Seit rund zwei Wochen sitzen in einer thailändischen Höhle zwölf jugendliche Fußballer und ihr Trainer fest. Zehn Tage davon wussten sie nicht, ob sie jemals gefunden werden. Der erfahrene Höhlenretter Michael Petermeyer über die Schwierigkeiten der Bergung und die enorme psychische Belastung.

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Herr Petermeyer, was brauchen die Jugendlichen und ihr Trainer, die in einer Höhle in Thailand eingeschlossen sind, derzeit am nötigsten?

Michael Petermeyer: In der derzeitigen Situation: Atemluft. Ansonsten haben sie im Prinzip alles, was sie brauchen: zu essen, zu trinken und Kontakt zur Außenwelt. Ihre Blessuren, vor allem Schürfwunden, die sich in der feuchten Umgebung der Höhle leicht entzünden, sind offenbar nicht so schlimm, dass man sie sofort in einem Krankenhaus behandeln müsste. Auch gibt es keine Magen-Darm-Erkrankungen, wie sie häufig auftreten, wenn Verunglückte Höhlenwasser trinken müssen, weil ihnen das Trinkwasser ausgegangen ist.

Sie bekommen sicherlich viel energiereiche Nahrung. Das ist vor allem für die jüngeren unter den Jugendlichen wichtig, denn je jünger sie sind, desto mehr Energiezufuhr brauchen sie. Im Allgemeinen kann man sagen, dass ein gut genährter Mensch bis zu drei Wochen ohne Nahrung überleben kann, ohne Flüssigkeitszufuhr nur maximal zwei Tage.

Allerdings ist durch den vielen Regen und den sinkenden Sauerstoffgehalt, der nun offenbar in der Höhle festgestellt wurde, ein massiver Zeitdruck entstanden.

Sie sprechen den Sauerstoffgehalt an: Normal sind 21 Prozent, in der Höhle sind es wohl aktuell 15 Prozent. Deswegen wird versucht, die Höhle mit einem Rohr besser zu belüften. Wie schnell muss das gehen und wie schwierig ist das aus Ihrer Sicht?

Über den Sauerstoffgehalt und die Konsequenzen kann man derzeit nur spekulieren. Wenn es stimmt, dass der Sauerstoffgehalt sinkt, gibt es offenbar keine natürliche Luftzirkulation. Man kann sich das so vorstellen, dass sich die Eingeschlossenen in einer Art Luftblase befinden. Eine Bohrung in den Höhlenraum birgt das Risiko, dass er überflutet wird.

Ein Mensch benötigt pro Tag etwa 450 Liter Sauerstoff, eine Taucherflasche mit reinem Sauerstoff enthält allein 2000 Liter. Theoretisch wäre es also möglich, den Sauerstoffbedarf der Eingeschlossenen mit vier Sauerstoffflaschen pro Tag zu decken. Aber das sind rein theoretische Überlegungen, die den CO2-Gehalt der Luft und die Ventilationsbedingungen in der Höhle nicht berücksichtigen.

Jenseits aller Spekulationen ist klar, dass die Zeit drängt und auch ein Plan B, nämlich der Zugang über eine Bohrung, erwogen werden muss. Aber auch dann sind die Druckverhältnisse in der Höhlenkammer wichtig - nicht, dass die Höhlenkammer überflutet wird, wenn der Luftdruck durch eine Bohrung abfällt.

Zwei Wochen in einer Höhle. Die meiste Zeit davon wussten die Betroffenen nicht, ob sie je gefunden werden. Wie kann man sich die Gefühlslage in so einer Situation vorstellen?

Das waren zehn Tage Todesangst pur. Man sitzt in absoluter Dunkelheit, sieht also nichts - und außer Wassergeräuschen hört man auch nichts. Irgendwann fängt man an, sich Klopfgeräusche und Ähnliches einzubilden. Hinzu kommen die zunehmende Hoffnungslosigkeit und der Hunger. Dass sie eine ziemlich große Gruppe mit einer Führungsfigur waren, kam ihnen dabei sicher zugute. Alle Personen hatten also ausreichend Ansprache.

Welche psychischen Folgen kann so ein Erlebnis haben?

Es ist sicherlich traumatisierend. Die Jugendlichen werden gegebenenfalls Flashbacks und Alpträume haben. Man kann ihre Situation zum Teil mit der Situation von Kindern und Jugendlichen in Kriegsgebieten oder auf der Flucht vergleichen. Vor allem, was die Hoffnungslosigkeit angeht.

Nach meinem Wissen entwickeln nach solchen Ereignissen etwa 15 Prozent der Personen eine behandlungsbedürftige Störung. Man wird also die Kinder nicht alle zum Psychologen schicken, ihre weitere Entwicklung aber beobachten. Wichtig wäre, sie vor zu viel Presserummel zu schützen. Deshalb sehe ich es kritisch, dass die FIFA die Jugendlichen zum WM-Finale eingeladen hat.

Es wird offenbar auch weiterhin erwogen, dass die Jugendlichen und ihr Trainer zur Bergung ein Stück weit tauchen müssen. Wie gefährlich das sein kann, hat der Tod eines Retters gezeigt, der bei dem Versuch, Sauerstoffbehälter in der Höhle zu platzieren, ums Leben gekommen ist. Herr Petermeyer, Sie waren an vielen Höhlenrettungen beteiligt, bei denen wie in diesem Fall Wassereinbrüche eine Rolle spielten. Wie realistisch ist es, dass die Verunglückten aus der Höhle heraustauchen?

Der Gedanke, die Kinder bei den momentanen Verhältnissen in der Höhle tauchen zu lassen, ist absurd. Eine 140 Meter lange Tauchstrecke, von der mitunter zu hören und zu lesen ist, ist mit Sicherheit zu lang. Deswegen wird nach wie vor gepumpt. Es kann trotzdem sein, dass eine kurze Tauchstrecke bleibt. Das könnte funktionieren. Eine Höhle ist aber selbst für Taucherfahrene eine unvorstellbare Herausforderung.

Michael Petermeyer ist Facharzt für Neurochirurgie und Anästhesiologie sowie Leiter des regionalen Schmerzzentrum-Diez der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS). Er war schon an vielen Berg- und Höhlenrettungen maßgeblich beteiligt, unter anderem an der spektakulären Rettung von Johann Westhauser aus der Riesendinghöhle in den Berchtesgadener Alpen.
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