Zigtausende Rinder werden jährlich von Deutschland ins Ausland exportiert, etwa nach Asien und Nordafrika – angeblich zu Zuchtzwecken. Die ARD-TV-Reportage "Tiertransporte gnadenlos" von Edgar Verheyen deckt mit Hilfe von Aktivisten die Bedingungen und Zustände auf diesen Transporten auf. Das Ergebnis ist nichts für schwache Nerven.
Rinder gibt es in Deutschland im Überfluss, weshalb sie auch schon lange ein lohnendes Exportgut sind. In anderen Ländern erhalten die Händler darüber hinaus zum Teil ein Vielfaches von dem, was sie hierzulande für ein Rind bekommen. Natürlich gibt es auch strenge Vorschriften für den Export der Tiere. So müssen sie etwa nach 29 Stunden Fahrt für einen ganzen Tag aus dem Lkw geholt sowie gefüttert und getränkt werden. Eine EU-Verordnung besagt zudem, dass die Temperatur in den Transportfahrzeugen 30 Grad nicht übersteigen dürfe, weshalb es sie mit Ventilatoren auszustatten gilt. In der Praxis sieht die Angelegenheit aber ganz anders aus.
Doku "Tiertransporte gnadenlos": Tiere stehen tagelang in den eigenen Exkrementen
Zwei Lastwagen verlassen eine Sammelstelle bei Smolensk nahe der russisch-weißrussischen Grenze mit jeweils knapp 40 Rindern an Bord. Die Tiere stammen aus Brandenburg und sollen in Usbekistan beim Aufbau einer Rinderzucht "mithelfen". Das Filmteam und Tierschützer von der Organisation "Animals Angels" begleiten die Fahrzeuge, die noch über 4.000 Kilometer vor sich haben. Abermals müssen die erfahrenen, aber keineswegs abgebrühten Tierschützer mitansehen, wie die Lkw nicht anhalten, um die Rinder durchschnaufen zu lassen. In Usbekistan angekommen, sind die armen Tiere nicht nur völlig geschwächt und dehydriert, sondern stehen auch bereits Stunden in ihren eigenen Exkrementen.
Rinder werden grausam geschächtet
Auch in Marokko ist das Filmteam mit den Aktivisten von "Animals Angels" unterwegs, konkret auf Viehmärkten unweit von Casablanca und Marrakesch. Hier entdecken die Tierschützer auch eine Kuh, die vor Monaten angeblich zur Zucht exportiert wurde und deren Ohrmarke auf einen Hof bei Hannover schließen lässt. Das Tier wird auf dem Viehmarkt für gutes Geld verkauft und auf einen völlig ungeeigneten Lkw verladen, um bald darauf auf einem nahen Schlachthof zu landen. Der Boden der offenen und hygienisch mehr als fragwürdigen Halle, in die jeder rein kann, ist blutüberströmt, denn hier wird geschächtet – also dem Tier bei vollem Bewusstsein die Halsschlagader aufgeschlitzt. Auch im Falle der deutschen Kuh, die vom heimischen Giganten "Masterrind" exportiert wurde, gehen die Tierschützer davon aus, dass sie nie für die Zucht, sondern vom Start weg als Schlachttier vorgesehen war.
Experte: "Deklaration als Zuchttier ist falsch"
"Die Vermarktung von Schlachttieren ist grundsätzlich ausgeschlossen. Natürlich ist uns bewusst, dass auch Zuchttiere ein endliches Leben erwartet – und diese dann der Schlachtung zugeführt werden", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme von "Masterrind". Aber stimmt das überhaupt, dass in Marokko eine landesweite Rinderpopulation aufgebaut wird, also eine Zucht entsteht? Dazu Michael Marahrens von der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz: "Das sind Schlachttiere, die vordergründig anderweitig zur Milcherzeugung genutzt werden. Aber da keine Zucht stattfindet, sind es Schlachttiere. Die Deklaration als Zuchttier ist falsch."
Maximal zehn Euro für ein schwarzes Kalb
Auch ein Landwirt aus dem Allgäu, dessen männliche Kälber exportiert und im Zuge eines extrem langen Transports nach Spanien im Lkw leiden mussten, kommt in der Doku zu Wort. Für ein rotbuntes, männliches Kalb bekomme er zwischen 100 und 150 Euro, für ein schwarzes maximal 10 Euro. "Da muss man froh sein, wenn die draußen sind", so der Landwirt, der den Namen des Käufers seiner Rinder nicht nennen will. Weil der Allgäuer Bauer Milchwirtschaft betreibt, kann er männlichen Nachwuchs nicht brauchen. Obendrein sei Kalbfleisch in Deutschland ohnedies nicht sehr gefragt. Wohin seine Tiere letztlich transportiert werden, erfahre er nicht, so der Landwirt.
Tote Rinder werden ins Meer geworfen
Viele deutsche Wiederkäuer werden auch in den Nahen Osten verschifft – zum Teil in uralten Frachtern mit steilen Rampen, unzähligen scharfen Kanten und extrem niedrigen Decks. "Es gibt für den Transport von Tieren mit Schiffen extra Vorgaben in der europäischen Transportverordnung. Wenn die Schiffe diesen Vorgaben nichts entsprechen, dann ist der Transport rechtswidrig", erklärt Jens Bülte von der Uni Mannheim, Experte im Tierschutzstrafrecht. Die Rinder, die auf der Überfahrt verenden, werden übrigens einfach ins Meer geworfen. "Das ist das Gesetz der Natur", so ein eiskalter Exporteur im Interview. In Israel etwa werden daher immer wieder tote Kälber und Kühe an die Strände gespült. Klar, dass die Entsorgung im Meer streng verboten ist.
Transporte schwer zu kontrollieren
Dass es Zustände dieser Art gibt, liegt laut Iris Baumgärtner von der "Animal Welfare Foundation" auch daran, dass der Tierschutz bei solchen Exporten nur schwer zu kontrollieren sei – weshalb er auch kaum stattfinden würde. Warum die für die Überprüfung zuständigen Behörden in Deutschland hier nicht mehr Initiative zeigen und diesen Zuständen nicht endlich auf den Grund gehen, bleibt dennoch ein Rätsel.
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