- Am 22. Juli 2011 tötete der Massenmörder Anders Behring Breivik auf der norwegischen Insel Utoya 69 Menschen.
- Die Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei hielt dort gerade ihr alljährliches Sommerlager ab.
- Zehn Jahre nach dem Attentat hat sich das Gesicht der Insel verändert, doch die Norweger haben sie zurückerkämpft.
- Lukas Neuenschwander hat die Insel mehrfach besucht. Er berichtet vom heutigen Utoya.
Das, was sich am 22. Juli 2011 um kurz nach 17 Uhr auf Utoya abspielte, machte die norwegische Insel wohl zur bekanntesten weltweit. Sie ist eine traurige Berühmtheit - denn an diesem Tag setzte der Massenmörder Anders Behring Breivik auf die im Binnensee Tyrifjord liegende Insel über.
Im Osloer Regierungsviertel, kaum 30 Kilometer von Utoya entfernt, hatte Breivik kurz zuvor eine Autobombe zur Detonation gebracht. Acht Menschen waren dabei ums Leben gekommen.
Als Breivik auf die Insel übersetzte, hielt die Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei "Arbeidernes Ungdomsfylking" (AUF) gerade ihr alljährliches Sommerlager ab. Breivik gab sich als Polizist aus, der die Jugendlichen über den Anschlag informieren wolle - dann eröffnete er ohne Vorwarnung das Feuer und tötete 69 Menschen.
Zehn Fußballfelder groß
Lukas Neuenschwander war damals 15 Jahre alt, besuchte die zehnte Klasse. In Deutschland stand er kurz vor seinem Austausch in eine norwegische Schule nahe der Stadt Gjovik. "Als ich ankam waren Utoya und der Anschlag natürlich das Thema. Ich habe miterlebt, wie die Schüler das schreckliche Ereignis verarbeitet und zum Beispiel in Kunstprojekten behandelt haben", erinnert sich Neuenschwander.
Utoya – auch ihm begegnete die kleine Insel, die kaum so groß ist wie zehn Fußballfelder, zunächst als die "Todesinsel" aus den Medien. Das änderte sich, als Neuenschwander nach Norwegen auswanderte und in Stavanger Elektrotechnik und Informatik studierte. Im Jahr 2019 bestieg er die Fähre MS Thorbjörn, die auch die späteren Opfer Breiviks zur Insel gebracht hatte und machte sich ein eigenes Bild von Utoya.
In Privatbesitz von Jugendorganisation
"Ich bin politisch interessiert und wollte die politische Landschaft meiner neuen Heimat besser kennenlernen", erzählt der 25-Jährige, der inzwischen in einer Firma in Oslo arbeitet.
Utoya ist kein Ziel für Touristen. Die knapp 500 Meter vom Festland entfernte und in wenigen Minuten erreichbare Insel ist im Privatbesitz der Jugendorganisation AUF. Im Jahr 1950 erhielt die AUF die Insel als Geschenk von der "Oslo und Akershus Handelskonföderation".
"Seitdem wurde die Insel vor allem für linkspolitische Zeltlager und Sommercamps genutzt, man merkt den kommunistischen Hauch auch in der Namensgebung von Orten und Buchten", sagt Neuenschwander. So gebe es beispielsweise eine "Bolsche-Bucht".
Lesen Sie auch: Utoya, Columbine, Newtown: Diese Amokläufe schockierten die Welt
Kaum Infrastruktur auf Utoya
Die Gesellschaft "Utoya AS" betreibt die Insel auch kommerziell für andere Ausflüge und Gruppen. "Ich selbst war in einem Ferienlager der Partei 'Rod ungdom' und der AUF auf Utoya", sagt Neuenschwander. Auch Wochenendfreizeiten der Studentenvereinigungen "SAIH" und "Norges Kristelige Studentforbund" führten ihn auf die ansonsten verlassene Insel im fünftgrößten Binnensee Norwegens.
"Es gibt nicht viele Gebäude auf der Insel: Im Hovedhuset, dem Haupthaus, finden Seminare und Konferenzen statt", berichtet der Auswanderer. Außerdem gebe es noch ein Schulgebäude, Sanitäranlagen und eine Cafeteria. "Supermärkte gibt es nicht, nur einen kleinen Kiosk nahe der Zeltwiese", beschreibt Neuenschwander. Auch Eisdielen, Fahrradverleih oder Hotels suche man vergeblich. Nur ein Fußballplatz, einen Lebensmittelspeicher und eine Scheune ist noch vorzufinden.
Sonst "hat Breivik gewonnen"
"Utoya ist relativ hügelig und es gibt viel Nadelwald", sagt er. Als Neuenschwander Utoya das erste Mal betrat, da schwebte auch für ihn das Attentat unübersehbar über der Insel. "Vergessen kann man die Vorfälle sicher nicht, das wird nie passieren", ist er sich sicher.
Den Norwegern aber, vor allem der AUF, sei es wichtig, die Insel zurückzunehmen. "Wenn wir sie nicht wieder mit positiven Erlebnissen verknüpfen, hat Breivik gewonnen", erklärt Neuenschwander.
In den ersten Jahren nach dem Anschlag sei die Insel jedoch im Schockzustand verharrt. "Das musste alles erst einmal sacken", sagt Neuenschwander. Doch seit 2015, vier Jahre nach dem Anschlag, finden wieder Zeltlager statt.
"Bei den Lagern und Ausflügen gibt es oft Veranstaltungen zu dem Thema, zum Beispiel Gespräche mit Überlebenden", sagt Neuenschwander. Außerdem werde immer die Möglichkeit gegeben, die Gedenkstätte auf der Insel zu besuchen und an einem Denkmal, auf dem die Namen der Opfer stehen, zu beten.
Klage gegen Denkmal an die Opfer
"Utoya will weiterkommen", sagt Neuenschwander. Mittlerweile würde die Insel von unterschiedlichen Organisationen häufiger genutzt als zuvor: Politische, studentische und gemeinnützige Gruppen haben Utoya wieder in Beschlag genommen. "Derzeit wird ein neuer barrierefreier Kai gebaut, wo vorher nur eine Schotterpiste und ein Parkplatz waren", erzählt Neuenschwander.
Die Fertigstellung eines Denkmals aus 77 Bronzestäben, Symbol für die Opfer der Anschläge, hatte sich durch Klagen von Anwohnern verzögert: "Es wird zum Jahrestag deshalb leider nicht fertig", bedauert Neuenschwander.
Für Touristen geschlossen
An das, was vor zehn Jahren auf Utoya passierte, wird man aber auch an anderer Stelle immer wieder erinnert: "Man soll zum Beispiel am Pumpenhaus aus Respekt nicht Baden und bekommt es so immer wieder vor Augen geführt", sagt Neuenschwander. Im Pumpenhaus hatte Breivik 14 Menschen getötet.
Für Touristinnen und Touristen soll Utoya, die zur Provinz Viken gehört, nach wie vor nicht geöffnet werden. Sie sollen eine Gedenkstätte am neuen Fähranleger besuchen können. "Das ist auch richtig so. Utoya ist eine Insel für politische Camps, Tourismus würde ihren Charakter zu sehr verändern." Denn den hat sich Utoya gerade erst wieder zurückerkämpft.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.