Der Strafrechtsexperte Johannes Kaspar erklärt, woher der Ruf nach härteren und längeren Strafen rührt. Er sieht einerseits die Medien in der Verantwortung, andererseits handele es sich auch um ein verzerrtes Rechtsempfinden, das durch populistische Kampagnen gefördert werde. Ist das Strafmaß in Deutschland also hart genug?
Die Gesetze, die das Zusammenleben in Deutschland regeln sollen, werden nicht von allen Menschen auf die gleiche Weise wahrgenommen: Teile der Bevölkerung halten das Strafmaß, das bei einzelnen Gesetzesverstößen verhängt wird, für nicht ausreichend.
Dieses Gefühl zumindest drängt sich auf, wenn man sich die Kommentarspalten unter Artikeln über Kriminalfälle durchliest oder Talkrunden im TV verfolgt.
Johannes Kaspar, Professor für Strafrecht an der Universität Augsburg kennt das Problem: "Es gibt online viel Krawall, der auch aus einer bestimmten politischen Ecke angefeuert wird."
Die Interessen der "politischen Ecke", auf die Kaspar sich bezieht, benannte eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung bereits im August 2017: Rechtspopulistische Parteien würden von Menschen gewählt, die Kontrollsorgen hätten und über die Zukunft besorgt seien, befanden die Wissenschaftler.
Dazu zählten allgemeinere Aspekte wie Verunsicherung über die Globalisierung, Freihandel und den technischen Wandel, aber auch Themen wie starke Zuwanderung und Kriminalität würden als Probleme angesehen.
Rechtspopulisten wissen um diese Ängste und schüren sie aktiv, um noch mehr Wähler für sich zu gewinnen. Je allgegenwärtiger das Klima der Verunsicherung, desto mehr Zulauf und Zuspruch erhalten sie.
Forderung nach härteren Strafen
Aber: "Die Forderung nach härteren Strafen ist nicht so dramatisch, wie sie oft dargestellt wird", sagt Kaspar.
In der Forschung zeige sich vielmehr ein gemischtes Bild. "Der Ruf nach härteren Strafen ist zwar offenbar in manchen Bereichen nach oben gegangen, aber nicht dramatisch in die Höhe geschossen."
Die Bereiche, bei denen der Wunsch zugenommen habe, seien Sexualdelikte oder schwere Gewaltverbrechen, sagt Kaspar. Das läge auch an der ausführlichen Berichterstattung über die Fälle in den Medien.
"Darum gibt es ein größeres Bewusstsein für diese Art von Straftaten und damit geht dann vielleicht auch ein stärkeres Strafverlangen einher", vermutet Kaspar.
Dabei ist laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts die registrierte Kriminalität bundesweit um 9,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Auch die Gewaltkriminalität, darunter etwa Mord, Raub oder schwere Körperverletzung, ging um 2,4 Prozent zurück.
Seit einem Höhepunkt im Jahr 2007 ist die Kriminalität in Deutschland generell sogar rückläufig.
Dass dies in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen werde und in einzelnen Straffällen der Ruf nach einer härteren Hand laut werde, erklärt der Strafrechtsexperte mit der Aufmerksamkeit für besonders dramatische Fälle.
Hier stehen vor alle Sexualdelikte immer wieder im Kontext der Zuwanderung im medialen Fokus - und es wird eine sprunghafte Zunahme suggeriert.
Taten wie etwa die Massenvergewaltigung in Freiburg sind schrecklich, die Kriminalstatistik kann den Verdacht einer sprunghaften Zunahme allerdings nicht stützen.
Für das Jahr 2017 ergibt sich "eine Gesamtzahl von 3.597 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Beteiligung von mindestens einem Zuwanderer", erklärt das BKA. "Damit fiele die Zunahme bedeutend geringer aus (2016: 3.404 Straftaten)."
