Im Norden des Kosovos ist ein Polizist bei einem Einsatz erschossen, ein zweiter verletzt worden. Drei Angreifer wurden getötet, weitere festgenommen. Der Vorfall am vergangenen Sonntag ist der schwerste seit vielen Jahren in der Krisenregion. Was steckt dahinter? Und droht noch mehr Gewalt?
In der Nacht auf vergangenen Sonntag wurde im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovos ein kosovarischer Polizist bei einem Einsatz erschossen, ein weiterer Polizist wurde verletzt.
Wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf die kosovarische Polizei berichtet, sind auch drei mutmaßlichen Angreifer getötet worden. Es gab Festnahmen. Es ist der schwerste Zwischenfall seit vielen Jahren in der Krisenregion.
"Die Zusammenstöße sind eine neue Dimension der Gewalt. Bisher hatten wir keine Schusswechsel und auch keine paramilitärischen Gruppen, die im Norden agiert haben. Das ist eine Eskalation, die auch deshalb beunruhigend ist, da nicht klar ist, was geplant war und wer hinter der Gruppe steckt. Während es schwer vorstellbar ist, dass der serbische Staat nichts davon wusste, schien der serbische Präsident Aleksandar Vucic nicht auf den Zwischenfall vorbereitet gewesen zu sein. Dies wirft die Frage auf, ob es eigenständige Akteur im Norden gibt und wie weit Vučić seine eigenen Kräfte kontrolliert", erklärt Florian Bieber, Professor an der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des Zentrum für Südosteuropastudien. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Zeitgeschichte und die politischen Systeme Südosteuropas, sowie Demokratisierung und ethnische Konflikte.
Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Angriff auf Polizisten
Der kosovarische Regierungschef Albin Kurti sprach am Sonntag sofort von einem "Terroranschlag", die Präsidentin des Kosovos, Vjosa Osmani, beschuldigte Serbien für die Vorfälle. Osmani sprach von einem offenen Angriff Serbiens auf Kosovo mithilfe krimineller Banden.
Aus Serbien wurde jegliche Verantwortung für den Vorfall abgelehnt. Aber es dürfte als sicher gelten, dass die Angreifer aus Serbien kommen und mutmaßlich von der serbischen Regierung gesteuert worden sind.
"Es ist klar, dass die Angreifer aus Serbien kommen und nicht ohne Wissen serbischer Sicherheitsstrukturen diese Aktionen hätten durchführen können. Wie weit sie gesteuert wurden oder es auch einen Konflikt innerhalb der Sicherheitsstrukturen darstellen, ist noch unklar", sagt Bieber. So oder so: Der Zwischenfall hat jedenfalls Serbien im Moment nicht genützt. "Das legt nahe, dass zumindest etwas schiefgelaufen ist."
Lesen Sie auch: Strafbehörde im Kosovo beantragt U-Haft für drei serbische Bürger
Serbien: Hetze gegen den Kosovo
Bieber erklärt, was zu einer Befriedung des jahrzehntealten Konfliktes beitragen könnte: Wenn Serbien den Kosovo anerkennen würde, wäre es ruhig, meint er. Das "Problem ist nicht nur die Nichtanerkennung des Kosovo, sondern auch die Hassrede gegenüber dem Kosovo und Albanern". Fast täglich werde gegen den Kosovo gehetzt, heute hieße es "nur noch der sogenannte Kosovo" oder der "Lügenstaat".
Das sei eine sprachliche Eskalation, die vor zehn Jahren noch nicht da gewesen sei. "Somit gibt es eine Verschlechterung der Rhetorik und mehr Spannungen", schlussfolgert Bieber. Der Hass in den Köpfen der beiden Volksgruppen scheint präsenter denn je zu sein. Serbien zündelt, Kosovo reagiert entsprechend auf Provokationen. Das erlebte die Balkan-Region bereits Mitte der 1990er Jahre.
Und warum kommt die EU in dem Konflikt, der auch nach der Beendigung des Kosovokriegs von 1999 immer weiter eskalierte, trotz deutsch-französischer Vermittlungsversuche einfach nicht weiter? Zuletzt wurde Kurtis Kosovo sanktioniert, denn er soll den Serben mehr Autonomie im Norden ermöglichen. Aber was wird konkret von Serbien eingefordert?
"Kurti möchte nicht den Gemeindeverband einrichten, da er nicht sicher sein kann, dass Serbien als Gegenleistung sich um eine Normalisierung der Beziehungen bemüht und Kosovo faktisch anerkennt", so Bieber. Alle Aussagen von Vucic deuten in die Richtung, dass er dazu nicht bereit ist und er bereitet seine Bevölkerung auch nicht darauf vor.
"Die EU übt mehr Druck auf den Kosovo aus, aber ohne einen sicheren Fahrplan macht das keinen Sinn. Die Solidarisierung des serbischen Staates mit den Paramiltärs im Norden macht einen Dialog im Moment unrealistisch und die Glaubwürdigkeit der EU ist hier tief gefallen", analysiert Bieber.
EU braucht eine neue Strategie
Wichtig ist laut Kosovoexperte Bieber, dass der Prozess neu aufgelegt werde, aber dafür werde es neue Personen und eine neue Strategie seitens der EU brauchen. "Doch vor den Europa-Wahlen im kommenden Jahr und der neuen Kommission ist das unwahrscheinlich. Bis dahin ist Krisenmanagement angesagt."
Und die Soldaten der Kosovo-Truppe, kurz KFOR, die nach Beendigung des Kosovokrieges aufgestellte multinationale militärische Formation unter der Leitung der NATO? Was kann sie unternehmen, um derartige tödliche Zusammenstöße wie vom Sonntag zu verhindern?
