden kleinere Aufstände rasch niedergeschlagen.
Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano sitzen in dem südamerikanischen Land 193 Militärs wegen politischer Vergehen in Haft. Nach Einschätzung der Opposition und der USA halten Agenten des kubanischen Militärgeheimdienstes die Truppe auf Linie.
Guaidó muss jetzt nachlegen
Die Militärs gelten allerdings nicht als Beton-Ideologen, sondern als gewiefte Pragmatiker. "Wenn die Militärführung zu dem Schluss kommt, dass die Kosten, dem externen Druck nachzugeben, geringer sind, als die Kosten, die interne Ordnung aufrecht zu erhalten, werden sie wahrscheinlich handeln", schreibt der Analyst Ivan Briscoe vom Forschungsinstitut International Crisis Group.
Dafür muss Guaidó allerdings den Druck auf der Straße erhöhen. "Die Opposition ist nicht in einer starken Position. Die Zeit arbeitet gegen sie", sagt David Smilde vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America in einem Radiointerview.
Die Zusammenstöße zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften am Dienstag waren bereits die heftigsten seit langem. Um seine "Operation Freiheit" zum Erfolg zu führen, muss Guaidó jetzt nachlegen. "Wir bleiben auf der Straße, bis wir das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme erreicht haben", sagt er. (ff/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.