Im Allgemeinen werden Straftaten, die im medialen Fokus stehen, "oft vereinfacht dargestellt, weil nicht alle Details bekannt sind, nach denen der Richter sein Urteil fällt", erklärt Experte Kasper. "Die öffentliche Meinung basiert daher oft auf einer ungenauen Grundlage." "Die öffentliche Meinung basiert daher oft auf einer ungenauen Grundlage."
Und was ist mit dem Ruf nicht nur nach härteren, sondern auch nach längeren Haftstrafen? "Vermutlich vermischt sich in der Bevölkerung der Wunsch nach gerechter Bestrafung auch mit dem Bedürfnis, dass die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern geschützt wird", sagt Kaspar.
Vermischung von Strafe und Prävention
Das ist allerdings problematisch, weil es hier um zwei unterschiedliche Bereiche des deutschen Rechts geht: "Die Strafe ist von den rein präventiven Maßnahmen, wie etwa der Sicherungsverwahrung, zu unterscheiden", erklärt Kaspar.
Der Richter entscheidet also einerseits über die Strafe, die ein Verbrecher für seine Tat erhält. Über vorbeugende Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit vor Kriminellen wird separat entschieden.
Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, warnt in einem Beitrag in der "Zeit" vor Verständnisschwierigkeiten der Bevölkerung für die Komplexität der Rechtsprechung: "Das Verständnis für [rechtliche Zusammenhänge] und die Kompliziertheit des Rechts ist aber – so meine Wahrnehmung – in der Bevölkerung generell gesunken", schreibt er.
Daher drohe eine Schieflage: "Wenn das Recht mit Erwartungen konfrontiert wird, die es nicht einlösen kann, kommt es zwangsläufig zu Enttäuschungen."
Doch selbst wenn die Forderung nach härteren Strafen berechtigt wäre, würden diese wohl gar nicht erreichen, was die Bürger sich von ihnen erhoffen: den Rückgang der Straftaten.
Es sei überhaupt nicht belegt, dass härtere Strafen einen zusätzlich abschreckenden Effekt hätten. "Daher wird dieser Ruf in Fachkreisen kritisch gesehen", sagt Jurist Kaspar.
Gerechte Strafen wichtig für Vertrauen in Rechtsstaat
Doch trotz dieser Schwierigkeiten hält der Strafrechtsexperte es für unerlässlich, dass der Staat das Gerechtigkeitsempfinden der Allgemeinheit nicht einfach abtut. "Es gibt gute Gründe dafür, Strafen mehr an dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung auszurichten", sagt Kaspar.
Denn für das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat ist es unerlässlich, dass die Strafen als gerecht und maßvoll wahrgenommen werden.
Auch dafür, dass ein Bürger sich an die Regeln in seinem Land halte, sei es wichtig, dass er den Rechtsstaat als zuverlässig und vertrauenswürdig erlebe, ergänzt Kaspar.
Vorab sei es aber notwendig, methodisch sauber zu ermitteln, welche Bedürfnisse genau die Bevölkerung bei ihrem Gerechtigkeitsempfinden habe. "Man darf sie nicht einfach unterstellen", sag Kaspar.
Denn auch wenn sie medial nicht so präsent sind, gibt es Menschen, die manche verhängten Strafen als zu streng beurteilen: "In den USA gibt es auch Beispiele für zu harte Strafen: Dort nehmen die Bürger etwa das Strafmaß für Drogendelikte bei Rückfalltätern als ungerechtfertigt hoch wahr."
Und auch zu harte Strafen erschütterten das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat, erklärt Kaspar.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Professor Johannes Kaspar, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Sanktionenrecht an der Universität Augsburg
- Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts
- Süddeutsche: "Hartes Bayern, milder Norden"
- Hans Böckler Stiftung: "Wer wählt Rechtspopulisten? Erfahrung von Unsicherheit und Kontrolle im Arbeitsleben sowie Zukunftssorgen wichtige Faktoren"
- Die Zeit: "Rechtsstaat unter Druck"
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