"KFOR war bei Verhandlungen beteiligt und es scheint, als wären einige der serbischen Paramilitärs nach Serbien ausgeliefert worden", vermutet Bieber. Was genau verhandelt worden war, sei noch unklar. "Aber steht fest, dass KFOR erstens an der Grenze mehr präsent sein muss, um eine Wiederholung zu verhindern, und auch den Zwischenfall genau untersuchen und die Ergebnisse veröffentlichen sollte, sodass die Frage der Verantwortung geklärt wird."
Die Polizisten wurden offensichtlich am frühen Sonntagmorgen in einen Hinterhalt gelockt. Sie waren Teil eines Einsatzkommandos, das ausrückte, nachdem ein Bericht über eine Straßenblockade in der zur Gemeinde Zvecan gehörenden Ortschaft Banjska nahe der Stadt Mitrovica eingegangen war, heißt es laut übereinstimmenden Medienberichten.
Laut der Polizei gerieten die Beamten von verschiedenen Seiten unter Beschuss, als sie gegen 3:00 Uhr morgens zu den beiden Lastwagen ohne amtliche Kennzeichen kamen, die die Zufahrtsstraße zum Ort versperrten. Auch Handgranaten seien in ihre Richtung geworfen worden.
Nach dem Angriff seien die Täter in das serbisch-orthodoxe Kloster von Banjska eingedrungen und hätten sich dort verschanzt. Das nährt natürlich den Verdacht, dass die Angreifer aus Serbien oder Serben sind. Am Sonntagabend hatten die Angreifer das Gelände laut Kirchenangaben aber wieder verlassen. Es gab schwere Gefechte mit der kosovarischen Polizei, bei denen mindestens drei Angreifer getötet und weitere verletzt wurden.
Ein weiterer kosovarischer Polizist erlitt leichte Verletzungen. Die Polizei nahm zwei bewaffnete Angreifer und vier mutmaßliche Helfer fest. Die Staatsanwaltschaft in Kosovos Hauptstadt Pristina soll gegen sie Verfahren wegen des Verdachts auf terroristische Straftaten eingeleitet haben.
Es heißt, ursprünglich soll es sich bei den Angreifern um einen schwer bewaffneten 30-köpfigen Kommandotrupp gehandelt haben, von denen einige Angreifer der berüchtigten kosovo-serbischen, militanten Organisation "Zivilschutz" angehören sollen. Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtete, wird nach Erkenntnissen kosovarischer Strafverfolger dieser "Zivilschutz" von der serbischen Regierung gelenkt, finanziert und großzügig mit Waffen ausgestattet.
Immer wieder gibt es im jüngsten europäischen Staat Spannungen zwischen Serben und ethnischen Albaner, die mehrheitlich das kleine Land Kosovo bewohnen, wobei im Norden des Kosovos mehrheitlich Serben wohnen. Das Kosovo ist deutlich kleiner als Thüringen und hat knapp 1,9 Millionen Einwohner. Es ist ein Konflikt mit langer Vergangenheit und viel Leid.
Serbien und Kosovo: Ein lange schwelender Konflikt
Das Kosovo gehörte früher einmal zu Serbien. Nach einem bewaffneten Aufstand der Kosovo-Albaner und massiven Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Sicherheitskräfte hatte die Nato 1999 mit Bombardierungen im damaligen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro) reagiert.
Serbien verlor den Krieg, betrachtet die ehemalige Provinz indes noch immer als Teil des eigenen Territoriums. Auch wenn diese sich 2008 unabhängig erklärte und mittlerweile von fast 100 Staaten anerkannt wird. Zwischen 12.000 und 15.000 Menschen kamen ums Leben zwischen dem 24. März und dem 12. Juni 1999, als Nato-Truppen die umstrittene serbische Provinz Kosovo besetzten.
Auch etwa 500 Zivilisten wurden Opfer der Nato-Luftschläge – auch in anderen Regionen in Serbien. All das hat der Nato bis heute viel Abneigung in Serbien eingebracht. Viele Serben befürworten daher auch ein starkes Russland, als Gegenspieler zum westlichen Verteidigungsbündnis. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow äußerte sich laut AFP am Montag in Moskau folgendermaßen: "Es sei kein Geheimnis, dass sehr oft Provokationen gegen die Serben organisiert" würden. Außerdem stufte er die tödlichen Zusammenstöße als "potenziell gefährlich" ein.
Bis zur Unabhängigkeit des Kosovo im Jahre 2008 verwaltete die UN-Administration Unmik das Gebiet. Aber auch danach kam und kommt das Kosovo nicht zur Ruhe.
Faustkampf im kosovarischen Parlament
Lesen Sie auch: Kosovo: Mehrere Dutzend Nato-Soldaten verletzt
Erst Mitte Juli flogen im kosovarischen Parlament in der Hauptstadt Pristina die Fäuste. Während der kosovarische Premierminister Albin Kurti sich zu Plänen geäußert hatte, die Streitigkeiten mit Serbien zu entschärfen, ist er am Rednerpult von einem Oppositionellen angegangen und mit Wasser aus einem Trinkglas überschüttet worden. Im Anschluss gingen Politiker aufeinander los, wie auf Videos zu sehen ist.
Über den Experten:
- Florian Bieber ist Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas und Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz. Er hielt den Jean Monnet Chair in the Europeanization of Southeastern Europe und koordiniert die Balkans in Europe Policy Advisory Group (BiEPAG). Sein Buch "Pulverfass Balkan. Wie Diktaturen Einfluss in Europa nehmen" wird bei Ch. Links im Herbst erscheinen. Florian Bieber ist weder verwandt noch verschwägert mit dem Autor.
Verwendete Quellen:
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.