Der Amoklauf im Münchener Olympiaeinkaufszentrum vor zwei Jahren dürfte vielen noch in schauriger Erinnerung sein. Was bei den meisten wohl hängen geblieben ist, ist die Ungewissheit, die die Menschen vor Ort und vor dem Fernseher durchlebt haben. Die Dokumentation "München – Stadt in Angst", die am späten Mittwochabend im Bayerischen Rundfunk zu sehen war, spürt dieser Angst nach.

Christian Vock
Eine Kritik

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Wie kann man sich einer Tragödie nähern, bei der neun Menschen ihr Leben verloren? Filmemacher Stefan Eberlein macht das, indem er Täter und Opfer des Anschlags außen vor lässt.

Ihm geht es nicht um die Tat, sondern darum, welche Folgen sie hatte. Und genau diese Folgen werfen Fragen für die Zukunft auf.

Die Tat am 22. Juli 2016 in München

Am 22. Juli 2016, so erzählt es Ludwig Waldinger vom Landeskriminalamt Bayern in der BR-Doku, betritt der spätere Täter die Filiale eines Schnellrestaurants beim Olympiaeinkaufszentrum (OEZ) im Münchener Stadtbezirk Moosach.

In der Restaurant-Toilette holt der junge Mann eine Waffe aus dem Rucksack und fängt kurz darauf an, auf eine Gruppe junger Menschen in einer Sitznische zu schießen. Fünf Menschen sterben dabei, ein 13-jähriges Kind wird schwer verletzt.

Nach dem Verlassen des Restaurants schießt der Täter draußen und im OEZ selbst weiter, vier weitere Menschen kommen ums Leben.

Auf einem Parkdeck kommt es zu einer Verbalkonfrontation mit einem Anwohner. Anschließend versteckt sich der Täter in einem Fahrradkeller. Beim späteren Verlassen des Kellers trifft er auf eine Polizeistreife und tötet sich selbst.

Während die Polizei München Verstärkung und Spezialeinsatzkräfte aus anderen Bundesländern und Österreich anfordert, ist lange Zeit unklar, wie viele Täter es überhaupt sind.

Bei einem und maximal drei Tätern liegen zunächst die Vermutungen. Darüber hinaus konnte sich der Täter knapp zwei Stunden lang verstecken.

Die Dokumentation "München – Stadt in Angst"

Es ist vor allem diese unübersichtliche Lage, die im Zentrum der Dokumentation "München – Stadt in Angst" steht.

Der Täter, die Hintergründe der Tat spielen keine Rolle, es geht darum, was die Tat in wenigen Stunden aus einer Stadt gemacht hat und wie die Menschen in dieser Extremsituation mit der Tat und der daraus resultierenden Ungewissheit umgegangen sind.

Eberlein malt mit seinem Film ein Bild von einer Stadt, in der für wenige Stunden Chaos und Panik ausbrechen. Dabei nutzt Eberlein alle Facetten, die ihm zur Verfügung stehen, lässt die Unsicherheit und Verwirrung von denen erzählen, die diesem aufgewühlten Szenario irgendwie Herr werden müssen: Polizisten, Journalisten, den Ärzten in den Notaufnahmen, Passanten, Anwohnern.

"Mir kam es zwischenzeitlich so vor wie in einem Science-Fiction-Film, einem Apokalypse-Film. Weil es wirklich so war. Eine Stadt im Ausnahmezustand", erzählt Reporter Martin Breitkopf, der am 22. Juli für den Bayerischen Rundfunk über diesen Tag berichtet hat.

Mit Interviews, Archivmaterial, Ortsbegehungen, Medienberichten und Unmengen an Einträgen aus sozialen Medien rekonstruiert Eberlein in seinem Film die Stunden, nachdem die ersten Schüsse fielen und wie die Beteiligten damit umgegangen sind. Welche Entscheidungen getroffen wurden und warum und welche Probleme es dabei gab. Das Bild, das am Ende steht, ist geprägt von Unsicherheit, Ungewissheit, Panik. Was der Film nicht leistet, ist, Antworten zu geben, was man in dieser Situation hätte anders, besser machen können.

Die Einordnung der Geschenisse

"Ich hätte nie gedacht, dass eine Stadt so aus dem Ruder laufen kann," erzählt Reporter Breitkopf über den Tag, der innerhalb weniger Minuten von einem sonnigen Sommerabend in einen Ausnahmezustand kippte und ein beispielloses Chaos auslöste.

Ein großes Problem war, neben der ohnehin unübersichtlichen Lage der Tat selbst, die große Zahl an Gerüchten, Falschmeldungen und Einbildungen.

Menschen glaubten, Schüsse gehört zu haben, wo keine fielen, und Täter gesehen zu haben, die keine waren. Die allgemeine Unwissenheit traf auf eine Informationsflut. Dadurch entstand noch mehr Panik.

Die verstörende Bilanz aus knapp sechs Stunden: 4.310 Notrufe, davon 310 Mitteilungen über Terroranschläge an 71 verschiedenen Tatorten, wie Wilhelm Schmidbauer, Landespolizeipräsident von Bayern, erklärt.

Die Polizei hat damals den Begriff des "Phantomtatorts" kreiert, "weil es dieses Phänomen in dieser Intensität und Quantität noch nie gegeben hat", sagt der Polizeisprecher Münchens, Marcus da Gloria Martins, über die Irrationalität dieses Abends.

Die Folgen des Amoklaufs am OEZ

"Stadt in Angst", so lautet der Titel der Dokumentation und so ist auch das Bild, das von diesem Abend des 22. Julis 2016 in Erinnerung bleibt. Aber was sind die Lehren daraus? Was kann man besser machen für ähnliche Fälle in der Zukunft, die hoffentlich nie kommen werden?

Eine richtige Antwort bietet die Dokumentation hier nicht, weil sie es wahrscheinlich auch gar nicht könnte. Wie geht man als Verantwortlicher beispielsweise mit der Information um, dass man noch nicht weiß, wo sich der Täter aufhält?

Polizeisprecher da Gloria Martins, der für seine Arbeit an diesem Tag sehr gelobt wurde, ist klar, dass man sich vor allem nicht auf Spekulationen einlassen darf: "Das, was der Bürger in einer solchen Situation hören möchte, ist: Wir wissen, wer's war und wir sind ihm dicht auf den Fersen, idealerweise haben wir ihn sogar schon."

Doch wie reagiert man als Bürger, Betroffener, Mensch? Hilft man mit Postings in sozialen Medien über das, was man zu sehen und zu hören glaubt oder stiftet man damit nur noch mehr Panik?

Reporter Martin Breitkopf ist bei dieser Frage eindeutig: "Alle miteinander haben wir Terror gemacht."

Die Dokumentation "München - Stadt in Angst" gibt es hier in der BR-Mediathek.

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